Johnny Burnette
Johnny Rocks
Bear Family
Zu Zeiten, als der Begriff Kult noch nicht inflationär gebraucht wurde, meinte er – neben der spät entdeckten Liebe für tote Idole – auch die Verehrung, die man geborenen Verlierern entgegenbrachte. In der kurzen Geschichte des Rockabilly waren das Figuren wie Charlie Feathers: endlos talentiert, aber nie annähernd so weithin beliebt wie dieser gut aussehende Sangeskollege aus Tupelo, Mississippi.
Zur Kultfigur wurde irgendwann auch Johnny Burnette – nicht, weil er viel zu früh mit 30 bei einem Badeunfall ums Leben kam, sondern weil er tatsächlich eine kleine Weile zumindest der wildeste Rock’n’Roller diesseits von Little Richard und Gene Vincent war, auf dem besten Weg zum „dead end kid“ und sich ständig mit Bruder Dorsey prügelnd, bis Vater Burnette den Jungs ihre ersten Gitarren schenkte, um dem ein Ende zu machen.
Als The Rhythm Rangers sangen die fortan Hillbilly-Lieder, prügelten sich aber – historisch verbürgt durch Zeitzeugen – auch Jahre später noch, als sie mit neuem Gitarristen als The Rock’n‘ Roll Trio auftraten und in der New Yorker TV-Talentshow „Amateur Hour“ so positiv auffielen, dass ihnen das Decca-Sublabel Coral einen Plattenvertrag anbot.
Man steckte sie für die Session zur Debüt-Single in dasselbe Studio, in dem Bill Haley seine Hits aufgenommen hatte. Das kollektiv komponierte „Tear It Up“ war zwar schon beim ersten Hinhören als „Doppelgänger“ von Roy Browns „Good Rockin‘ Tonight“ identifizierbar, aber mit so viel Furor musiziert, dass niemand Plagiatsvorwürfe äußerte. Einiges origineller, fast schon genial war wiederum, wie sie das nette, zu Rhythm Rangers-Zeiten als Hillbilly-Lied gespielte „You’re Undecided“ zu purem Rockabilly transformierten.
Zeitlos berühmt aber machte sie die Aufnahme von „The Train Kept A-Rollin'“, nach der Paul Burlison weithin als Erfinder der Fuzz-Gitarre galt. Was allerdings eine der längst entzauberten Mythen des frühen Rock’n’Roll ist, egal, was Burlison bald über die Session an Märchen erzählte. Denn das war nicht er, der dort zu hören ist, sondern die von Studiobesitzer Owen Bradley ob nachweislich hochprofessioneller Qualitäten verpflichtete Nashville-Legende Grady Martin. Am Kontrabass bei der Gelegenheit Session-Ass Bob Moore.
Am Nimbus des Rock’n’Roll Trio als der vielleicht fabelhaftesten Band, die Sam Phillips nie für sein Sun-Label verpflichten mochte, kratzt das trotzdem nicht. Von „Honey Hush“ (die Big-Joe-Turner-Aufnahme als Vorlage nutzend) spielten sie eine ganz formidable Version ein, Fats Dominos „All By Myself“ verpassten sie klassischen Rockabilly-Sound, und von Dave Edmunds und Led Zeppelin bis Stray Cats und Yardbirds inspirierten sie viele nachgeborene Kollegen.
Man kann ihr „Rock Billy Boogie“ durchaus für ähnlich schlichtes Liedgut halten wie Little Richards „Rip It Up“. Jemand wie den jungen Paul McCartney und vor allem seinen Kumpel John Lennon beeindruckte das trotzdem ganz enorm. Ziemlich schlechte Schnulzen wie „I Love You So“ nahm das Trio damals auch auf. Die sind aber weitestgehend längst vergessen.
Auf „Shattered Dreams – The Rise And Fall Of The Johnny Burnette R&R Trio“ findet man aber auch die alle. Nicht nur die frühen Aufnahmen komplett, sondern auch Alternativ-Takes, Live-Versionen und den Fernseh-Mitschnitt, bei dem sie „Hound Dog“ spielten und Johnny Burnette vorher erzählte, dass er in derselben Fabrik wie Elvis arbeitete, er als Elektromonteur, der als LKW-Fahrer mit so langen Haaren, dass er eigentlich mal dringend zum Friseur hätte gehen müssen.
Weder Schmachtfetzen noch Country-Songs findet man auf „Johnny Rocks“ die sich auch bei den späteren Solo-Aufnahmen des Sängers strikt auf das rockorientierte Material beschränkt. Ebenfalls aus dem monumentalen 9-CD-Box-Set „The Train Kept A-Rollin‘ – Memphis To Hollywood“ übernommen wurde ein knappes Dutzend Demos mit Bruder Dorsey.
Ausführlich erzählt Colin Escott in den Liner Notes. Wer’s immer noch nicht wusste, den erinnert er daran: Die letzten elf Sekunden lang spielt John Lennon bei „The Ballad Of John & Yoko“ nichts anderes als „Lonesome Tears In My Eyes“, 1957 Single-A-Seite des Trios. Das hatte der (weil bekennender Fan) mit der Band am 10. Juli 1963 schon mal ganz und in absolut hinreißender Interpretation musiziert – auf der Doppel-CD „Live At The BBC2 als eine der rarsten und besten Cover-Versionen der Beatles überhaupt dokumentiert. (Bear Family Records)