Friends – Die neuen Hipster-Hippies
Yoga-Shows, Kombucha und freie Liebe, Cool-Listen und Fashion-Shoots: Die derzeit heißesten New Yorker Pop-Newcomer Friends werfen sich voller Freude ins weltanschauliche Paradox.
Mehr als 1.500 Fotos stehen auf Samantha Urbanis Pinnwand im sozialen Netzwerk Facebook, nur sichtbar für registrierte Freunde. Allerdings sind das bei ihr über 2.200 Leute, für eine Privatperson ganz schön viele – woraus man schließen kann, dass das alles wohl doch nicht so schrecklich privat ist: ihre Kinderzeichnung von einer Außerirdischen-Hochzeit, Bilder, auf denen sie künstliches Blut spuckt, Partyfotos mit neonrot- oder weißgefärbten Augenbrauen, schwarzen und blauen Lippen, künstlichen Hasenohren, irrwitzig gemusterten Kaftanen, halb nackten Menschen. Sieht so aus, als wäre das Leben der 24-jährigen Samantha in New York eine große öffentliche College-Kunstaktion. Der berühmte Kindergeburtstag, aber nicht jugendfrei.
Im Oktober 2010 taucht auch zum ersten Mal ein Foto ihrer Band auf. Ein Wohnzimmer-Webcam-Schuss, Samantha mit einem dünnen Mädchen und drei ungekämmten Jungs, hätte auch wieder ein Party-Kiff-Bild sein können. „Guess what, my band sounds good“, hat sie schon einige Wochen vorher geschrieben. „Like RILL GOOD. Ya!“ Mit genau 27 Ausrufezeichen.
Friends heißt die Gruppe, genau wie die Freunde auf Facebook, und wenn man sie sieht und hört, ist das im ersten Moment tatsächlich so, als wären Samantha Urbanis Fotos lebendig geworden, dreidimensional und laut, böse Geister abschreckend. So aufdringlich, dass einige frühe Betrachter – Unfreunde natürlich – pikiert waren. Und alle anderen schnell merkten, dass man so oder so keine Chance haben würde, die Band zu ignorieren. Vergangenen Herbst waren Friends schon beim CMJ Music Marathon dabei, dem größten Festival New Yorks, der „NME“ nannte sie auf Platz 24 der besten neuen Bands 2011, die BBC nahm sie in die „Sound Of 2012“-Liste der größten Hoffnungen und sichersten Spekulationen auf, von der wie immer tausend Redakteure und Blogger abschrieben.
Zwei Musikvideos gab es als Grundlage, immerhin mehr als eines. Zwei Videos mit so viel immensem Stilwillen und musikalischem punch, so voller selbstbewusster, unhöflicher Eitelkeit, wie sie Debüt-Singles im diffusen Indie-Bereich heute nur selten haben: „Friend Crush“, das erste, in dem Sängerin Samantha als schmelzend schöne Pop-Kleopatra in einer psychedelischen Schatzkammer liegt, mit Plüschtiger und falschen Diamanten. Die Stimme klingt, als wäre Kim Wilde so richtig sauer, die Basslinie ist elastisch und reißfest, der Beat hart, die Synthesizer klingeln kühl und orientalisch. Das zweite, „I’m His Girl“: ein halb gerapptes Stück Rotz-Punk-Funk, das einen von der Straßenecke aus anpöbelt, Rock Steady Crew trifft Jodie Foster in „Taxi Driver“. Zwei Friends-Songs, too cool for school, die derart provokant die eigene Leidenschaft verdrängen, dass man umso heftiger von ihr angesteckt wird. Es gab wenige andere Bands, bei denen man zum Jahreswechsel so gespannt war, was als Nächstes passiert.
Und natürlich ist Samantha Urbani völlig übernächtigt, als sie an einem Freitagnachmittag im Frühsommer 2012 in Berlin zum Interview kommt. Sie trägt einen roten Turban um den Kopf, ein Panzerhemdchen aus lauter glänzenden Schuppen. Ob ihre Sprechstimme den zu einem Drittel verpeilten, zum zweiten spöttischen und zum dritten Drittel lasziven Tonfall vielleicht nur hat, weil sie in der Nacht davor so lange mit wildfremden Leuten gefeiert hat, weiß keiner (2010 studierte sie mal drei Monate in Berlin). „Wir haben alle ein schräges Weltbild, aber das von Sam ist noch ein bisschen schräger“, sagt pflichtbewusst Matthew Molnar, 29, Keyboarder, Bassist und Tamburinschüttler, der Dicke mit weit ausgeschnittenem T-Shirt und grober Halskette. Man fühlt sich in ihrer Gegenwart wie in einer unfassbar übertriebenen Hipster-Version von „Hangover“.
Bushwick, das New Yorker Viertel im Bezirk Brooklyn, in dem die Bandmitglieder sich kennenlernten, war ganz früher die Hochburg der Bierbrauer, wurde in den Siebzigern zum Horrorviertel mit Drogen und Gangs. Und stieg, im Zug des Brooklyn-Hypes der 2000er-Jahre, zum brandheißen Schauplatz auf. Mit Skateboardern, Cafés ohne Hausnummern, Grafikdesignern und organischen Weinläden, „der coolste Wohnort der Welt“, wie die „New York Times“ im Juli 2010 schrieb. Jedenfalls cooler als der benachbarte Stadtteil Williamsburg, Heimat von TV On The Radio oder den Yeah Yeah Yeahs, der ja noch – die „Lonely Planet“-Redaktion kommt kaum mehr hinterher – vor rund fünf Jahren die meisten Abhänger anzog.
„Ich fühle mich da nicht mehr wohl“, sagt Samantha Urbani. „Downtown Williamsburg wirkt super-elitär auf mich. Überall sanierte Eigentumswohnungen, Touristen. Leute, für die Kunst ein Fetisch ist, aber nichts, zu dem sie eine tiefere Verbindung eingehen würden.“ Gentrifizierung, ein Begriff aus der Sozioökonomie, wird ja oft etwas zu leichtfertig auf Disziplinen wie die Popmusik angewandt – als ob die Songs mieser würden, wenn nebenan junge Eltern einziehen. Ganz so platt sind Urbanis Ressentiments nicht. „Bushwick dagegen, wo wir wohnen, ist noch großteils als Industriegebiet deklariert“, erklärt sie. Stadtplanung, eigentlich kein Katerthema. „Solange das so bleibt, kann es dort praktisch keine Eigentumswohnungen geben. Das sichert der Art von Gemeinschaft, in der wir leben wollen, noch ein paar Jahre lang die Existenz.“ „Gemeinschaft“ sagt sie fast wie: „Kommune“.
Die Band hat keinen Gründungsmythos. Friends kamen in der echten Welt so zusammen, wie man eben auch auf Facebook Freunde findet, inklusive sämtlicher Großstadt-Reizwörter. Samantha Urbani galt zu Hause in Connecticut selbstverständlich als das seltsame Mädchen, das mit 20 nach New York zog. Über ihren Ex-Freund traf sie Matthew, Ex-Punk aus New Jersey, der ihr einen Job in einem veganen Restaurant verschaffte, wo auch Gitarrist Nikki Shapiro arbeitete. Bassistin Lesley Hann, Sandkastenfreundin von Samantha, traf in einem Instrumentenladen in Brooklyn Oliver Duncan, den Schlagzeuger. Sechs Tage nach der ersten Probe im September 2010 traten sie auf einer Party in Samanthas Hinterhof auf. Einmal um zehn, nochmal um Mitternacht, vor 30 Leuten.
Der halb private, halb öffentliche Rahmen wurde zum Ideal für Friends-Konzerte. Bushwick ist 2012 noch voller „DIY spaces“, unabhängig organisierter, sich Perpetuum-mobile-haft selbst finanzierender, oft zeitlich begrenzter Cafés und Kunsträume. Jeder, der hier etwas auf die Beine stellt, hängt mit mindestens einem der Bandmitglieder zusammen.
„Bei normalen Bar- und Clubkonzerten wird man als Band immer in diesen doofen Konkurrenzkampf hineingezogen“, sagt Samantha Urbani. „Wir spielen viel lieber in DIY spaces, da herrscht ein Geist der Gemeinschaft. Bands, Zuschauer und Promoter teilen sich die Energie, eine Art Symbiose.“ 285 Kent Ave, Death By Audio oder Shea Stadium heißen die Orte, die Getränke sind billig, die Leute schön, die Toiletten eine Zumutung. „Ein paar Freunde von mir haben gerade ein großartiges Mittelding aus community center, Konzerthalle und Yoga-Studio eröffnet. Very Bushwick – ein Ort, an dem gesunder Hedonismus praktiziert wird. So in der Art:, Möchtest du vielleicht noch einen Pilztee?'“ Bands spielen live, die Besucher machen Yoga dazu – und da ist kein bisschen Ironie dabei? „Wieso, wie kommst du darauf?“ Urbani streckt die Arme hinter den Kopf, so minimal aufreizend, wie sie es hinbekommt, und zieht sich den Pferdeschwanz zurecht.
Am 1. Juni erscheint endlich das Album, die Unternehmung wächst, die Hippie-Hipsterin Samantha wird längst schon als alternative Modeikone benutzt und nach ihrem Lippenstift gefragt. Und auf Tour in USA und England, wo sie jetzt schon besonders geliebt werden, bleibt den Friends wenig anderes übrig, als den Schwur zu brechen. Und in größeren Sälen aufzutreten, an denen möglicherweise auch der fette Entertainment-Adel verdient.
In Berlin spielen sie – am Abend vor dem Interview – in einem interessanten Zwielicht, nämlich auf der Party einer temporären Modeboutique, die der Online-Händler Zalando in einer teuren Shoppingstraße eröffnet. In einem millionenschweren DIY space also. Die Agenturleute sind irre stolz, dass sie für den Abend eine so angesagte Band gekriegt haben, und die fünf Friends fühlen sich auf der viel zu kleinen Bühne richtig wie zu Hause. Der bombenfeste Matthew, der sportlich trommelnde Oliver, Nikki todernst an der Gitarre, vorne Bassis-tin Lesley wie ein riot girl aus China-Porzellan und Samantha, mit 1000- und-eine-Nacht-Pluderhose und einem nach Sado-Maso aussehenden, engen Top aus schwarzem Leder. Sie schwitzt am meisten, springt wie so oft beim Singen von der Bühne, schmiegt sich an Jungs und Mädchen, simuliert Zungenküsse mit einer hübschen Frau in der ersten Reihe. Wenige Tage später wird sie beim SXSW-Festival in Austin dabei fotografiert werden, wie sie einem Zuschauer nach der Show spontan eine Tätowierung in den Oberarm piekst. Der Mann konnte nicht rechtzeitig Nein sagen.
Vielleicht muss man selbst aus sehr unhippen Verhältnissen kommen, um zu merken, dass diese Friends im Grunde natürlich selbst zu den Hipstern gehören, von denen sie sich so sehr abgrenzen wollen, zu den Mitgliedern im Club der Leute, die Clubs zu elitär finden. Mit etwas fairer gehandeltem Kaffee und etwas freierer Liebe vielleicht.
Aber das ist es. Das unterscheidet sie so sehr von den hundert anderen Bands der Stunde, lässt sie buchstäblich heraussteigen aus der semi-virtuellen Popdimension von 2012, in der es zwischen Name-Dropping, theoretischem Sex, kühlen Zitaten und eben Facebook-Bildern nicht viel Bleibendes gibt. So albern sie auch oft sind, die ganzen Freunde, Samantha mit ihrem bemalten Gesicht und dem Lobpreis auf die unrasierte Achselhöhle: Sie haben eben auch ein paar unzynische Werte, eine Verbindlich- und Körperlichkeit, die man sogar auf den Singles hört, in jeder fest angezerrten Bass-Saite, jedem anzüglichen Brüllen, jedem Bäng. Dass eine Popgruppe dir aus dem Radio sagt: „I wanna be your friend!“, das kommt erstaunlich selten vor.
Auftritte beenden Friends trotzdem am liebsten mit dem Stück „Va Fan Gor Du“, „Was zum Teufel machst du?“ auf Schwedisch, einem lärmenden Gummitwist-Abzählreim, bei dem Bassistin Lesley zwei Holzpflöcke gegeneinanderschlägt und Sängerin Sam einen nervenden, unverständigen Mann zur Sau macht. „Who do you think I am? Some bitch on the street, some piece of meat?“, und dann: „In your heart, in your soul, you’re an asshole!“
Auch das klingt viel, viel schöner, wenn es eine Freundin sagt.