Ungebeugt in karger Zeit
„"Don't Believe The Truth" heißt das neue Album von Oasis, das nach drei harten Jahren doch noch geglückt ist. Aber man darf Noel Gallagher ruhig glauben, wenn er von Teamplay und Gelassenheit spricht, wenn er Coldplay dankt und seine Band als Außenseiter sieht. Die neue Bescheidenheit steht ihm.
Es hätte alles so einfach sein können. Aebr drei Jahren, nachdem Oasis gerade „Heathen Chemistry“ ‚veröffentlicht hatten, schrieb Noel Gallagher schon wieder neue Songs, nach eigenem Bekunden sogar bessere. Seine Band tourte durch die Welt, und recht bald wollten sie das nächste Album aufnehmen. Nur nicht müde werden. Mehr als zwei Jahre zwischen zwei Platten, mit dem Gedanken konnten sich Oasis nie anfreunden. Mehr als zwei Monate nicht in der britischen Presse aufzutauchen, das war für Liam Gallagher ein Alptraum.
Aber dann griff wieder die alte Oasis-Regel: Wenn alles gut aussieht, geht garantiert fast alles schief. Liam verlor bei einem Faustkampf im Münchner „Hilton“-Hotel zwei Vorderzähne, die Tournee wurde abgebrochen, dann der Schlagzeuger gefeuert. Als es schließlich ins Studio ging, hörte man nur Horrornachrichten: Mehr als 50 Songs hätten sie bereits verworfen, die Produzenten gewechselt, immer wieder neu begonnen. Liam sorge sich schon, daß das alles nichts mehr wird. Nie mehr.
Aber natürlich ist es was geworden, und sogar etwas Gutes. Das sechste Studioalbum „Don’t Believe The Truth“ knüpft da an, wo „Heathen Chemistry“ aufhörte: Es konzentriert sich auf den Oasis-eigenen Britpop, auf große Melodien, Gitarren, große Gesangsversuche, große attitude. Darunter machen es Oasis nicht, auch wenn Noel heutzutage bescheidener denn je auftritt.
Mit Ray-Ban-Brille und Strubbelhaaren schlendert er vormittags in die Suite im Berliner „Hyatt“. Er ist am Vorabend ordnungsgemäß kurz nach Mitternacht zu Bett gegangen, er wirkt fit und wie immer etwas ungeduldig. Es ist kein Tee da? Nimmt er eben Kaffee. Als sein Manager noch ein bißchen mit den Kannen tüdelt, raunzt er ihn an: „Verschwende doch nicht unsere Zeit!“ Er hat wieder viel zu berichten. Mehr, als ihm lieb ist Es hätte alles so einfach sein können.— Vor zwei Jahren gingen Oasis mit dem Produzenten-DJ-Duo Death In Vegas ins Sawmills-Studio zu Cornwall, sie waren guter Dinge. Zehn Lieder hatten sie zusammen, aber die Aufnahmen gerieten ins Stocken. Noel verzieht das Gesicht, als er sich an die verfahrene Situation erinnert: „Es klang einfach alles nicht richtig. Wir haben ein paar Monate lang versucht, alles leicht zu nehmen. Es gab ja keinen Grund zur Panik. Jedes Mal, wenn wir einen Schritt weitergegangen waren, schien die neue besser als die letzte Version zu sein.“
Natürlich hätte Noel auch wieder selbst produzieren können, aber das langweilt ihn inzwischen. Und außerdem hat er – das mag jetzt überraschend sein – wenig Lust, seine Kollegen herumzukommandieren: „Jedes Mal, wenn ich produziert habe, kam es mir vor, als wäre ich nicht in der Band. Es kam mir von als arbeitete ich für sie. Und diesmal wollte ich mehr von diesem Band-Gefühl haben. Jetzt, da jeder Songs schreibt und nicht nur ich, dachte ich, es wäre besser, wenn man einen Produzenten hätte, der einem objektiv sagt, was er von den einzelnen Songs hält. Paul McCartney hat ja auch nicht die Beatles produziert! Ich bin zwar ziemlich fair; was die Songs anderer Leute betrifft, aber es hätte doch schwierig werden können. Also habe ich mich zurückgezogen, und beim nächsten Album werde ich es auch nicht machen. Mit Produzieren bin ich durch.“ Am Ende von ein paar recht unergiebigen Wochen mußten sich Oasis allerdings eingestehen, daß das mit Death In Vegas nichts wird. Also gingen sie nach Los Angeles. Ausgerechnet. Alle früheren Amerika-Ausflüge der Briten waren ja mehr oder weniger im Chaos geendet. Glücklicherweise fanden sie in Dave Sardy einen, der sie verstand. Vor allem aber lag es an der Band selbst, daß endlich etwas zustande kam. Gallagher will jedenfalls nicht Death In Vegas die Schuld geben, er sucht sie ausnahmsweise bei sich selbst: „Als wir nach Cornwall kamen, hatten wir gerade mal zehn Songs, und von denen waren sechs einfach nicht so gut, aber das fiel uns erst nach ungefähr einem Monat auf. Da war es sinnlos, mit den Aufnahmen weiterzumachen. Natürlich waren Death In Vegas verwirrt, weil sie fanden, das klänge großartig, aber wir fanden das nicht. Ich zumindest nicht. Also gingen wir heim und schrieben noch mehr. Und als wir bei Dave ankamen, stimmten die Voraussetzungen.“ Die Lieder, die aus Cornwall übrig geblieben waren: Noels „Mucky Fingers“, Liams „Meaning Of Soul“, „A Bell Will Ring“ von Gitarrist Gern Archer, „Turn Up The Sun“ von Bassist Andy Bell.
Das zeigt schon das neue Teamwork bei Oasis: Am Ende sind nur fünf Songs von Noel auf dem neuen Album gelandet, drei von Liam, zwei von Andy, einer von Gem. Wobei die von Noel zweifellos die besten sind. Auch wenn „Lyta“ The Who beleiht und „Mucky Fingers“ Velvet Underground (wobei Reed und Cale vielleicht nicht von schmutzigen Fingern gesungen hätten), klingen seine Stücke am Ende doch dermaßen nach Oasis, daß es ein Fest ist Zwischendurch, das gibt Noel zu, wußte er selbst nicht, ob sie irgendwann noch ein gutes Album zustande bringen würden. Aber eins weiß er dafür immer: wann es nicht gut ist Er war sich da mit den anderen nicht einig, bestand jedoch auf sein Veto-Recht, Alle fanden, die Death In Vegas-Sessions liefen okay, aber ich habe gemerkt, daß es so nicht funktioniert – und dann einen Schlußstrich gezogen. Erst in Los Angeles fingen die Lieder plötzlich an zu leben. Ich bescheiße mich da nicht selbst Ich weiß, wenn etwas nicht großartig ist – die Erfahrung habe ich, nachdem wir in der Vergangenheit ein paar nicht so großartige Alben gemacht haben.“ Aha! Hört man da Selbstzweifel? Findet er nicht mehr jedes Oasis-Werk fucking brilliant? Noel seufzt – und sagt dann die Wahrheit: „Ich denke, ,Be Here Now‘ und ,Standing On The Shoulder Of Giants‘ haben sich über die Jahre nicht bewährt. Es gibt gute Songs auf diesen Alben, aber im Ganzen sind sie nicht so großartig. ,Be Here Now‘ wäre natürlich in jedem Fall als Flop behandelt worden, nach ,Morning Glory‘ war das klar. Das hat mich nicht so lange beschäftigt. ,Standing On The Shoulder Of Giants‘ hat tolle Texte, damit habe ich mir mehr Zeit gelassen als mit der Musik. Es gibt vielleicht vier tolle Songs darauf, aber als Album hält es nicht durch. Sowas muß man eben durchleben, um weiterzukommen. Bei „Heathen Chemistry‘ haben wir es dann wieder richtig gemacht.“ Heute mag er aus der schwierigen Zeit nur noch Lieder wie „Fucking In The Bushes“, „Go Let It Out“ und „Gas Panic“ ganz gern, den Rest ignoriert er lieber. Natürlich war es spannend, mit Drum-Computern und tanzbaren Beats zu experimentieren, aber letztlich war das alles weder Fisch noch Fleisch: nicht gekonnt klassisch, aber auch nicht gewagt genug. Vor allem fehlten die zwingenden Songs, da faßt sich Noel an die eigene Nase: „Damals war ich ja noch der Haupt-Songwriter, und ich fand es schwer, genug Lieder für ein großartiges Album zusammenzutragen.“ Heute ist alles anders bei Oasis, eben weil jeder komponieren darf. Ja, der Chief wünscht das sogar ausdrücklich – er hat keine Lust mehr, für alles allein verantwortlich zu sein.
Neuerdings gibt es gleich vier Songschreiber bei Oasis. Wie kam’s?
Es war ein Glück für uns, daß damals Bonehead und Guigsy gingen und wir Andy und Gern in die Band brachten. Die waren bereit eigene Songs beizutragen. Anfangs war’s ein bißchen peinlich, weil sie versuchten, typische Oasis-Songs zu schreiben, und sie spielten sie uns vor, und wir fanden es furchtbar. Also machten wir ihnen klar, daß sie schreiben können, was sie wollen, es muß nicht so-und-so klingen, es muß nur gut sein.
Fiel es dir leicht, dich an das Teamplay zu gewöhnen?
Ich habe früher nie verstanden, warum wir uns eigentlich den Oasis-Ruhm teilen. Als die „Morning Glory“-Welttour begann, erzählten uns alle, wie toll Oasis sind, und ich fragte mich immer: Was heißt das? Ich schreibe doch alle Songs, ich mache alle Interviews, ich habe alle Ideen für die Videos, ich entscheide über die Setlist ich produziere. Was hat das also verdammt noch mal alles mit Oasis zu tun? Niemand sonst macht irgendwas. Das hat mich schon angekotzt. Ich habe es nicht gesagt aber ich fand es scheiße. Das war doch keine Band, das war ich – ein verdammtes Soloprojekt mit all diesen anderen Leuten, die ihm Rampenlicht stehen und hurra schreien, sind wir nicht großartig!
Also warst du es, der das unbedingt ändern wollte?
Klar. Wenn wir jetzt mit einem neuen Album anfangen, frage ich, ob jemand Songs hat Wenn alle nein sagen oder die Ideen nicht gut genug sind, fangen wir gleich gar nicht an. Denn ich werde nie mehr alles allein machen. Wenn ich mal wieder alles allein mache, dann steht mein Name auf dem Cover.
Hast du mal ernsthaft an ein Soloalbum gedacht?
Ich denke oft darüber nach. Weil es eben keinen Sinn ergibt in einer Band zu sein, wenn sich nicht die ganze Band anstrengt. Warum soll man zu einer Gruppe gehören, wenn man dann doch nur all die Arbeit allein macht? Schau dich doch um. Siehst du hier noch jemanden? Keiner macht irgendwas. Alle sitzen zu Hause in England rum und haben einen schönen freien Tag. Das ärgert mich ein bißchen. Okay, ich verstehe, daß sie vielleicht nicht so viel zu sagen haben.
Für Andy und Gern mag das gelten, aber mit Liam würden viele gern reden wollen, wenn er dazu bereit wäre…
Liam is just lazy. He truly knows the importance of being idle. Wir streiten uns nicht mehr deshalb, aber ich jammere immer noch meinen Manager damit voll. Man kann halt auch nur so und so viele Stunden reden, bevor es grauenvoll wird. Du hast Glück, daß du heute die Erste bist. Wenn es erst mal fünf Uhr nachmittags ist, werde ich so genervt sein, daß mir nichts mehr einfällt. Aber das gehört alles zum Job.
2002 hast du gesagt, in ein paar Jahren wird Liam ein so guter Songwriter sein wie du. Was denkst du jetzt?
Was denkst du denn?
Es dauert vielleicht doch noch ein paar Jahre länger.
Haha. Also, ich mag seine Songs. Bei den Texten bin ich mir nicht so sicher. Aber er hat etwas. Es wäre falsch, seine Songs mit meinen zu vergleichen – und sich zu fragen, ob „Songbird“ so gut wie „Don’t Look Back In Anger“ ist. Das wäre unfair.
Aber leidet nicht die Qualität des Albums darunter, wenn er drei Songs einbringt – und du doch denkst, deine wären besser?
Vielleicht bin ich einfach sehr nett zu ihm, weil er mein Bruder ist Aber ich mag diese naive Energie seiner Stücke – die hatte ich bei „Definitely Maybe“ auch noch. Man hört, daß er erst vor kurzem damit angefangen hat, Songs zu schreiben. Während man etwa bei „The Importance Of Being Idle“ hört, daß ich das seit fast 20 Jahren mache.
Das ist dann auch der beste Song.
Stimmt Als wir nach den Death In Vegas-Sessions wieder fast bei null angekommen waren, war das der erste neue Song, der mir einfiel. Ich fand ihn großartig, und dann ging es ganz, ganz schnell mit anderen Stücken weiter. Da war die Inspiration wieder gefunden.
Dazu entdeckte Noel noch eine „ganz andere Stimme“ an sich, über die sich die Leute – so hofft er – wundern werden. Das Singen fallt ihm immer leichter, Komponieren ist auch kein Problem. Aber die Texte! Auch nach fast 20 Jahren liegt er mit den Worten im Clinch, kämpft er mit den Zeilen, bis sie sich ihm irgendwie fügen. „The lyrics!“‚, ruft er aus, heftig den Kopf schüttelnd. „They’re a fucking funny thing. Es ist so komisch, Worte zu schreiben. Ich hab das nie ganz kapiert Ich muß echt hart daran arbeiten, immer wieder umschreiben und so. Wenn dich die Melodie inspiriert, sollte es eigentlich schnell gehen. Aber manche Texte brauchen verdammt lang. Ewig. Der Text zu ,Let There Be Love‘ hat siebeneinhalb Jahre gedauert Nicht, daß der Song nicht großartig wäre – da war das Problem eher das Gegenteil: Der Song war so gut, daß der Text nie gut genug dafür zu sein schien.“
Am Ende wurde es ein versöhnliches Stück, auf fast psychedelische Weise harmoniesuchend: „I hope the weather is calm as you sail up your heavenly stream/ Suspended dear in the sky are the words that we sing in our dreams/ Let there be love…“ Die Brüder singen das Lied auch noch gemeinsam – das war Dave Sardys Idee, und Noel fand sie zuerst doof. „Es mag seltsam klingen, aber ich selbst habe nie so ganz verstanden, worum es bei Oasis eigentlich ging. Man braucht jemanden von außen, um das alles zu verstehen. Gerade ein Amerikaner, den man noch nie getroffen hat der mit Marilyn Manson, Nine Inch Nails, Jet gearbeitet hatte der hat ja eine ganz andere Perspektive. Wir wollten ,Let There Be Love‘ gar nicht auf dem Album haben, aber er meinte, wenn die Leute Oasis hören, wollen sie auf jeden Fall mindestens einen solchen Song.“ Eine Hymne. Noel verzieht das Gesicht zu einer ungläubigen Grimasse – die hat Sardy bestimmt gefallen. „Wirklich?“ Am Ende hatte es eher pragmatische Gründe, daß beim Gesang beide zum Zug kamen: „Ich hatte die Vocals schon mal aufgenommen, um eine Vorstellung davon zu haben, wie es klingen sollte. Dann kam Liam – und der kämpfte mit den hohen Stellen. Also meinte Dave, laß diese Stellen doch Noel machen. Ich wollte nicht, daß die Leute denken: Aha, die verdammten Gallaghers! The fucking self-righteous brothers! But it’s not really that cheesy…“
Die selbstgerechten Brüder sind seit jeher der Kern von Oasis, aber die ständigen Umbesetzungen in der Band machen sie nicht gerade glücklich. Diesmal ging Alan White, der Schlagzeuger, aus nicht genauer definierten Gründen. Ersatz war relativ schnell gefunden. Zak Starkey, der Sohn von Ringo Starr, wurde von The Who abgeworben – und wenn es nach Noel geht, bleibt er dabei: „Zak ist so lange in der Band, wie er will. Er kommt mit auf Tour, er hat auf der Platte gespielt Er war auch in Johnny Marrs Band The Healers, daher kannten wir ihn. Als der Platz bei uns frei wurde, war er der Erste, den wir fragten. Er sagte zu, wollte aber erst seine Arbeit mit The Who beenden. Wir mußten zwei Monate warten, bis er Zeit hatte.“
Was schon einiges über die Begeisterung für den Drummer sagt, denn Geduld ist ja nicht gerade die erste Tugend der Gallaghers. Sauer ist nun wiederum Pete Townshend, der auf seiner Website verlauten ließ, daß es erst einmal kein neues Who-Album gebe, weil ihnen leider der Schlagzeuger abhanden gekommen sei. Bulshit, sagt Noel: „Ich glaube, das stimmt so nicht. Pete beschwert sich nur gern. Die hätten doch nie eine Platte gemacht. Sie haben bereits 30 Jahre damit gewartet, da kann doch jetzt nicht Zak Starkey schuld sein, der mit Oasis durchgebrannt ist Sie haben ihn uns weggenommen, Jammer, Jammer! Also bitte. Pete möchte doch nur, daß man ihn bemitleidet“
Oasis haben sich Starkey nicht nur ausgesucht, weil er so ein guter Musiker ist. Das war gar nicht das entscheidende Kriterium. Um bei Oasis durchzuhalten, spielen andere Qualifikationen eine größere Rolle: „Man braucht sehr dicke Haut. Und einen sehr, sehr guten Sinn für Humor. Man darf nicht in Panik geraten. Gerade bei den Aufnahmen zu diesem Album ist vieles… zwar nicht schiefgelaufen, aber eben auch nicht so, wie es geplant war. Man darf sich dann nicht aufregen. Und man muß eine anständige Frisur haben.“
Sein eigener Bruder kann zumindest eine dieser Anforderung nur selten. erfüllen, das gibt Noel zu: „Liam ist der Einzige, der Panik verbreitet Meistens kann man ihn beruhigen. Oder man muß ihn ignorieren. Er tendiert dazu, viel zu schreien. Aber ich finde das amüsant Da greift wieder der Humor: Wir lachen einfach über ihn. Dann wird er noch wütender Und dann finden wir das noch lustiger.“
Man kann sich ungefähr vorstellen, wie entzückt Liam war, als Noel ihn neulich mit einer Frau verglich, die permanent menstruiert. Trotz aller Komplikationen scheint es bei Oasis jetzt nicht mehr ganz so viel Drama, so viel Chaos zu geben. Empfindest du die Lage auch als entspannter?
Es ist schon einfacher geworden, ein Teil von Oasis zu sein. Als wir anfingen, gab es praktisch keine Band auf dieser Welt – abgesehen von U2 -, die so gut war wie wir. Und wir wurden auf dieses Podest gestellt und waren die Retter der britischen Musik. Aber jetzt, mit Coldplay und Radiohead und all diesen Bands – die nehmen uns den Druck weg. Wir wurden damals nach Amerika geschickt, und es wurde erwartet, daß wir den großen Durchbruch schaffen. Kommt bloß nicht zurück, bevor ihr die Kings seid! Das hat nicht ganz geklappt Da kam die negative Presse, sofort Jetzt gibt es einige großartige Bands, während es vor zehn Jahren nur eine gab.
Aber bedeutet das nicht auch mehr Konkurrenz?
Ich sehe da keine Konkurrenz, das ist mir egal. Unser Platz in der Geschichte ist uns sicher. Außerdem denke ich, daß keine der aktuellen Bands ein Album schreiben wird, das mehr verkauft als „Morning Glory“ oder mehr bedeutet als „Definitely Maybe“. Das sehe ich noch nicht. Bekommt ihr inzwischen den angemessenen Respekt, den du immer für Oasis eingefordert hast?
Wir bekommen jetzt auf jeden Fall mehr Respekt, einfach weil wir durchgehalten haben. Es gab zwischendurch Tiefpunkte, an denen mich nichts mehr interessiert hat Songschreiben wurde zum Beruf, es war keine Berufung mehr. Während ich jetzt wieder ganz enthusiastisch bin. Ich glaube, der Aufstieg von Coldplay, die kurz nach uns kamen, hat mir dabei geholfen. Die Leute schauen jetzt auf sie, die sollen jetzt die großartigen Songs schreiben und die Musikszene weiterbringen und all das, während wir einfach tun können, was wir wollen. Das Scheinwerferlicht hat sich verändert, und das gefallt mir irgendwie. Wir fühlen uns wieder wie Outsider, das mag ich. Als wir at the top waren, habe ich mich nie richtig wohlgefühlt. Obwohl mir das Geld gut gefallen hat!
Hast du je daran gedacht, ganz aufzuhören, dir die Strapazen zu sparen?
Nein, warum auch? Ich mache viel Urlaub. Zudem empfinde ich Album-Aufnahmen nicht mehr als Herausforderung. Wir denken auch nicht mehi; daß wir besser als andere sein müssen. Das haben wir alles in den 90ern durchgemacht, es wurde unglaublich aufgebauscht Aber wir haben es überstanden, und jetzt spielt solcher Kram keine Rolle mehr. Wenn ich sechs oder sieben gute Songs geschrieben habe, bin ich zufrieden. Wir müssen nicht mehr als alle anderen verkaufen oder größere Konzerte spielen oder besser als alle anderen sein. Das habe ich hinter min Im Innern denke ich sowieso, daß wir besser als alle anderen sind! Aber ich bin nicht mehr dran interessiert, das publik zu machen. Was mir wichtig ist: daß Oasis-Fans neue Musik zu hören bekommen, die gut ist. Daß wir die Songs live präsentieren können. Das ist alles.
Wenn er nicht auf Tournee ist, lebt Noel Gallagher immer noch in London. Seit ein paar Jahren und trotz einer kurzen Vertrauenskrise vor einigen Monaten hat er dieselbe Freundin, PR-Frau Sara MacDonald. Seine Tochter Anais ist mittlerweile fünf, ihr zuliebe hat er mit Ex-Frau Meg Matthews Frieden geschlossen. Selbst in Liams Leben ist Ruhe eingekehrt. Er besucht mit Freundin Nicole Appleton sogar schon „SpongeBob“-Premieren.
Aber so ausgeglichen und zufrieden, wie es scheint, kann Noel doch nicht sein. Gleich zwei Songs auf „Don’t Believe The Truth“ beschäftigen sich mit seiner Haßliebe zur Hauptstadt: „Mucky Fingers“ und „Part Of The Queue“, in dem es heißt: „Every beginning is breaking hs promise/ Fm having trouble just finding some soul in this town/ The names on the faces in places they mean nothing to me/ It’s all they can do to be part of the queue in this town.“
Entgegen anders lautender Pressemitteilungen schrieb Gallagher das Stück nicht, weil er für eine Tüte Milch zu lange anstehen mußte, sondern weil er Woche für Woche beim Shoppen scheitert „Ich habe London ein bißchen satt. Ich bin vor zwölf Jahren, mit 25, hingezogen, es ist ein toller Ort zum Leben und Arbeiten, aber es ist so überfüllt So viele verdammte Leute, man muß dauernd in der Schlange stehen und warten. In den Läden ist es wie im verdammten Rußland.“ Aber warum kauft Noel eigentlich immer noch selbst ein?“Ich weiß, als großer Rockstar sollte ich Menschen haben, die für mich Essen einkaufen.“ Er brüllt nach seiner Assistentin und fragt sie, warum sie das denn noch nicht für ihn übernommen hat. Sie lächelt nur. Und Noel muß zugeben, daß er Großstädte zwar „gesichtslos und anonym“ findet, aber daß er andererseits ja noch nie auf dem Land gelebt hat. Wahrscheinlich würde er sich zu Tode langweilen.
Daß er permanent erkannt wird, ist für ihn auf jeden Fall kein Grund, das Weite zu suchen. Auch da legt er eine erstaunlich entspannte Einstellung an den Tag: „Ich werde nicht oft gestört, und wenn ich gestört werde, stört mich das nicht Wirklich! Es macht mir nichts aus, Autogramme zu geben. Natürlich starrt einen dauernd jemand an, aber dann starre ich eben zurück. Ich mag nur nicht gern fotografiert werden, und besonders diese Kameras in Telefonen hasse ich. Die Paparazzis ärgern mich nicht, ich kümmere mich kaum darum. Ich werde mich nicht auf der Straße mit ihnen rumprügeln wie Liam. Das lohnt sich nicht“ Wenn sein Bruder doch nur ähnlich einsichtig wäre. Aber diese Hoffnung hat Noel aufgegeben: „Es ist unmöglich, Liam diese Gelassenheit beizubringen. Wenn Liam einen Paparazzi mit einer Kamera sieht, repräsentiert dieser Typ für ihn all die negative Presse, die er je bekommen hat. Er nimmt das sehr persönlich und denkt, er ist ein Soldat, der das gesamte Massenmedien-System bekämpft. Während ich nur einen Typen mit einer Kamera sehe, der versucht, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Solange sie auf der anderen Straßenseite bleiben, ist mir das recht. Wenn sie dir ins Gesicht springen, wird es natürlich unangenehm.“ Ob Liam glücklich wäre, wenn plötzlich gar kein Reporter mehr da wäre und sich keiner für ihn interessieren würde?
„Liam is not a seifpromoter or an attention seeker. Really! Er ruft keine Paparazzis an, wie andere Prominente. Er mag es allerdings schon, wenn er seinen Namen in der Zeitung sieht Aber Bilder von sich mag er nicht Was natürlich ein Widerspruch ist. Mir ist das egal.“
In gewohnt großmäuliger Manier schwafelte Liam vor der Veröffentlichung des neuen Werkes schon davon, daß es ein Doppelalbum hätte werden können, man jedoch keine Lust hatte, Sony so viele Lieder zu schenken. Noel winkt ab: „Er hat das nicht zu entscheiden.“ Tatsächlich gab es aber schon ein paar Reibereien mit der Plattenfirma. Beispiel Single. Noel wollte „Lyla“ nicht einmal auf dem Album. „Aber unsere Experten in London entschieden, daß all die anderen Tracks nicht gut genug fürs Radio waren. Ich war ehrlich gesagt überrascht von dieser Expertise. Aber okay. Wir spielten ihnen „Lyla‘ vor, das übriggeblieben war, und sie wollten es haben. Fair enough. Wenn es Alben verkauft. Ich mag den Song, aber ich hätte ihn bestimmt nicht als Single ausgewählt“
„Don’t Believe The Truth“ ist das letzte Album des Vertrags mit Sony, die Zukunft ist ungewiß. Natürlich überschlagen sich diverse Labels mit Angeboten, aber Noel weiß noch nicht, was werden wird. Angeblich will er gar nicht so viel Zeit auf solche geschäftlichen Angelegenheiten verschwenden: „Das muß unser Manager entscheiden. Ich verstehe immer noch nicht, wie das Musikgeschäft funktioniert. Ich habe auch nie kapiert, wie Leute Millionen Platten verkaufen können und immer noch Schulden haben. Oasis ist das zum Glück nie passiert, aber man hört ja dauernd so was. Jedenfalls soll unser Manager sagen, was wir als nächstes machen – ob wir einen neuen Vertrag unterschreiben oder was auch immer. Wen interessiert’s? Das klingt doch gut: Ich habe zurzeit keinen Plattenvertrag!‘ Aber natürlich müssen wir uns demnächst zusammensetzen und das diskutieren. Solchen Kram finde ich aber weder interessant noch angenehm. Nur nervig. Anwälte, Manager, Band, viel Papier. Schlimm. Jemand soll mir bitte sagen, was ich tun soll, we’ll see.“ Die nächsten Monate sind sowieso verplant: Oasis gehen wieder auf Tournee, alle Konzerte in Großbritannien waren innerhalb einer Stunde ausverkauft, das in der Berliner Columbiahalle am 6. Juni ebenso. Selbst in Amerika läuft es: Für den Gig im Madison Square Garden am 22. Juni waren binnen 40 Minuten alle Karten weg. Aber Noel will sich noch nicht zu früh freuen. Dafür sind die Erinnerungen an den letzten US-Versuch 2002 noch zu frisch: Damals mußten sie alle Westküsten-Termine streichen, weil Liam die Zähne verloren hatte. Aber jeden Abend spielen, die Leute flippen aus – und dafür bekommt man noch ’nen dicken Scheck“, das gefällt Noel schon.
Daß es Rockstars in seinem Alter geben soll, die ihrer Familie zuliebe nicht mehr monatelang unterwegs sein wollen, kann er sich gar nicht vorstellen. „Ich kann’s kaum erwarten, von meinem Kind wegzukommen. Weißt du, wie wild und laut Kinder sind? Too fucking loud! Just shut up! Ich werde losziehen, tagsüber auf dem Bett sitzen, abends ein bißchen spielen. Easy. Kinder schreien einfach die ganze Zeit. Da gehe ich lieber auf Tour.“ Das klingt überzeugend, aber dann hält er kurz inne – und lacht plötzlich sehr laut „Mit einem genauso lauten, großen Kind – das ist der Haken! Ich verlasse das eine für das andere!“