The Beatles On Film
Schauspieler wollten die Beatles nicht sein, aber mitspielen mussten sie trotzdem. Ihre Filmografie enthält ebenso Pop-Kunst-Meilensteine wie Bizarres - und jetzt, wo "Help!" von 1965 auf DVD erscheint, stellen ~ wir unter anderem ihrem Regisseur Richard Lester die Frage: Haben die Beatles am Ende nicht nur die Musik, sondern auch das Kino verändert?
Wie John, Paul, George & Ringo den Pop ins Popcorn setzten
Was bisher geschah: Im Hühner-und-Schnuten-Rock’n’Roll-Spießerfilm eingehakt am Badesee und Bootsverleih ,The Girl Can’t Help It“ von 1956 zum Beispiel kommt Tom Ewell nach entlangparadiert und mit dem gleichHause, fühlt sich melancholisch und bedöselt, legt die Platte „Cry Me namigen Lied „The Young Ones“ die A River“ auf. Und sieht plötzlich die Sängerin Julie London, die in seiner Küche Kinder um sich schart, obwohl das sitzt und singt, dann auf dem Sofa, imAbendkleid am Kamin, im bequemen Hemd-Drehbuch keinerlei Gesang motiviert chen in seinem Bett, und die ganze Zeit singt sie mit, bis das Lied vorbei ist und und man die uralte Menschheitsfrage die Vision auch. Geisterhaft. Alles andere als das gut beobachtbare Musikerhandstellen kann, woher mitten im Wald werk, das Little Richard und Eddie Cochran in den Nachtclubszenen im selben eigentlich die Musik kommt. Film zeigten. Goldene Regeln waren das nicht, aber Oder Elvis 1957 in ,Jailhouse Rock“, wo er mit dem 15-köpfigen Sträflings-Baiso ähnlich inszenierte man damals die lett hüftlocker den Gefängnisaufstand tanzt, während er zum Playback des Titel-Original-Songs in Film-Soundtracks:
songs die Lippen bewegt und auf den Tisch steigt, bis die Polizei eingreift. Oder wie im Bühnenmusical, wo mitten im Cliff Richard, der 1961 in „The Young Ones“ mit Carole Grey im Cabrio vorfährt, Gespräch plötzlich einer zu singen anfängt, oder in Form einer Auftrittszene von Band oder Ballett, die irgendwie in die Handlung passen musste. Bei den ersten zwei Beatles-Filmen von 1964 und ’65 wurde das ja auch noch gemacht. Das Konzertfinale in „A Hard Day’s Night“, in „Help!“ die Tonstudiosequenz mit „You’re Going To Lose That Girl“ oder die Performance von „You’ve Got To Hide Your Love Away“ im Apartment auf der Couch, bei der sogar George Harrisons sonderbarer, bayrisch aussehender Diener als Flötenspieler eingesetzt wird, damit nichts fehlt.
Aber dann „Ticket To Ride“. Der Song, für den nebenbei auch ein leicht nachvollziehbarer Promo-Clip fürs Fernsehen gedreht wurde, in dem die Beatles vor überdimensionalen – genau: Fahrkarten im Studio zur Musik mimen. Die Single, auf deren Label damals noch der falsche Filmtitel „Eight Arms To Hold You“ stand. Wenn in „Help!“ die zwölfsaitige Gitarre von „Ticket To Ride“ die ersten Töne provokant gebremst raufund runterrollen lässt, schaut man plötzlich auf einen weißen Alpenhügel, obwohl die Handlung eben noch in London oder Liverpool war oder wo der Anfang halt spielt. Die vier Beatles sind da, fahren einkunge Schlitten, stehen mit Zylindern und schwarzen Wintersportponchos in einer Reihe und lassen sich gemeinsam nach hinten fallen. Machen Skigymnastik, fahren im Zeitraffer Eisenbahn, fallen noch öfter hin, picknicken im Schnee. In den Überlandleitungen erscheinen die Töne wie in Notenzeilen, und um daran zu erinnern, dass „Ticket To Ride“ hier keine Begleitmusik, sondern der eigentliche Inhalt der Szene ist, singt John Lennon ab und zu mit, während er, von seinen Freunden umringt, bäuchlings in einem Konzertflügel liegt.
Man kann es sich heute kaum vorstellen, aber so war Musik im Film vorher höchstens in Kunst- und Experimentalstudien inszeniert worden. So diskontinuierlich, assoziativ, bildkompositorisch eitel, Beat-rhythmisch geschnitten, so voll von ästhetischem Selbstzweck und endlich auch bunt, nachdem die Beatles ziemlich genau ein Jahr vorher in der ähnlich irren „Can’t Buy Me Love“-Szene in „A Hard Day’s Night“ noch in Schwarzweiß um die Wette gerannt und gehüpft waren. Inden 90er Jahren erhielt Richard Lester, der Regisseur der zwei Filme, überraschend per Post eine gerahmte Urkunde vom Sender MTV Als Auszeichnung, weil er damals, in den 60er Jahren, mit den bestimmten Sequenzen in ,A Hard Day’s Night“ und „Help!“, das Musikvideo erfunden habe. Ob die Auszeichnung sonst noch irgendjemand bekommen hat, weiß keiner.
Die Twickenham Film Studios, wo damals die Set-Szenen gedreht wurden und im Januar 1969 der erste Teil der berüchtigten „Let It Be“-Sessions der Beatles stattfand, liegen im Londoner Südwesten. Gleich hinter der niedlichen Einkaufsstraße im Vorörtchen St. Margarets, ein eher kleiner Komplex freilich, 1913 eröffnet, der Gesundheitsamt-artigen Innengestaltung nach wohl in den 60er Jahren renoviert. Die Zeiten, als Ridley Scott und Warren Beatty hier große Spielfilme machten, sind vorbei, heute gibt es hier mehr Fernsehenund Post-Production, und im Zimmer 14 im zweiten Stock hat Richard Lester noch immer sein Büro. Mittlerweile 75, drahtig, ganz in Schwarz, die Brille am Band. Er komme selten hier vorbei, sagt er, seit er mit der Frau an der ländlichen Küste wohnt, Tennis spielt, Fisch kocht. Sein letzter Film war 1991 ganz zufälligdie Konzertdokumentation „Get Back“ für Paul McCartney. Dass Lester anschließend aufhörte, lag daran, dass er die Wachablösung spürte und nicht glaubte, es würde sich noch lohnen, die Computerprogramme zu lernen. „Wenn
wir früher wollten, dass unser Schloss zwei zusätzliche Stockwerke bekommt, dann kam ein Mann mit einer Farbpalette und einem Barett auf dem Kopf, malte das auf eine Glasscheibe, und durch die filmten wir dann“, sagt Lester, gütig amüsiert. „So wie Douglas Fairbanks senior es noch gemacht hatte. Heute sitzt da ein 16-Jähriger am Rechner und fragt: .Welche Farbe hätten Sie denn gerne?“‚ Eben ist er vom Festival in San Sebastian zurückgekommen, wo er über 42 Jahre nach der Premiere mal wieder „Help!“ an- und abmoderiert hat (wir verwenden lieber die Originaltitel — in deutschen Kinos hießen die Filme bekanntlich „Yeah Yeah Yeah“ und „Hi-Hi-Hilfe!“). Weil dieser Film das nächste Beatles-Produkt ist, das nun in den DVD-Kreislauf gegeben wird. Lester hat sich ein bisschen geärgert. Sein Spanisch sei gut genug, so dass er durchaus bemerkt habe, wie sinnverzerrt die Untertitelung gewesen sei. Wer den hippen Slang und semantischen Swing von Lesters Sechziger-Werk halbwegs angemessen übersetzen will, wird so oder so peinlich scheitern – bei „A Hard Day’s Night“ und „Help!“ ließ man in Deutschland ja gleich die Berliner Kabarettgruppe Die Stachelschweine auf die Tonspur los, was dazu führte, dass Paul McCartney vom selben Wolfgang Grüner synchronisiert wurde, der bei Wim Thoelkes „Großem Preis“ später den Taxifahrer Fritze Flink spielte. Lester selbst erinnert sich, wie er anlässlich seines Films „How I Won The War“ – in dem John Lennon 1967 noch ein letztes Mal bei ihm mitspielte – dem entgeisterten deutschen Verleih zu erklären versuchte, dass Michael Crawfords Charakter im Film mit seinen Soldaten, seinen Vorgesetzten und seinen deutschen Gegnern in jeweils unterschiedliehen Akzentfarben spricht.
Erst mal muss man bei Lester selbst genau hinhören: Obwohl er seit über 52 Jahren in England wohnt, merkt man den Rollkonsonanten noch immer an, dass er eigentlich aus Philadelphia stammt.
„Ich möchte wirklich nichts überdramatisieren“, sagt er, „aber es war damals ein kleiner Hauch dieser Erfahrung, die wohl ein Transsexueller macht, wenn er merkt, dass er in einem falschen Körper lebt: In dem Moment, in dem ich Amerika verlassen hatte, war da sofort das Gefühl, dass ich all die Jahre im falschen Land gelebt hatte. Europa war so viel lebendiger, inspirierender, angenehmer. Großbritannien war Mitte der Fünfziger noch eine sehr klassenbewusste Gesellschaft, aber als Amerikaner stand ich ja völlig außerhalb dieses Systems. Weil ich mit dem Klassenkampf nichts zu tun hatte, konnte ich arbeiten, mit wem ich wollte. Zusätzlich hatte ich das Glück, dass ich als Absolvent einer Quäkerschule nach sieben Jahren Latein freilich nicht wie der typische Amerikaner aus Texas wirkte. Das waren meine Trümpfe, als es dann losging mit den Beatles, dem jungen Kino, den angry youngmen, Lindsay Anderson, all diesen Sachen.“
Zu Hause war Richard Lester ein IQ-Wunderkind gewesen, wurde vom Lehrervater schon mit drei eingeschult, begann tatsächlich mit 15 sein Psychologiestudium. Die Pubertät lenkte ihn dann zu sehr ab, er machte Musik, heuerte in den frühen Fünfzigern als Bühnenhilfe beim Fernsehen an und war schneller als geplant Regisseur beim Sender CBS, wo er – es war noch TV-Steinzeit — bis zu fünf Live-Shows am Tag bewältigen musste. Die unvorstellbare Hektik, der Zeitgeiz, den er hier lernte, war die allerbeste Frühprägung für anstehende Beatles-Abenteuer. Wie auch sein erster, schon in England produzierter Film „It’s Trad, Dad“, ein Musical, das er in zweieinhalb Wochen abdrehen musste. Und in das er in letzter Sekunde noch die eben heraufgebrandete Twist-Welle einbaute, obwohl sich Chubby Checker beim wahnwitzig hektischen Dreh nur für Lesters schicke Schuhe interessierte.
„Ich habe nie viel Filmmaterial gebraucht“, sagt Lester. „Als jemand, der sehr früh mit Schnitt und Bildregie angefangen hat, hatte ich beim Drehen immer schon die fertige Montage im Kopf. Es gibt die berühmte Geschichte über Warren Beatty, der hier in Twickenham ,Reds‘ gedreht hat und Diane Keaton 96mal die Szene spielen ließ, in der sie zwei Wörter auf der Schreibmaschine tippt,
DRAmA OHNE ENDE Am Ende wäre fast noch Antonioni ins Spiel gekommen – aber die Suche nach Stoff und Zeit für den dritten Beatles-Film war schlicht zu schwierig Im Februar 1965, nur wenige Tage bevor die Beatles mit der Arbeit an „Help!“ begannen, wurde es enthüllt: Als dritten Film würden sie einen Western drehen. Eine Adaption des Romans „A Talent For Loving“ von Richard Condon sei in Vorbereitung und der Drehbeginn für 1966 geplant.
Condons historischer Roman behandelt ein aufreibendes Pferderennen im Jahre 1871, das über l 400 Meilen vom Rio Grande nach Mexico City führte. Die Beatles, so hieß es, würden sich für ihre neuen Rollen keinen amerikanischen Akzent zulegen müssen: Aus Gründen der Authentizität sollten sie vier Liverpooler darstellen, die als Pioniere in den Westen kommen. Condon, der den viel gepriesenen Thriller „The Manchurian Candidate“ verfasst hatte, schreibe in Genf bereits fieberhaft am Drehbuch, hieß es. Dazu zeigten die Zeitungen aktuelle Fotos eines grinsenden Ringo mit Stetson auf dem Kopf und verschnörkelten Colts in den Händen. Betont wurde, dass es sich bei „A Talent For Loving“ nicht um den dritten Beatles-Film aus ihrem drei Filme umfassenden Deal mit United Artists handle – für diesen sollten die Kameras vielmehr noch im Herbst 1965 anlaufen.
Im April 1966 jedoch machte Produzent Walter Shenson klar, dass es so schnell keinen neuen Beatles-Film geben werde: „Ich hatte noch diverse Meetings mit den Jungs, bei denen wir eine ganze Reihe neuer Plotvorschläge durchgegangen sind, aber die wurden alle abgelehnt von ,Die Beatles in der Armee“ bis zu .Die Beatles treffen Elvis Presley‘. Man muss da sehr vorsichtig sein. Die Beatles sind bei allem, was sie getan haben, immer die ersten gewesen, und sie machen nie das, was man von ihnen erwartet. Ein neuer Beatles-Film müsste zeitgemäß sein, sie wollen keinen historischen Stoff. Außerdem muss das Drehbuch eine starke Story haben und sich deutlich von ihren ersten zwei Filmen unterscheiden. Wenn man eine schlechte Platte aufnimmt, kann man das Band immer noch löschen. Aber hat man für einen Film erst mal eine halbe Million ausgegeben, dann kommt er auch in die Kinos, egal ob gut oder schlecht.“
Den ganzen Sommer gingen Gerüchte herum, Shensons Stoffsuche sei abgeschlossen und ein Script in der engeren Auswahl, vorläufiger Starttermin sei der Januar 1967. Der Autor des noch unbetitelten Drehbuchs – man sprach einfach von “ Beatles 3″ – war Owen Holder, der zuvor das Buch zu Richard Lesters „Toll trieben es die alten Römer“ geliefert hatte. Einer der Beatles (mutmaßlich Ringo) werde die Rolle eines Mannes spielen, der neben seinem wahren Selbst an einer dreifach gespaltenen Persönlichkeit leidet. Jede dieser Facetten seines Charakters übernehme einer der anderen Beatles. Shenson räumte ein, dass weder er noch die Beatles den ersten Entwurf abgesegnet hatten und die Aussicht auf ein drehfertiges Manuskript noch in einiger Ferne lag.
Im Juni 1967 hatte das Skript dann einen Titel, „Shades Of A Personality“, und einen Regisseur: den preisgekrönten Schöpfer von „Blow Up“, Michelangelo Antonioni. Gedreht werden sollte im spanischen Malaga, Produktionsdauer: sechs Monate. Entgegen den Gerüchten war jedoch nicht Ringo für die Hauptrolle vorgesehen, sondern John Lennon. Wie auch immer: „Magical Mystery Tour“ musste noch fertig werden, der Zeichentrick „Yellow Submarine“ war in der Mache – das Timing für „Shades Of A Personality“ stimmte nie, und am Ende rutschte das Projekt von der To-do-Liste der Fab Four.
Kurz zurückgespult: Schon am 29. August 1966 hatten die Beatles im Candlestick Park in San Francisco vor 25 000 Fans das Konzert gespielt, das ihr letztes abendfüllendes sein sollte. Gemäß seiner Äußerung – „So, das war’s, ich bin kein Beatle mehr“ – flog John Lennon am 5. September nach Deutschland, ließ sich am Tag darauf die Mähne scheren und begann – als Gefreiter Gripweed neben Michael Crawford – mit den Dreharbeiten zu „How I Won The War“. Produzent und Regisseur war wieder Richard Lester, der mit dem 400 000 Pfund teuren Film vorübergehend seinen Ruf ramponierte: Die Antikriegsstory wurde gründlich missverstanden. ROY CARR
einen Satz sagt und dann das Papier aus dem Fenster wirft. 96-mal! Um die Zeit wäre ich längst daheim beim Rasenmähen gewesen.“
Wenn man daran denkt, welchen ungeheuren Modelleffekt Lesters Beatles-Filme für die Verbildlichung von Popmusik und den britischen Sixties überhaupt haben sollten, ist es im Nachhinein umso lustiger, was da alles zusammenkam. Nach Lesters ersten Arbeiten fürs TV in London rief nämlich auch noch Peter Seilers bei ihm an. Für ihn und Spike Milligan machte Lester dann eine Fernsehadaption der sagenhaften Radio-Comedy „The Goons“, und aus den Slapstick-Stummfilm-Fragmenten, die sie an zwei Sonntagen mit Freunden gedreht hatten, um Seilers‘ neue 16-Millimeter-Kamera auszuprobieren, montierte Lester den elfminütigen „Running, Jumping And Standing Still Film“, der 1959, als „Ben Hur“ abräumte, unglaublicherweise für den Kurzfilm-Oscar nominiert war. Man muss diesen Schwarzweiß-Mumpitz heute nur flüchtig sehen, um erstens den halben Monty Python und zweitens sämtliche Action-Szenen von ,A Hard Day’s Night“ darin zu erkennen.
Bei der eigentlichen Idee ging es gar nicht darum, die Beatles ins Kino zu bringen. Sie kam auch nicht aus der Film-, sondern aus der Musikabteilung der Firma United Artists – dort hatte ein geschäftstüchtiger Geist bemerkt, dass der Lizenzvertrag, der Capitol Records die Veröffentlichung der Beatles-Platten in den USA sicherte, nicht für Filmsoundtracks galt. Wenn United die Band also für einen Film engagierten würde, angemessen billig und fix produziert, könnte man sogar bei einem Flop im Kino zumindest mit dem dazugehörigen Album ein bisschen Erfolg haben. Am besten schnell. Im Herbst 1963 musste ein realistischer Abteilungsleiter noch davon ausgehen, dass die Beatles-Welle, die in den USA ja noch nicht mal ganz begonnen hatte, so oder so ein saisonales Phänomen sein würde.
Als Beatles-Manager Brian Epstein mit United Artists den Vertrag über drei Filme besiegelte, war das der Stand der Dinge. Angeblich wählte die Band Richard Lester aus einer Vorschlagsliste aus, stark befürwortet von Lennon, der ja große Teile seines persönlichen Acts auf die „Goon Show“ aufbaute. Seilers und Milligan hielt der Regisseur wohlweislich aus dem Spiel: Die zwei Perfektionisten hätten es nie ertragen, mit den unerfahrenen, kindsköpfigen Beatles zu arbeiten. Der Liverpooler Schriftsteller Alun Owen schrieb, nach einigen Feldstudien mit den vier Hauptdarstellern, das Drehbuch, den verklärt typischen Tag im Leben einer begehrten Band, die Zugfahrt, den Auftritt von Pauls Großvater, Ringos kleine Flucht, die Show am Schluss, die Dada-Dialoge und das berühmte Wort „grotty“. das entgegen Owens Beteuerung in der Liverpooler Umgangssprache nicht existierte.
Was der Buchautor so nicht verfasst hatte, waren die Massenszenen mit rennenden, zerrenden Fans – die waren größtenteils echt, Cinema Verite im wahrsten Sinne. In den Wochen vor dem Start der Dreharbeiten im März 1964 war der Ruhm der Beatles weiter hochgequollen, nicht zuletzt durch ihren legendären USA-Trip im Februar. Die Vorbestellungen für das „A Hard Day’s ?(iglir“-Albu m waren weltweit so gewaltig, dass Richard Lester vor einer bizarren Situation stand: Der Film hatte sich schon refinanziert, bevor eine einzige Szene gedreht war — und trotzdem stand er unter unmenschlichem B-Movie-Zeitdruck, weil der schnelle Kinostart am 6. Juli bereits vertraglich festgezurrt worden war, als der Produzent die Beatles noch für einen Mode-Gag hielt.
„A Hard Day’s Night“ leistete letztendlich das, was keine „Melody Maker“oder „Bravo“-Story, kein TV-I nterview und schon gar keine Schallplatte erreichen konnte: Er erschuf die Beatles als Viererbande, als identifikationsfähige Charaktere für die Mädchen und Jungs, die sie niemals persönlich kennenlernen würden. Im Prinzip haben Lester und Owen mit ihrem Film, den Dialogen und Rollenbildern das bis heute gebrauchsfähige Konzept überhaupt erst entwickelt, dass es in Popgruppen den Schönen, den Schlauen, den Stillen und den Clown gibt. In „Help!“ kam es später zu einer Szene, die das großartig veranschaulicht, ex negaüvo: wenn der Kultpriester alle vier Beatles für Ringo hält, weil sie für ihn alle gleich aussehen.
„Es ging eigentlich nur darum, dass wir sie ein bisschen voneinander unterscheidbar machen wollten, weil sie sich wirklich sehr ähnlich waren“, erzählt Lester. „Man will ja nicht, dass vier Personen in den Dialogen alle im selben Ton sprechen und sie untereinander austauschbar werden. Das Publikum sollte die unterschiedlichen Charaktere erkennen, und einige Züge beruhten sehr stark auf unseren Beobachtungen: Paul war ja schon der Süße, dem die Leute zublinzelten, der geliebt werden und in der Theater- und Kunstszene akzeptiert ¿werden wollte. John war der Bissige mit den sardonischen Kommentaren, Ringo hatte einen Minderwertigkeitskomplex, ¿weil er hinten saß und ihn keiner ernstnahm. Und George war der Kühle, Knauserige, der nie eine Runde ausgab. Wir haben das freilich zugespitzt, aber es war überraschend, wie schnell man das mitbekam, wenn man ein bisschen Zeit mit ihnen verbrachte.“
„A Hard Day’s Night“ hatte all die Superlative, die zwei Millionen vorbestellten Platten mit den genial flapsig aus dem Handgelenk geschüttelten Filmund Nicht’Film-Songs, die 5,8 Millionen Dollar Box-Offtce-Umsatz nach sechs Wochen in Amerika. Den „Village Voice‘-Spruch vom „Citizen Kane“ der Musikfilme, die Episode vom Produktionsassistenten, der in den Londoner Straßen für einen Beatle gehalten wurde und auf der Flucht die Filmrollen verlor. Die später registrierten Auftritte der jungen Charlotte Ramplingund des noch jüngeren Phil Collins, die Set-Begegnung von George Harrison und dem als Schulmädchen gecasteten Model Pattie Boyd, die im Januar 1966 heirateten. Die Klugscheißer-Information, dass das Wort „Beatles“ im gesamten Film nicht einmal ausgesprochen wird.
Klar bekam Richard Lester – der zwischendrin mit dem heute als Modesünde verrufenen Cool-London-Film „The Knack… And How To Get I t“in Cannes die Goldene Palme gewonnen hatte – für den Nachfolger mehr Geld und Farbfilm, aber schnell gehen und aktuell sein musste es wieder.
„Beide Filme waren wie Momentaufnahmen, in denen wir dem Publikum zeigten, wie es den Beatles zu dem speziellen Zeitpunkt ihrer Karriere gerade ging“, sagt Lester. „In ,A Hard Day’s Night‘ sieht man, wie sie rumkommandiert und fremdbestimmt werden, wie sie von allen immer nur angeschrien werden, von den Fans, den Aufpassern, den Chefs. In ,Help!‘ waren sie dann schon viel lockerer, entspannter, verkicherter. Dass sie Haschisch rauchten, das sie ihre Drehbücher zu Hause vergaßen und wir ihnen immer umständlich ihrenText raussuchen und vorsprechen mussten das war okay. So waren sie eben imjahr 1965! Dass es da auch noch einen Plot gab, mit Leuten, die Ringos Ring haben wollen – das war nebensächlich.“
Der Roman „The Moonstone“, 1868 vom viktonanischen Pulp-Schriftsteller Wilkie Collins veröffentlicht, sei die eigentliche Inspiration für das Drehbuch gewesen, sagt Lester: Eine junge Frau erbt einen geheimnisvollen Diamanten, hinter dem drei hinduistische Eiferer
her sind, die seine kultische Bedeutung kennen. Die ostreligiöse Sekte in „Help!“ (von „Indern“ ist nie explizit die Rede) glaubt dagegen, dass Beatle-Ringo von der Göttin Kaili als Menschenopfer auserwählt wurde und deshalb den roten Bollerring trägt – und auch das erscheint wiederum nur als beliebiger Anlass, eine Verfolgungsjagd durch Erdteile und Jahreszeiten zu starten.
Der Film wirkt heute wie ein Computerspiel ,jump & run, bei dem die Beatles sich gemeinsam mit der Handlung von Level zu Level hangeln, von englischen Straßen über österreichische Berge bis zu bahamischen Stränden, immer dusselig in Gefahr. Und wie sattgefressen bunt und Pop-Art-mäßig Lester und seine Freunde das gestalteten, zeigt das neue DVD-Remaster bis runter auf die schmerzende Netzhaut. Paul McCartney wird mit einem Serum geschrumpft und erlebt ein Abenteuer im Teppich, spielt auf einem Bikini-Mädchen wie auf einer Gitarre, und weil die Göttin den Ringo sonst nicht annehmen würde, übergießen die Verfolger ihn mehrmals mit leuchtroter Farbe, manchmal mit wenig, manchmal mit viel. Regisseur Lester habe die Beatles in „Help!“ »ganz in die Defensive gedrängt, in eine Klischeewelt katapultiert, die selbst so verrückt ist, dass die spezifische Verrücktheit der Beatles sich in ihr nicht wahrhaft entfalten kann“, schrieb Urs Jenny in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 18. Dezember 1965 in einer erstaunlich hellsichtigen Rezension.
In Interviews und ihrer „Anthology“ deuteten die Bandmitglieder später an, dass die Arbeit an „Help!“ für sie längst nicht mehr so aufregend war wie der erste Film. Man habe darum gebeten, möglichst ein paar exotische Reiseziele ins Skript zu schreiben, um den Freizeitwert zu erhöhen, sagt McCartney. Sie hätten damals schon zum Frühstück gekifft, den größten Teil der täglichen Drehzeit mit Kichern und dem Wiederholen vergessener Zeilen verbracht und den Film nicht kapiert, hat Lennon rekapituliert: Und das „Help!“ im Titellied sei ein echter Hilferuf gewesen, weil er gerade in seine fette, desorientierte Lebensphase kam. Als sie dann die Bahamas erreichten, sei es so kalt gewesen, sagt Starr, dass sie einige Paradies-Szenen mit Langärmel-Hemden spielen mussten.
Entweder haben die Beatles übertrieben oder Richard Lester spielt das Chaos herunter, das vier rotäugige Kiffer auf einem Film-Set anrichten können. „Die Jungs waren relaxed“, sagt er. „Sie vertrautenunbeirrt darauf, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Sie vertrauten mir, dass ich mein Bestes tun würde, um sie im passenden Licht zu zeigen. Filmemachen war ihnen nicht wichtig, sie empfanden das höchstens als Jux.“
Lester hat natürlich noch viele mittelgroße und ein paar große Filme gemacht, das Kreuzfahrt’Katastrophendrama, Juggernaut“ mit Richard Harris, „Robin And Marian“ mit Sean Connery undAudreyHepburn, den zweiten und dritten „Superman“, wahre Blockbuster. Und eigentlich müsste es ihm unglaublich auf die Halsschlagader gehen, dass die Leute ihn trotzdem immer wieder nur nach den Beatles fragen. Heimlich mag das so sein, aber sobald Lester über die hoys spricht, die im Schnitt zehn Jahre jünger waren als er, klingt seine Stimme geradezu ergreifend liebevoll.
für immer getrennt. ROY CARR Dokumentation über die Entstehung der Songs, übers Schreiben und Proben. Wenn man jetzt noch filmte, wie sie aufgenommen und richtig gespielt werden, würde das einen Schluss für den Film abgeben.“
Der letzte öffentliche Beatles-Auftritt fand am 30. Januar um die Mittagszeit auf dem Dach des Apple-Hauses statt und dauerte nur 42 Minuten – wegen der Nachbarn. Die Polizei beendete das Stegreifkonzert, und Mc-Cartney kommentierte: „Da spielst du mal wieder auf dem Dach und weißt, deine Mama mag das nicht, die lässt dich verhaften.“ Das letzte Wort, als die Band abbaute, hatte aber Lennon: „Ich möchte mich im Namen von uns und der Band bedanken, und ich hoffe, wir haben das Vorspielen bestanden.“
Lennon sprach später ungern über das Thema „Let It Be“. „Den Film hat Paul initiiert. Es war einer der Gründe für das Ende der Beatles. Ich kann nicht für George sprechen, aber ich weiß: Wir hatten keine Lust mehr, Pauls Begleitcombo zu sein. Die Kameras wurden so geführt, dass sie Paul zeigten und sonst keinen. So kam mir das vor.“
„Es tat weh, den Film zu machen, dann anzuschauen und zu denken: ,Mist, da bin ich und streite mit meinem besten Freund'“, sagt McCartney. „Wir dachten halt: ,Los, veröffentlichen wir’s so, wie es ist. Wir gingen uns einfach auf die Nerven. Ich finde trotzdem, dass es ein guter Film geworden ist, und ich weiß noch, wie ich den Oscar für die beste Filmmusik entgegennahm. Von John Wayne – Big Leggy!“
Als „Let It Be“ am 13. Mai 1970 ins Kino kam. hatten sich die Beatles schon „Ich war ja tendenziell Jazzer, setzte mich oft ans Klavier und spielte ,My Funny Valentine‘ in der falschen Tonart. Und sie haben mich immer hoch‘ genommen deshalb, mit einer leichten Mischung aus Spott und Verächtlich‘ keit. Nie im Leben hätten sie mich als Vaterfigur gesehen.“ Vor allem waren die Beatles wohl misstrauisch. So viele Leute wollten sie gern in Kostüme stecken, ihnen Perücken oder Cowboyhüte aufsetzen und komische Filme mit ihnen drehen. Dass Richard Lester in der Hinsicht ein Traumpartner war, oft penibel, ebenso oft experimentierfreudig, rechtfertigte das Vertrauen, das sie offenbar zu ihm hatten.
Lennon war der, dem sich Lester bei aller Distanz am nächsten fühlte. John liebte die Sprache, die Wortspiele, genau wie ich. Andererseits’war er viel wilder und roher als die anderen. Er konnte richtig bösartig sein. John hasste dumme Menschen – deswegen war es ja so ratsam, in seiner Gegenwart sehr viel kreative Energie autzubieten, um intelligent zu wirken! Als ich später mit ihm ,How I Won The V/ar‘ machte, gingen die Beatles jaschon getrennte Wege. Nach zwei Wochen Dreharbeiten sagte ich: John, falls du doch Interesse hast – ich glaube, du könntest ein wirklich guter Schauspieler sein.‘ Er antwortete: ,Teah. But it’sfucingstupid,isntU?’Er fand Schauspielen albern.“
Eben hat der Agenturbursche einen dicken Umschlag auf Lesters Tisch gelegt. Sein „Help!“-Skript von damals, mit allen Notizen, das vom Scannen zurückkommt. Nein, das könne er fremden Leuten nichtzeigen, sagt Lester: Seit sein.A HardDay’sNight“-Drehbuch gestohlen wurde, sei er übervorsichtig. Die Boys-Erinnerungen sind kostbar, und dass die Beatles später, ohne Lester, entweder gar keinen Film mehr oder höchstens einen fragwürdigen zustande brachten, macht ihn quasi zum Kronzeugen.
Am Ende bleibt nämlich die Frage, wie die Beatles es eigentlich schafften, Mitte der 6oer Jahre nicht nur die Popmusik für immer zu verändern, sie ernsthaft rezensionsfähig zu machen, Kategorien wie Autorenschaft und Eklektizismus einzuführen – sondern auch noch die Art und Weise, wie Musik im Film gezeigt wird, wie Film selbst Musik sein kann. Waren sie die vier Musenbengel für Richard Lester, die mit „Ticket To Ride“ und „Can’t Buy Me Love“ und dummen Witzenüber sein Jazzpiano das Beste in ihm inspirierten? Oder waren es Lesters rhythmischer Schnittfinger und sein absurder Pop-Verstand, den er mit jeder Band der Welthätte vorführen können, wenn das Geld und die Plattform dagewesen wären?
„Wenn damals zum Beispiel in einem Cliff-Richard-Film jemand sagte: .Kinder, wir ziehen jetzt die dufte Party ab!‘ – dann wusste man, der meinte das auch so“, erklärt Richard Lester. „Bei den Beatles spürte man dagegen eine unglaubliche Fähigkeit zur Selbstreflexion, zur Ironie. Den fast surrealen Sinn dafür, sich selbst zu durchschauen, sich selbst zu spielen und sich dabei gleichzeitig von außen zu betrachten. Im Film kann man so etwas nur durch Surrealismus zeigen, wie in der Zugszene in ,A Hard Day’s Night‘, in der sie im Abteil den Mann verspotten und im nächsten Moment von außen durchs Fenster winken. Oder im Gepäckwagen, v/o sie Karten spielen, und plötzlich spielt Ringo Schlagzeug und die Musik geht los. Keine Traumsequenz wie bei Hitchcock, sondern so, als ob ein Schalter in die andere Realität umgelegt wird. So wollten wir dem Publikum begreiflich machen, was wir über die Beatles begriffen hatten: Warum konnten sie Ikonen werden und Freddie And The Dreamers nicht? Weil die Beatles fähig zur Selbstreflexionwaren.“
Vielleicht ist das der Grund, warum die Musikfilme „A Hard Day’s Night“ und „Help!“ so einzigartig geblieben sind: Vielleicht waren die Popstars, die nach ihnen kamen, einfach zu gute Schauspieler.