Sgt. Peppers letztes Kommando
Wie die „"Live 8"-Konzerte noch einmal für trügerisches Wohlgefühl sorgten
Es ist natürlich wohlfeil, sich über die eingebildete Mission von Bob Geldof lustig zu machen oder – etwas anspruchsvoller – das Elend afrikanischer Immigranten in Europa zu beklagen, das nicht berücksichtigt werde. Mit demselben Recht könnte man auf die Sorgen alleinerziehender Mütter verweisen oder die rollstuhlunfreundliche Ausrüstung von Freibädern oder die Schuldenlast des deutschen Staates. Es musiziert auch niemand für verarmte Rentner, einbeinige Hochseilartisten und arbeitslose Show-Moderatoren. Geldof hat es mit Afrika, und der Schulden-Erlaß ist zum Popanz der Globalisierung geworden. Früher trank man Gepa-Kaffee gegen das schlechte Gewissen, heute klopft die Ökonomie auch an unsere Tür: Die Kaffeepreise steigen, bald gibt es nur noch Muckefuck.
Immer wieder lallte die überforderte Anne Will in ihrem phlegmatischen Duktus von den „zwei Milliarden“ an den Fernsehschirmen, den „Millionen“ in neun Städten – und die Welt schaute mal wieder auf diese Stadt, auf Berlin. Aber in Wahrheit schaute neben dem WDR nur der Ereignissender Phoenix zu, und statt der Konzentration auf ein Fanal mußten auch Nebenschauplätze wie Johannesburg zugeschaltet werden oder das beliebige und karnevaleske Treiben in Philadelphia. Es waren natürlich die alten Fahrensleute in London, manche gestählt durch „Live Aid“ 1985 und die „amnesty international“-Veranstaltungen, die den historischen Odem des Moments begriffen. Wie selbstverständlich eröffneten Paul McCartney und Bono den Reigen mit „Sgt. Pepper“ und also einem inhärenten Verweis auf die Rock-Geschichte, die jüngere Zuschauer freilich nicht verstehen konnten. „It was 20 years ago today“ war ein Meta-Zitat wie auch die uniformierten „Sgt. Pepper“-Gestalten auf der Bühne. Wiederum taugte diese Inszenierung als Beweis dafür, daß am Ende recht eigentlich – wie schon bei der Geburtstagsfeier der Queen – immer nur einer gefeiert wird: Paul McCartney. Zum Finale nach Mitternacht intonierten alle Anwesenden sein „Hey Jude“, offenbar der einzige Song, den man auf zehn Minuten und das schunkelnde Publikum ausdehnen kann.
Da war längst vergessen, daß es sich doch um eine politische Veranstaltung handeln sollte, wie etwa Herr Campino am Nachmittag in Berlin gebetsmühlenhaft wiederholte. Er war ganz beglückt davon, endlich mal wieder auf die Kacke hauen zu können – ob der Protest etwas bewirkt, war ihm erst mal so egal wie stets, wenn die Party gerade anfängt und man in der Gegend herumfliegen kann. Der irritierende Verantwortungsgestus einte so hedonistische Figuren wie Wir sind Helden und Juli, Madonna und Elton John. Sogar Green Day sind dagegen geradezu profilierte Agitprop-Arbeiter. Der alte Scheißegal-Nonkonformist Pete Townshend ächzte noch einmal über die Bühne und versicherte sich seiner anhaltenden Existenz, Brian Wilson wedelte geistesabwesend die Arme zu „Good Vibrations , R.E.M. sieht man öfter als den Hausmeister.
Als es finster war, traten Roger Waters und David Gilmour wieder gemeinsam auf eine Bühne, zu ihrer Zeit Gesellschaftskritiker und Existenzphilosophen von Rang, und mit „Money“ hatten sie natürlich auch den besten Song parat, den scheinbar treffendsten jedenfalls. Aber als diese grauen, gemächlichen Löwen mit ordentlichem Abstand zueinander auf der großen Bühne an ihren Instrumenten zupften und klöppelten, als Gilmour erstaunlich viril wirkte und Waters dauernd zu schmunzeln schien und Gilmour dann zu seinem gewaltigen Solo ansetzte, da war nichts ferner als Afrika. Denn Pink Floyd hatten uns doch immer gesagt, daß Geld nichts bedeutet und man Glück nicht kaufen kann, und all ihre Platten verhöhnen den Kapitalismus und die Zivilisation und den Wohlstand und die Gleichschaltung und den Opportunismus und die Dumpfheit und den Ruhm und den Militarismus. Es war immer Musik für die Industriegesellschaft, die westliche Nachkriegswelt, die Postmoderne, die atomare Endzeit. In der Welt des Globalismus geht es dagegen um archaische Konflikte, um Stammeskriege, Verteilungskämpfe, Arm gegen Reich, Tyrannei wider Demokratie, um Macht, Gier, Religion, Rohstoffe. Das Verantwortungsgetue von Geldof und Bono ist so absurd, weil Staatsschauspieler wie Bush und Blair nicht einmal etwas ändern könnten, wenn sie wollten. Sie hören sich die Beschwerden der Herrschaften Rocker an, weil sie gut aussehen wollen und weil Bono wichtiger ist als Kofi Annan. Morgen schon müssen sie wieder dafür beten, daß die Islamisten sie nicht aus dem Amt bomben.
Doch Lieder gegen muslimische Terroristen sang noch keiner. Immerhin gab es fürs erste – vor „Hey Jude“ – McCartneys „Helter skelter“.