I’m a poet and i don’t know it
Wolfgang Doebeling sucht den Connex von Pop & Poesie in Annalen und Archiven. Und wird fündig, wo niemand ihn vermutet hätte: in den Charts
Im Januar wurde ausgezählt Das dauerte – denn mehr als eine Million Menschen hatten teilgenommen an der BBC-Umfrage nach den größten Künstlern und Kunstwerken des 20. Jahrhunderts. In Sachen Pop räumten die üblichen Verdächtigen ab. Was Elvis nicht gewann, ging an die Beatles. Nur in der Kategorie „Best Song Lyrics Of The Century“ gab es eine Überraschung. „Heartbreak Hotel“ und „Yesterday“ wurden auf die Plätze verwiesen, Cole Porter und Hai David kamen unter ferner liefen ins Ziel. Zum Sieger erkor das nach Alter und Bildung durchaus repräsentative Wahlvolk Robbie Williams. Fun „When I’m lying in my bed/ Thoughts running dirough my head/ And I feel that love is dead/ I’m loving angels instead.“
Wem deshalb zum Weinen zumute ist, der sollte dafür besser in den Keller gehen. Auch Zynismus ist deplatziert. Song-Lyrik ist schließlich nicht dazu da, vom Blatt gelesen zu werden. Addiert man aber zum kindlichen Pathos der Worte eine honigsüße Melodie, den Schmelz in der Stimme und das Schmachten im Blick eines galanten, viel geliebten Schlawiners, braucht es nicht viel Fantasie, um sich die verheerende Wirkung im weiblichen Gemütshaushalt vorzustellen. Leider schlüsselte die BBC ihre Poll-Resultate nicht nach Geschlecht auf, aber wenn neben dem Schwärm der Backfische und Schwiegermütter selbst noch ein weiterer Mann für „Angels“ gestimmt hat, dann war es keiner. Sondern höchstens Elton John, dessen (von Bernie Taupin verfasstes) Farewell an eine Blondine in der Diana-Variante die Top Ten übrigens nur um Haaresbreite verfehlte.
Als Paul McCartney seinem Vater 1963 stolz die neueste Aufnahme der Fab Four zu Gehör brachte, redete der dem Sohn ins Gewissen: „Don’t we have enough of these Americanisms, my boy? Couldn’t you change it to ,She loves you, yes, yes, yes‘?“ Zur selben Zeit, in eben jenem fernen, fremden Amerika, kalauerte ein gewisser Bob Dylan: „Fm a poet, I know it/ Hope I don’t blow it.“ Pop war noch unschuldig in jenen Tagen, ohne Arg. Was beileibe nicht heißen soll, es habe nur Nonsense-Texte gegeben. „Who put the ram in the rama-lama-dingdong.“ Keineswegs. Hank Williams, obschon des Lesens und Schreibens kaum mächtig, hatte 100 Songpoeme hinterlassen, die sich auch sprachlich mit jedem Leats oder Keats messen können. Und er war nicht der einzige große Dichter, der sich musikalischer Mittel bediente.
Dennoch galt ganz allgemein die Regel, ein Song sei dann ein Hit, wenn man ihn mitsummen oder mitpfeifen könne. Texte waren Beiwerk. Im Zweifelsfalle zu vernachlässigen. Fünf Jahre später hatte sich das Verhältnis beinahe ins Gegenteil verkehrt. Musik wurde oft nurmehr als Transportmittel verstanden für Botschaften und Dichtung. Das Feuilleton hatte ein Erweckungserlebnis, Exegesen von Dylan und Cohen wurden in Serie abgedruckt, die Worte des „White Album“ wurden seziert, „Sympathy For The Devil“ auf zwei vollen Seiten der „New York Times“ literarisch ausgeleuchtet Herbert Marcuse überinterpretiertejean-Paul Sartre kapierte gar nichts, fühlte sich aber nichtsdestotrotz zu einem Essay bemüßigt, der in der Erkenntnis gipfelte: Mehr Entfremdung war nie. Währenddessen die gefeierten Songpoeten stets selbstreferentieller schrieben, immer satirischer auch. Paul Simon besang einen Mann „who doesn’t dig poetry/ He’s so unhip that when you say Dylan/ He thinks you’re talking about Dylan Thomas.“
Die renommierte britische „Poetry Society“ spricht vom „Goldenen Zeitalter“ der Songpoesie und meint damit die Jahre 1966 bis 1975. Was so falsch nicht ist, denn fast alle herausragenden Köpfe der Songkunst befanden sich damals im Zenith ihres Könnens. Bob Dylan, Paul Simon, Leonard Cohen, Joni Mitchell, Randy Newman, Townes Van Zandt, John Prine. Um nur den harten Kern zu nennen. Seit Ende letzten Jahres untersucht im Auftrag besagter Society eine Literatur-Koryphäe in den Katakomben der Label-Archive „the connections between authentic verse and populär song“. Es sei noch zu früh, ein Fazit zu ziehen, aber schon jetzt ließe sich resümieren, dass kreative Höhenflüge in der modernen Pop-Lyrik eher dünn gesäht seien.
Kein Wunder, wenn schon die Altvorderen nicht mehr mit gutem Beispiel vorangehen. Wann hat man zuletzt geniale Zeilen gehört wie „He not busy being born is busy dying“ oder „She blew my nose and then she blew my mind“? Neil Young mag nicht zu den Literaten unter den Songwritern gehören, doch was er sich auf seiner (ansonsten wunderbaren) neuen LP lyrisch leistet, verkauft seine Talente weit unter Wert „Ybu really make my day/ With the little things you say“, reimt Onkel Neil und schreckt selbst vor abgewichsten Metaphern nicht zurück: „My Software is not compatible with you.“ Oder wie wäre es mit einem Konstrukt von David Crosby: „I’d like to stand alone in front of that oncoming tank/ Like that Chinese boy that we all have to thank.“ So gut gemeint, so ungeküsst von jeder Muse.
Dann allemal lieber Robbie Williams, der sich indes gerade vor Gericht verantworten muss. Ein Plagiats-Prozess, angestrengt von Loudon Wainwright & Robbie soll bei ihm abgekupfert haben, Wort für Wort. Der Schlingel.