Meister des Konspirativen
Verschwörungstheorien und "„Tiefenpolitik": Peter Dale Scott fabuliert in seinem neuen Buch alles mit allem zusammen
Ob es um den Komplott gegen JFK geht, um Außerirdische oder die im TV-Studio simulierte Mondlandung – Verschwörungstheorien werden behandelt wie Glaubensfragen. Sie polarisieren. Wer sie ausklammert, ignoriert gewöhnlich den Inhalt der jeweiligen These, weil er Verschwörungstheorien aus Prinzip ablehnt Zugleich ist jedem klar, dass es für offizielle Verlautbarungen – vor Wählern, der UN oder transkribierenden Agentur-Journalisten – nur eine lohnenswerte Lesart gibt, nämlich die zwischen den Zeilen. Genauso weiß jeder, dass Politiker neben dem Wahlauftrag noch andere Interessen, Posten und Budgets kontrollieren. Das Dilemma jeder Verschwörungstheorie besteht darin, dass sie – indem sie einen Teilaspekt auszuleuchten versucht – simplifiziert. Doch nihil fit sine causa – nichts geschieht ohne Ursache, und der Ursachen gibt es mehr als eine.
Womit wir bei Peter Dale Scott wären. Nach dem Zweiten Weltkrieg für Kanada im diplomatischen Dienst tätig, danach Politikwissenschaftler an der Universität Berkeley, beschäftigt er sich seit mehr als 30 Jahren mit versteckten Agenden und Undercover-Operationen. Konspirationen, das weiß er, setzen voraus, dass eine Gruppe Leute ein gemeinsames Ziel verfolgt Scott, Jahrgang 1929, hat in“Deep Politics and the Death of JFK“ aufgezeigt, dass diese Sicht der Realität nicht gerecht wird. Was für verschiedene Gruppen noch das eine gemeinsame Ziel sein mag, ist für andere lediglich ein Ziel von vielen, ein gemeinsamer Zwischenstopp auf völlig verschiedenen Routen. Diesem Phänomen ist Scott nachgegangen und hat so den Begriff der deep politics geprägt. „Parapolitik die geheime Ausübung von Macht, artet leicht in ,Tiefenpolitik‘ aus, in ein Wechselspiel unerkannter Kräfte, über die der ursprüngliche parapolitische Akteur keine Kontrolle mehr besitzt“
Mit den Bestsellern über Konspirationen haben seine Bücher wenig zu tun: Scott bleibt immer seriös, in der Methodik akademisch. Und er macht das schon lange: Am Anfang der 70er zeigte er, wie die Laos-Krise aufgebläht, dann als Vorwand für den Krieg in Vietnam ausgeschlachtet wurde – und welche Interessen CIA und Nixon verfolgten, wenn sie Allianzen mit Air America und der Guomindang schlössen und so die Bemühungen von Neutralisten wie Souvanna Phouma und Kong Le systematisch torpedierten. Indochina, Kolumbien, Afghanistan, Irak – es sind stets die gleichen Mechanismen. Und sie sind extrem komplex.
Kurz und nachvollziehbar: An Kriegen und Krisen lässt sich verdienen. Darum werden sie von Lobbys und Konzern-Managern und -Aktionären angeschoben. Darum werden sie von Desinformation begleitet, bisweilen forciert von Pannen und konspirativen Elementen. Anders als Territorialkriege sind die gegen Kommunismus oder den Islam offiziell vertretbar. Jenseits der öffentlichen Reden geht es um anderes: „Die Karte der Terroristenschlupflöcher im Mittleren Osten und in Zentralasien und der dortigen Ziele im Kampf gegen den Terror ist in bemerkenswertem Maße identisch mit einer Karte der weltweit größten Energievorräte des 21. Jahrhunderts.“
„Die Drogen, das Öl und der Krieg. Zur Tiefenpolitik der USA“ – Scotts erstes auf deutsch erhältliche Buch – erklärt nun zum einen diesen Gedanken der Tiefenpolitik, aber auch einige der in der US-Außenpolitik wiederkehrenden Muster. Mit dem Kampf gegen Islam und Fundamentalismus nicht vereinbar weniger bekannt als das geostrategische Interesse an Öl und Pipelines, ist das der Finanzierung von Kriegen durch den Rauschgifthandel. Im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg hatte man davon gehört, ebenso bei indirekten Interventionen Amerikas unter Reagan (Iran-Contra-Affäre) – und Scott belegt nun, dass das Muster schon viel älter ist. Er belegt die Beziehungen aktiver und abtrünniger CIA-Chargen mit Drogenbaronen – in Laos, Vietnam, Afghanistan bis hin zum Kosovo und natürlich Kolumbien. Verbindungen zwischen der CIA und der mit Geldwäsche betrauten Bank von Meyer Lansky gab es schon 1950. Bereits damals wurden Territorialkämpfe zwischen konkurrierenden Fraktionen angeheizt – wobei sich die USA wiederholt auf die Seite rechtsorientierter Gruppen stellen, was regionale Konflikte verschärft und so manchen Putsch unterstützt. Für solche Operationen subventionieren die USA dann auch schon mal das Übersetzen des Koran ins Usbekische (!), unterstützen paramilitärische Gruppen mit Stinger-Raketen und Training; die schützen im Gegenzug vor marginaliserten Rebellentruppen, verteidigen nebenbei Öl oder Pipelines von US-Konzernen, sichern so den Petrodollar, treiben aber auch die Ungleichheit im jeweiligen Land voran – und unterwandern so jeden Fortschritt.
Instrumente beim Justieren dieses Teufelskreises sind neben den Waffenlieferungen (erschreckend oft als Teil von Hilfsprogrammen an die Dritte Welt) der Aufbau von Fluglinien, die auch für die offizielle US-Außenpolitik von Bedeutung sind (dabei zumeist von einer ganz anderen Lobby unterstützt werden). Mitwirkende sind neben Geheimdiensten, der China-Lobby und Terroristenringen immer wieder das American Security Council sowie Banken und Anwaltskanzleien, die Scott auch beim Namen nennt. Dazu immer wieder Nixon und die Bush-Familie. Nebeneffekt: Das Gros der Einnahmen fließt in die USA. Der weltweit wuchernde Drogenkonsum ist zwar weder Wählern noch US-Präsidenten recht – dessen Bekämpfung aber bleibt verlogen, wie in Afghanistan, wo es den „Taliban gelungen war, die Opiumproduktion zu unterbinden“ (laut Bericht der Vereinten Nationen im Oktober 2001), während die Nordallianz Mohnanbau mit Hilfe von Warlords unterstützt. Allerdings, so räumt auch Scott ein, untersagte Talibanführer Mullah Mohammad Omar im Juli 2000 den Anbau aus nicht ganz eindeutigen Motiven (und möglicherweise nur vorübergehend).
Womit wir beim Haken der Sache angekommen wären: Man kann nur staunen über Scotts Tiefenrecherche, sein Ringen um Transparenz bewundern. So angenehm anders als Michael Moore unterfüttert er die dargelegten Zusammenhänge mit Glossar und präzisen Fußnoten. Doch „Die Drogen, das Öl und der Krieg“, für den 75-Jährigen fast ein Lebenswerk, bleibt in den besten Fällen extrem komplex, bisweilen wirr. Nicht selten erinnert die Lektüre an einen Marsch durch ein Spiegelkabinett – bei dem man sich immer wieder fragt, ob sich die vielen Fakten auch anders interpretieren ließen. Denn auch Scott beachtet und zitiert nur selektiv – was zwar ein in sich geschlossenes System ergibt, ein erschreckendes auch, aber vielleicht auch nur ein teilweise zutreffendes.