The Edge
Der U2-Gitarrist über die neuen Songs, George W. Bush, einen Disput mit Bono und jugendliches Luftgitarrespielen
Er war immer das Gegenteil eines Gitarren-Helden. Mit ihm verbindet man keine breitbeinigen Posen, seine Soli, wenn er überhaupt welche spielt, sind stets sehr kurz, und statt Riffs zu schrubben, verknüpft er die Akkorde zu einem filigranen Klangteppich, der längst sein Markenzeichen geworden ist Dave Evans, den sogar seine Mutter mit seinem Künstlernamen The Edge anspricht, ist der Anti-Held unter den Gitarristen.
Einem Fernsehteam, das ihn mal im Studio nach seiner innovativsten Gitarrenarbeit befragte, spielte er wortlos das Master-Tape von „With Or Without You“ vor – nur den Abspann, eine schlichte Akkordfolge, die sich immer wiederholt und dann schließlich langsam ausklingt Weniger ist mehr. „Besser kann ich es nicht machen“, sagte er und blickte ein bisschen verschämt in die Kamera.
Das Understatement ist typisch für den Mann mit der sanften Stimme. Der 41-Jährige ist der Sound-Architekt und ruhende Pol von U2 und somit der größte anzunehmende Kontrast zu Zampano Bono, dem rastlosen Grenzgänger zwischen Pop und Politik. Mit „Best 0/1990 -2000“ haben die Iren jetzt die zweite Rückschau veröffentlicht Dazu haben sie zwei neue Songs aufgenommen – „The Hands That Built America“, der Soundtrack zu dem neuen Scorsese-Film, und „Electrical Storm“. Die Lieder sind nach dem 11. September entstanden.
Gibt es einen Protest-Song, dem du zeitlose Klasse attestieren würdest?
Mal überlegen. Ich mag es, wenn Musik etwas ausdrückt, was Worte allein nicht sagen können. Insofern wäre „Machine Gun“ von Hendrix mein Favorit Der Song fasst für mich auf sehr verstörende Weise den Vietnam-Krieg zusammen. Er ist wie ein Gemälde dieses Krieges – mit all seinen Schattierungen. Das ist aber mehr ein Verdienst der Musik als des Textes.
Springsteen hat den 11. September in seinem Gospel-Requiem „The Rising“ verarbeitet, andere Kollegen schrieben lieber patriotische Durchhalte-Refrains. Paul McCartney knödelte „Fight for the right to live in freedom“, Neil Young grummelte „Let’s roll“ . Und Bon Jovi empfehlen sich in Zeiten, da George Bush einen neuen Krieg gegen den Irak vorbereitet, mit Zeilen wie „Now we stand united, we stand as one“ als gute Amerikaner. Wie kommt es, dass Protest und Pop im Moment so gar nicht zusammen passen?
Gute Frage. Nun waren viele dieser Songs sicher eine unmittelbare Reaktion auf den 11. September. Ich glaube nicht dass Pop deshalb seinen politischen Instinkt verloren hat. Springsteen hat sich dem Thema ja auf eine unpatriotische Weise genähert, trauert in behutsamen, nachdenklichen Texten. Wenn die USA einen Krieg gegen den Irak beginnen würden, was hoffentlich nicht passieren wird, würde sich auch im Pop Protest regen.
Aber selbst U2 haben mit „The Hands That Built America“ erst mal Balsam auf die verwundete amerika- nische Seele gestrichen.
Es ist zunächst der Soundtrack-Song zu Martin Scorseses Film „The Gangs Of New York“, der von der Geburt Amerikas handelt Wir hatten das Lied vor dem 11. September begonnen, aber wir haben die letzten Textzeilen erst nach dem Anschlag geschrieben.
„There’s a cloud on the New York Skyline“?
Ja, wie viele andere Menschen haben auch wir zuerst mit den Opfern gefühlt, besonders mit den Feuerwehrleuten, Männern, die einfach ihren Job machten, in die brennenden Türme gingen, um andere zu retten und dabei selbst ums Leben kamen. Diese Solidarität war ja auch angemessen. Das waren doch ganz normale Menschen, die hatten nichts mit den Macht-Strategen in Washington zu tun.
„Electrical Storm“ beschreibt die Spannung vor einem aufbrausenden Sturm – eine Metapher für die derzeitige diffuse globale Verunsicherung?
Zuerst mal ist es ein Liebeslied, aber ein Lied über die Liebe in einer seltsamen, verwirrten Zeit. Wir wollten diese „Wer weiß, was passieren wird?“-Atmosphäre seit dem 11. September einfangen. Es spiegelt eine Stimmung wieder, die bis heute andauert. Aber es ist kein Kommentar zur politischen Großwetterlage. Ich glaube, im Moment halten alle den Atem an, hoffen, dass es keinen Krieg gegen den Irak, sondern eine diplomatische Lösung des Konflikts geben wird. Ich hoffe, dass die Drohungen der USA Bluff sind, dass sie nichts unternehmen, ohne die UN einzubinden. Ein Horror-Szenario. Ein Alleingang der USA wäre fatal. Die gegenwärtige US-Politik hat oft nur noch wenig mit der multilateralen Weltsicht von Bill Clinton gemeinsam.
U2 waren zuletzt monatelang in den USA auf Tournee. Inwiefern hat sich das Land nach Clintons Abgang verändert?
Wir waren auch nach den Anschlägen auf Tour in den Staaten. Was soll ich sagen? Eine Einteilung der Welt in Gut und Böse ist kein Konzept. Aber neben dem Schlachtgetöse der neuen kalten Krieger habe ich dort auch andere Stimmen gehört. Leute, die ich am Rande der Konzerte traf. Viele sagten: „Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Wir müssen uns fragen, warum uns die Welt so hasst.“ Zu einer globalen Verantwortung gehörte es, die Ursprünge des Terrors zu erkennen – das Gefalle zwischen Erster und Dritter Welt. Ein Thema, dass Bono übrigens auf seiner Mission für den Schuldenerlass der armen Länder ständig in die Öffentlichkeit bringt. Viele Menschen in den Entwicklungsländern fühlen sich vom Westen über den Tisch gezogen. Diese Situation ist ein Nährboden für Extremisten.
Ende der 80er Jahre haben U2 oft gejammert, man würde sie zu ernst nehmen. In den 90ern versuchtet ihr, die Ernsthaftigkeit mit Satire auszutreiben: Du etwa stiefeltest in einem überdimensionalen Cowboy-Hut aus einer Riesen-Zitrone. Unlängst hat „Time“ Bono auf den Titel genommen und ganz ernsthaft gefragt: „Can Bono save the world?“ Ist jetzt wieder Schluss mit lustig?
Ich habe mittlerweile akzeptiert, dass U2 musikalisch und politisch relevant sind. In den 80ern war die Situation noch eine andere: Die Medien hatten Karikaturen von uns gezeichnet und wir selbst hatten dabei geholfen. Wir waren die rockenden Gutmenschen.
Mit Verlaub – was hat sich daran denn jetzt geändert?
Wir fühlen uns heute sicher genug, unsere Hosen runterzulassen – zu sagen: So sind wir nun mal. Wir sind vier vom Glück verwöhnte, vielleicht sogar talentierte Arschlöcher, aber das bedeutet nicht, dass wir unsere Position nicht für ernste Anliegen nutzen. Und die Leute unterscheiden zwischen unserer Musik und der Sache. Bei der Entschuldungskampagne geht es weniger um Bono, es geht um die Sache, die er unterstützt. Es frisst sehr viel seiner Zeit, aber wir können damit leben. Die Musik kommt zuerst, dann die Politik.
Nervt es denn nicht manchmal, jemanden um sich zu haben, der unablässig zwischen Superman und Clark Kent, zwischen Rock-Star und bierernstem Polit-Aktivisten hinund herwechselt?
Die Frontmänner in Rockbands sind nun mal große Kommunikatoren, das ist ihr Job, dafür sind sie da. Bei Bono hat es sich so entwickelt, dass er seine Ideen eben nicht nur einem U2-Publikum vermitteln kann. Er hat das jetzt auch auf der politischen Ebene geschafft. Sein Job ist ganz einfach: Er posiert mit ihnen für ein Foto, lässt sie gut aussehen, wenn sie ihm helfen, den Schuldenerlass voranzutreiben.
Wird das nicht auf Dauer etwas ermüdend?
Er weiß, wie uncool er ist. Es sieht für einen Rock’n’Roller überhaupt nicht gut aus, wenn er sich ständig mit Politikern umgibt. Aber das ist ihm völlig egal. Er sagt uns immer: „Ich halte diese Kampagne am Laufen, so lange ich kann, und ich presse so viel wie möglich aus diesen Typen heraus.“
Das scheint sich zu einer unendlichen Geschichte auszuwachsen: Vor drei Jahren schien er von Clinton bis zum Papst jedem die Hand geschüttelt zu haben, der etwas zu sagen hatte. Aber er lässt sich nicht stoppen, ist auch vor Putin und George Bush nicht zurückgeschreckt. Aber gerade durch seine Hartnäckigkeit und Ausdauer hat er sich in politischen Zirkeln Glaubwürdigkeit erarbeitet. Wobei ich zugeben muss, dass es mitunter beängstigende Dimensionen annimmt.
Was macht dir denn Angst?
Ich bin manchmal schon entsetzt, welche Politiker er trifft. Es ist ja nichts dabei, mit einem Liberalen wie Bill Clinton zu reden. Aber George Bush? Das ging mir dann doch zu weit.
Du hättest ihn ja davon abhalten können.
Keine Chance. Aber ich habe es wirklich versucht Ich redete auf ihn ein wie auf ein krankes Pferd: „Bono, bitte, du wirst dich doch nicht ernsthaft mit George Bush treffen wollen?“ Er lachte nur: „Edge, ich weiß, was dadurch den Kopf geht. Aber ich würde jeden treffen, jeden, wenn er diese Sache unterstützt.“
Ich konnte es nicht fassen, ich hakte weiter nach: „Bono, das ist nicht nur unglaublich uncool. Es ist beschissen vor allem, wenn du bedenkst, für welche Politik er steht.“ Er sagte nur: „Ich weiß, aber ich stecke die Häme schon weg.“ Wir haben lange darüber gestritten, am Ende hat er sich durchgesetzt. Wie auch immer: Wenn die Bush-Regierung sich am Ende dazu durchringen sollte, die Entschuldungskampagne in großem Stil zu unterstützen, war es den Input wert.
Und was machen U2, wenn Bono in die Politik wechselt?
Keine Ahnung. Wir würden ihm wohl alle unsere Stimme geben. Ich glaube nicht, dass er in den nächsten 20 Jahren ernsthaft daran denkt. Aber irgendwann, wenn die Band schon lange nicht mehr existiert, kandidiert er vielleicht mal als Bürgermeister von Dublin.
Du giltst als der introvertierte Dirigent im Hintergrund, Bono dagegen ist der laute „Bigger than Iife“-Star. Fühlst du dich manchmal an die Wand gedrängt von deinem allgegenwärtigen Frontmann?
Nein. Es funktioniert gerade deshalb, weil wir so unterschiedlich sind. Unsere Stärken und Schwächen ergänzen sich auf eine sehr seltsame Weise, das geht nur, weil wir nach all der Zeit immer noch sehr eng miteinander befreundet sind. U2 sind immer noch wie eine Street Gang. So gesehen sind wir nie richtig erwachsen geworden. Wenn wir drei Sänger oder zwei Gitarristen hätten, wäre das schwieriger. So aber hat jeder von uns seinen eigenen Platz.
Hand aufs Herz, hast du früher auf Partys mal Luftgitarre gespielt?
Oh je, ein heikler Abschnitt in meiner Vergangenheit Aber gut: Ich gestehe, als ich 15 war, habe ich öfter mal den Luftgitarristen gegeben und imaginäre Soli gespielt – meistens zu entsetzlich schlechten Songs.
„Smoke On The Water ?
Der Song ist in der Tat ziemlich unterirdisch, aber nicht schlimm genug. Mein Favorit war damals „Bohemian Rhapsody“.
Inzwischen gibt es sogar Wettbewerbe für Luftgitarristen.
Mit diesen Leuten könnte ich mich sowieso nicht messen. Im Vergleich zu denen bin ich ein Anfänger.