„Wir schicken keine Limousinen“

LOSS NICHT NEBEN einem Gummibaum! Thomas Rabe dirigiert den ROLLING-STONE-Fotografen in eine andere Ecke des holzgetäfelten Konferenzraums der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz. Trutschig mit Topfpflanze, so will der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Medienkonzerns nicht rüberkommen. Vor knapp fünf Jahren hatte sich Bertelsmann vom Plattenfirmenbusiness verabschiedet und die Anteile an Sony BMG verkauft – nur um sich kurz darauf ganz dem Management von Musikrechten zu widmen. Wir treffen Rabe und Hartwig Masuch, den früheren Extrabreit-Produzenten und heutigen Chef von BMG Rights Management, zu einem Gespräch über die Entwicklung und Zukunft des Musikmarkts.

Herr Rabe, wann haben Sie sich zuletzt einen Song oder ein Album gekauft?

Rabe: In den vergangenen Monaten einiges -und alles auf iTunes. Ich habe aber auch eine große CD-Sammlung. Und Hartwig hat mir neulich die wunderbare Vinyl-Box der Doors geschenkt. Ich mag den Sound von Schallplatten. Nichts gegen iTunes, aber wenn es um Atmosphäre geht, dann sind mir Schallplatten lieber.

Wie lange wird es die CD überhaupt noch geben?

Rabe: In den USA liegt der digitale Musikanteil, also Downloads und Streams, inzwischen bei 60 Prozent. In Deutschland ist der CD-Anteil mit rund 70 Prozent noch sehr viel höher als der digitale. Ich glaube, dass physische Träger wie CDs oder Bücher noch ein langes Leben vor sich haben.

Masuch: Eigentlich ist die CD ein inkonsequentes Produkt. Sie ist haptisch nicht so attraktiv wie Vinyl und weit weniger komfortabel als digital vertriebene Musik.

Rabe: … und am klassischen Albumformat hängen oft auch Erinnerungen – das Schwein über der Battersea Power Station auf Pink Floyds „Animals“-Cover zum Beispiel. Das Haptische ist beim LP-Format einfach viel besser ausgeprägt.

Erklären Sie uns bitte mal, warum Sie noch immer an das Musikgeschäft glauben.

Rabe: Das ist nicht nur ein Glaube. Es wurde noch nie so viel Musik konsumiert wie heute. Auch die Tonträgerindustrie hat sich stabilisiert – nachdem sie rund 44 Prozent ihres Volumens verloren hat. Das Musikverlagsgeschäft ist hingegen immer gewachsen. Entkoppelt vom Tonträgermarkt ist es ein stabil wachsendes, hochprofitables Geschäft.

Streamingdienste wie Spotify boomen. Sind sie wirklich die größte Revolution seit iTunes, und warum ist es nach wie vor für Firmen und Künstler schwierig, über Streamingdienste Geld zu verdienen?

Masuch: Da gibt es zwei Seiten: Wenn ich eine traditionelle Plattenfirma bin und von Spotify erst mal eine Pauschale als Vorauszahlung bekomme, dann ist das für mich in Ordnung. Zumindest kurzfristig. Auf der Künstler-Ebene, wo es nicht um Pauschalen geht, sieht das schon problematischer aus. Da stellt sich die Frage: Was muss bei Spotify passieren, dass ich mir als Künstler in London eine 30-Quadratmeter-Wohnung leisten kann? Ein Künstler muss derzeit eigentlich das iTunes-Modell bevorzugen. Klar ist doch: Wenn jemand ein Geschäft aufbaut, dann muss er von Anfang an fair bezahlen für das, was er dazu braucht – also nicht nur für Technik und Büroräume, sondern auch für Inhalte, in diesem Fall für die Musiknutzung.

Rabe: Aber wenn es durch Spotify gelingt, Musiknutzung, die sich bisher im Illegalen abgespielt hat, ins Legale zurückzuholen, dann ist das sicherlich ein Plus – auch wenn die Preispunkte geringer sind.

In Schweden haben Streamingdienste ja heute schon die klassische Musikindustrie so gut wie ersetzt.

Masuch: Deutschland und Skandinavien sind sehr unterschiedliche Märkte. Dort leben – überspitzt gesagt – zwei Menschen auf einem Quadratkilometer; wer soll da Interesse haben, einen Plattenladen zu betreiben?

Haben Sie eigentlich aus den negativen Erfahrungen der Musikbranche für andere Bereiche, wie Print oder TV, lernen können?

Rabe: Lernen ist nicht der richtige Begriff. Die Musikindustrie hat sicherlich einige Fehler gemacht. Sie hat die Digitalisierung anfangs nicht ernst genommen, konnte sich dann nicht einigen, wie man das digitale Musikgeschäft vermarktet, bis Steve Jobs iTunes hingestellt hat. Diesen Fehler haben Buchverleger nicht gemacht. Von dem Tag an, als elektronische Bücher auf den Markt kamen, gab es eben auch entsprechende Onlineanbieter und Lesegeräte – und wir haben von Anfang an unsere E-Books zu angemessenen Preisen verkauft. Und die digitale Dividende, die allein durch den Wegfall der Produktionskosten gestiegen ist, gibt es natürlich auch im Musikgeschäft.

Wie unterscheidet sich BMG Rights Management von dem Modell einer traditionellen Plattenfirma?

Masuch: Wir leben nicht mehr in einer Zeit, wo ich eine große Menge CDs mit Lieferschein in einen Laden schiebe und abwarte. Um jedes Stück Musik rankt sich ein Bündel von Rechten und eine komplizierter werdende Vermarktungssituation. Es gibt heute, im digitalen Zeitalter, eine Vielzahl spannender Möglichkeiten der Selbstvermarktung, aber auch eine Vielzahl von Zahlungsströmen, die gemanagt werden müssen. Für den Kreativen ist dies komplexer, fragmentierter und unübersichtlicher als vor 15 Jahren. Da braucht es Fachleute ganz anderer Art.

Es gab eine Zeit, da sahen Plattenfirmenmitarbeiter hipper aus als ihre Künstler.

Rabe: (lacht) Bei uns nicht.

Masuch: Die haben ja nicht nur so ausgesehen, die haben sich auch so gefühlt. Am Ende haben sich Angestellte solcher Firmen deutlich zu ernst genommen. Auch daraus resultieren viele Probleme, die diese Firmen heute haben.

Als wir Orchestral Maneuvres In The Dark im neuen Büro von BMG besuchten, kamen wir uns vor wie früher bei einer „echten“ Plattenfirma. Es sieht zumindest in Ihrer Kreativ-Etage wieder aus wie damals.

Masuch: Mag sein, aber der Deal mit OMD basiert auf einem völlig anderen Vertragssystem als früher. Wir bieten denen kein All-you-can-eat-Menü, sondern maßgeschneiderte Dienstleistungen. Wir sagen: Jungs, nehmt doch das Geld, das ihr sowieso für die Verlagsrechte bekommen würdet, wir setzen uns hin und entscheiden gemeinsam über ein Budget, und ihr bekommt die volle Kontrolle über eure Veröffentlichungen. Bei uns können die Künstler selbst entscheiden, ob sie aus ihrem Gewinn Geld beispielsweise für Marketing in Frankreich investieren wollen. Da gibt es keinen Labelchef, der sagt: Nee, OMD ist doch noch nie in Frankreich gelaufen. Die Künstler kontrollieren Gewinne und Verluste. Und was haben sie nicht mehr? Wir schicken ihnen keine Limousine zum Flughafen.

Rabe: Wir haben ein neues Geschäftsmodell aufgesetzt, das den Künstler und die Dienstleistung für den Künstler in den Mittelpunkt stellt. Ein Modell, das von Anfang an darauf achtet, dass man eine gute digitale Verwaltungsstruktur hat, um Musikrechte vernünftig abrechnen zu können, und eine entsprechende Datenqualität zur Vermarktung über die multiplen Plattformen, die es heute gibt. Musikrechte, egal, ob Verlags-oder Tonträgerrechte, müssen heute ähnlich gemanagt und verwaltet werden. Das unterscheidet BMG von vielen anderen Musikunternehmen.

Hat sich die Plattenfirma traditionellen Zuschnitts damit überlebt?

Rabe: Ich glaube schon.

Masuch: Es gibt dieses traditionelle Geschäftsmodell, das sagt: Lasst uns mal machen, wir machen das gut und euch berühmt. Wir kontrollieren den kompletten Prozess, von A &R bis zum Remix der B-Seite. Wir sagen euch, wer produziert, wie die Fotos aussehen sollen und danach auch gleich die Marketingstrategie. Dieses System des Dominierens eines kreativen Prozesses, das steht zur Disposition. Weil Künstler heute antworten können: Es ist viel zu teuer für mich, denn ihr macht alles verrechenbar. Wenn es funktioniert, bezahle ich am Ende die Rechnung. Und wenn es nicht funktioniert, auch – aber ihr seid dann weg. Das Verrückte ist doch: Da steht ein 19-Jähriger mit einer enormen Hypothek, einem hohen sechsstelligen Investment auf der Bühne – anstatt dass man ihn erst mal laufen lässt, ihn unterstützt und schaut, was passiert.

Rabe: Obwohl die Einstiegskosten sehr viel geringer geworden sind. Wenn ich ein Album in hoher Qualität produzieren und vertreiben lassen will, vor allem in digitaler Form, sind die Kosten heute deutlich niedriger als noch vor zehn Jahren. Die wirtschaftlichen Bedingungen, um mehr junge Künstler zu unterstützen, sind wesentlich besser als noch vor zehn, zwanzig Jahren.

Nicht nur die großen, auch kleine Labels sterben, solche mit Identität und Aura, wie es Mute und Motown waren. Stattdessen gibt es Dienstleister wie Kobalt, die waschen diese Identität einfach raus. Wo steht da BMG – mit einem reinen Rechtehändler will man als Künstler vielleicht doch nicht zu tun haben?

Masuch: Ich würde es auch nicht Rechtehandel nennen. Aber natürlich sorgen kleine Labels, die nah an Künstlern und Trends sind, für viel mehr Dynamik im Musikgeschäft. Für uns ist es wunderbar, mit diesen kleinen Zellen zusammenzuarbeiten. Wir bilden uns auch nicht ein, ihnen inhaltlich irgendetwas vorauszuhaben. Aber wir können ihnen helfen, mögliche Engpässe zu managen, bei iTunes verfügbar zu sein und Internationalität zu erreichen. Das ist schon ein gutes Dienstleistungsangebot.

Rabe: Bertelsmann ist seit 1959 in der Musikindustrie tätig. Wir sind ganz sicher nicht mit Kobalt zu vergleichen.

Was kaufen Sie denn jetzt als Nächstes? Was gibt’s noch auf dem Ponymarkt?

Masuch: Wir hatten im ersten Quartal dieses Jahres in den deutschen Charts einen Marktanteil von fast 16 Prozent. Da habe ich selbst gestaunt. Denn in den Charts sind ja keine Kataloge, die man gekauft hat, sondern Künstler, mit denen man aktuell arbeitet. Die Maccabees sind bei uns, Bring Me The Horizon, Frank Turner.

Rabe: Wir haben die neue BMG 2008 auf der grünen Wiese gestartet und erwirtschaften jetzt bereits etwa 300 Millionen Euro Umsatz bei guter operativer Profitabilität. Im Musikmarkt kommen die drei Großen, und dann kommen wir. Wir investieren noch relativ selektiv und haben da auch gar keinen Zeitdruck. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in ein paar Jahren die Marke von 500 Millionen Euro Umsatz knacken werden.

Um auf diese Flughöhe zu kommen, müssen Sie aber weiter Katalogrechte etablierter Künstler und Labels kaufen.

Masuch: Rund die Hälfte aller Kataloge sind bei den Majors. Die andere Hälfte gehört mittelständischen Unternehmen oder den Künstlern selbst. Dazu zählen übrigens die größten und wichtigsten Kataloge im Markt: AC/DC, Queen, Pink Floyd, Paul McCartney.

Und die sind womöglich nicht nur nicht an einem Verkauf interessiert, sondern auch zurückhaltend, was iTunes und Streamingdienste angeht.

Masuch: Und sie haben nicht selten recht damit! Warum sollte ich meine drei Top-Alben auf dem Grabbeltisch verschleudern? Das ist doch traurig. Da darf ich mich nicht wundern, wenn mein Katalog auf Dauer entwertet wird. Ein Bewusstsein für und Kontrolle über den eigenen Katalog ist werterhaltend. Und ich bin sicher: In den kommenden Jahren werden genug Musikkataloge auf den Markt kommen. Es kann natürlich sein, dass der Wettbewerb intensiver wird, weil die Sicht auf das Musikgeschäft wieder positiver wird. Aber wir haben keine Eile. Bei EMI sieht man ja, was dabei herauskommt, wenn man – wie in den 90ern geschehen – Hals über Kopf Labels wie Chrysalis, Virgin und und und kauft, ohne Rücksicht auf die Preise. Dann lande ich zwanzig Jahre später statt bei 40 Prozent bei vier Prozent Marktanteil.

Rabe: Kleine Verlage und Kataloge merken ja auch, dass die Musiknutzung komplexer wird, dass es mehr und mehr Plattformen gibt, dadurch natürlich auch die Verwaltung komplexer wird und die Notwendigkeit, in IT zu investieren, steigt. Da ist BMG Rights eine gute Anlaufstelle.

Haben Sie eigentlich auch die Rechte an den Extrabreit-Songs?

Masuch: Privat, ja.

Rabe: (lacht) Die müssen wir dir noch abkaufen!

Von Ihnen liest man immer, dass Sie früher in einer Band gespielt und The Cure gehört haben. Wie hieß die Band?

Rabe: Ich hab in verschiedenen Bands gespielt, Bass und Synthesizer. Eine hieß White Lie, also Notlüge, in Brüssel damals, da gab es eine gute Musikszene und spannende Piratenradios. Wir haben keine großartige Musik gemacht, aber leidenschaftliche. Ich habe mit 14 angefangen, mit 20 Jahren habe ich aufgehört …

Masuch: … wegen Perspektivlosigkeit (lacht).

Rabe: … weil mir andere Sachen etwas aussichtsreicher schienen. Aber ich habe nach wie vor meine Rickenbacker.

Sie spielen noch?

Rabe: Ich habe vor zwei Jahren den letzten Versuch unternommen – und mit unserer Hausband in Gütersloh „Knockin‘ On Heaven’s Door“ geprobt. Aber irgendwie hat das nicht mehr geklappt.

Wie sieht die Musikwirtschaft in fünf, in zehn Jahren aus?

Masuch: Dann blicken wir wohl auf einen riesigen Absatzmarkt. Mit iTunes, Google und Amazon haben wir drei große Player, die stark expandieren. Das Volumen der bezahlten Musik wird sich deutlich erhöhen. Die Zahl der Menschen, die potenziell Zugang zum Apple-Vertriebsmodell haben, ist in den vergangenen zwei Jahren von 900 Millionen auf 3,5 Milliarden gewachsen. Es wird mehr werden, aber auch deutlich fragmentierter. Was ein guter Effekt ist: Vielfalt treibt den Markt.

Rabe: Gute Aussichten auch für den ROLLING STONE. Musikmagazine werden wichtig bleiben.

Masuch: Die Diskussion über Musik, die redaktionelle Wertung, das ist glaubwürdiger als User-Bewertungen auf großen Portalen. Da sitzen im Zweifelsfall Mitarbeiter einer Plattenfirma nächtelang und schreiben Rezensionen. Das merken die Leute ja auch. Die kompetente, dezidierte Meinung hat demgegenüber einen viel höheren Wert.

NOCH WIRD DAS GELD MIT DER CD VERDIENT

14 Jahre nach dem Branchen-Schock, ausgelöst durch die Peer-to-peer-Plattform Napster, werden in Deutschland weiterhin viele Tonträger verkauft. Das Online-Geschäft wächst zwar munter -doch langsamer als in Skandinavien oder den USA.

Der Gesamtumsatz mit Musikverkäufen ist 2012 moderat gesunken, um 3,2 % auf 1,44 Milliarden Euro. Streaming als Hoffnungsträger steigt zwar stark an (38,7 %), ist aber mit rund 36 Millionen Euro (Abo-Gebühren und Werbung) noch ein zartes Umsatz-Pflänzchen. Der Weltverband ifpi bestätigt mit aktuellen Zahlen den Retro-Trend zum Vinyl: 52 %Wachstum in 2012 auf eine international ermittelte Umsatzsumme von 131,2 Millionen Euro. Der RS-Investitionstipp: Presswerk eröffnen! (Quellen: BVMI, ifpi)

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