Eine Kiste voller Beatles – wie gut ist die eigentlich?
Bearbeitet, restauriert und entrauscht: Alle Alben der Beatles werden in einer luxuriösen Vinylbox neu aufgelegt. ROLLING STONE hat die Kiste ausgepackt, Klang und Pressungen getestet
Ihren letzten gemeinsamen song nahmen die Beatles im August 1969 auf. Das berühmte Vokal-Terzett „Because“ war die finale Sternstunde der Band, ein Moment von grenzenloser Harmonie. Genau genommen wurden die drei Sänger dafür dreimal hintereinander aufgenommen und die Tonspuren dann im Oberdub zu einem Nonett zusammengefügt. Da schwang ein Versprechen von endlosem Glück mit. Soviel Einklang hatte im Beatles-Lager lange nicht geherrscht.
In der kürzlich auf DVD nachgereichten BBC-Dokumentation „Produced By George Martin“ erklärt der auch nach Jahrzehnten noch angefressene Produzent, es habe ihn sehr verletzt, dass John Lennon während der chaotischen Sessions zu „Let It Be“ plötzlich erklärte, er habe seine Arbeit mit den Beatles schon jahrelang für „crap“ gehalten. CRAP! Als die Platte dann doch noch erschien, war es ein heftiger Affront für Martin, dass sein Name auf Anweisung der EMI nirgends auftauchen durfte. Auf der Cover-Rückseite war lediglich die Rede davon, dass Phil Spector für das Album die Wärme und die Frische einer Live-Performance reproduziert habe. Zu einer Richtigstellung war die Plattenfirma offenbar immer noch nicht bereit, als man sich kürzlich an eine neu gemasterte Ausgabe sämtlicher Beatles-Platten in Form einer luxuriösen Vinylbox machte: Auf dem Cover und dem Innenlabel von „Let It Be“ sucht man nach wie vor vergeblich nach einem Hinweis auf Martins Mitwirken. Der alte Herr wird’s verschmerzen. Besagter Dokumentarfilm zeigt nämlich auch, dass er einen deutlich angenehmeren Lebensabend genießt als Phil Spector.
Bei der Vinylbox handelt es sich um die Fortsetzung des ambitionierten Remaster-Projekts, das den Beatles-Fans mit großem Erfolg klanglich überarbeitete Fassungen der Studio-Alben zunächst auf CD und dann zum digitalen Download bescherte. Sie beinhaltet die Stereo-Versionen der zwölf regulären Platten der Fab Four, die US-Version von „Magical Mystery Tour“ sowie die Zusammenstellungen „Past Masters I & II“. Die Restaurierung erfolgte unter Verwendung von Original-Equipment und modernster Technik in den Abbey-Road-Studios und nahm angeblich vier Jahre in Anspruch. Indirekt hat George Martin auch bei dieser Veröffentlichung seine Finger im Spiel. Er prägte den Beatles-Sound nämlich weit über das Ende der Band hinaus. Anfang 1987 remixte und remasterte er die Alben „Help!“ und „Rubber Soul“ für die Veröffentlichung auf CD. Damals erntete er heftige Kritik aus Fankreisen, weil er meinte, den Klang von „Help!“ modernisieren und veredeln zu müssen. Die tonale Über-alles-Balance zu modifizieren, um dem Sound vor allem in den Mitten etwas mehr Fülle und Präsenz zu geben, war dabei gar kein verwerfliches Vorgehen. Warum er darüber hinaus aber exzessiv mit digitalen Halleffekten arbeitete, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Trotz der berechtigten Kritik an seiner Arbeit verwendeten die Macher der aktuellen Vinyl-Neuauflage nun erneut Martins Neuabmischungen aus den Achtzigern, statt auf den Original-Mix zurückzugreifen – vielleicht auch um den weltberühmten Produzenten nicht erneut zu brüskieren. Zudem hatten Martins nachträgliche Eingriffe durchaus nachvollziehbare Gründe. Anders als bei „A Hard Day’s Night“ und den folgenden Platten hatten sich seine Leute am Mischpult und er bei den Aufnahmen zu „Rubber Soul“ einige handwerkliche Schnitzer geleistet. Ständig war die Band mit neuen Instrumenten und neuen Ideen angekommen, was zu technischen Problemen bei den Aufnahmen geführt hatte. Zugleich drängte die EMI darauf, dass „Rubber Soul“ – ganze vier Monate nach „Help!“ – unbedingt noch vor Weihnachten in den Handel kommen sollte. Zwei Wochen vor dem Erscheinungstermin waren George Martin, Ken Scott und Norman Smith noch immer mit dem Abmischen beschäftigt. Bei Capitol Records in Hollywood bemerkte man nicht, dass das für die US-Version des Albums angelieferte Band mit zwei falschen Einsätzen der Gitarre bei „I’m Looking Through You“ kam. Das Band passierte die Qualitätskontrolle und wurde anstandslos veröffentlicht.
Mit seinen Remixen von 1987 wollte Martin nicht nur manche Schlamperei ausmerzen, sondern auch die extreme Ping-Pong-Stereo-Ästhetik der beiden Alben korrigieren. Dass er mit seinen Überlegungen nicht völlig danebenlag, beweist ausgerechnet die Deluxe-DVD der restaurierten Fassung des „Help!“-Films, die vor fünf Jahren erschien. Die mit der A-Seite des Albums identischen sieben Songs des Soundtracks sind hier nicht nur im Stereo-Mix mit korrekter Absolut-Tonhöhe und ohne digitalen Schnickschnack zu hören, sondern auch in einem umwerfenden DTS-Remix: Nie klangen „Ticket To Ride“, „You’ve Got To Hide Your Love Away“ oder „The Night Before“ besser als hier.
Von den Machern der Remasters-Vinylbox wurde dieser gelungene Remix jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen ignoriert: „Created From The Original Analogue Tapes“, versichern die beiliegenden Diskografien immer wieder. Analog-Fans und Vinyl-Junkies sollen da wohl ein bisschen ins Träumen geraten, denn das galt auch schon für die remasterten CDs von 2009. Als PR-Behauptung für Ahnungslose erweist sich die Verlautbarung des Technik-Teams, dass die Analog-Mutterbänder nicht in 16bit-Auflösung, sondern mit einem A/D-Konverter der Firma Prism in 24bit/192 kHz-Auflösung kopiert wurden. Mit so einem Digital-Signal kann man aber keine Neumann-VMS80-Schneidanlage ansteuern und füttern, um damit die Umschnitte für die LP-Fassung vorzunehmen! Tatsache ist dagegen, dass die analogen Masterbänder für diese Edition digital bearbeitet, restauriert, ein wenig entrauscht und an einigen kritischen Stellen – bei scharfen Zischlauten oder Plopp-Geräuschen – etwas entschärft wurden. Massive Eingriffe wie seinerzeit bei Capitol Records, als man beim Transfer der vier LP-Seiten die Höhen und Bässe vom „Weißen Album“ deutlich absenkte, um mit höherem Pegel überspielen zu können, erlaubt man sich heute natürlich nicht mehr.
Ein paar Kompromisse musste man wohl dennoch eingehen. Bei der Überspielung gab man Lackfolien den Vorzug gegenüber dem Direct Metal Mastering via Kupferfolie – mit dem Ergebnis, dass Beatles-Fans bei diesen LPs mit einem sanften, im direkten Vergleich zu den letzten Remaster-CDs aber doch hörbaren Roll-Off in den Höhen leben müssen. Um das zu erklären, bemühen die Liner Notes einmal mehr das Klischee des „wärmeren“ Analog-Klangs. Mit der Fertigungsqualität dürften allerdings auch anspruchsvolle Fans durchaus zufrieden sein. Die Vorechos sind minimal, das Rillengeräusch hält sich sehr in Grenzen (deutlich verwellt war nur das Rezensionsexemplar der zweiten „Past Masters“-LP), und so „horrible“, wie George Martin einmal in einem Gespräch mit der „New York Times“ vermutete, klingen auch die hier verwendeten Stereo-Mixe der ersten beiden LPs nicht. (Zur Freude der Back-to-mono-Gemeinde sollen sie übrigens nächstes Jahr als Mono-LPs wiederveröffentlicht werden. Auch „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ liegt laut Liner Notes längst im Mono-Vinyl-Umschnitt vor – samt der jahrelang entfernten, kryptischen Botschaft in der Endlos-Auslaufrille. Spätestens dann dürften wohl auch „Help!“ und „Rubber Soul“ im ursprünglichen Mix von 1965 auf Vinyl nachgereicht werden.)
Bei den meisten Alben wählte man einen höheren Überspielpegel als sonst üblich. Am lautesten überspielte man jedoch nicht die frühen LPs mit ihren notorisch kurzen Gesamtlängen, sondern „Sgt. Pepper“. Bei den LPs danach hielt man aber deutlich niedrigere Pegel für angebracht, was im Fall von „Abbey Road“ (die A-Seite ist immerhin knapp 25 Minutenlang) und dem „Weißen Album“ (23 bis gut 24 Minuten) plausibel erscheint, bei „Let It Be“ (die längere A-Seite gerade mal 19 Minuten) aber keinesfalls erforderlich war. Ein Sonderfall sind die nun erstmals auf Vinyl vorliegenden „Past Masters“-Kollektionen. Es war keine gute Idee, sie auf nur vier LP-Seiten unterzubringen. Wegen der mehr als 50 Minuten Spielzeit von „Past Masters II“ musste man den Pegel erheblich reduzieren. Ausgerechnet einige der am sorgfältigsten ausgearbeiten Single-Produktionen und -Mixe bleiben damit hinter der Original-Dynamik zurück. Ziemlich verwegen mutet in diesem Zusammenhang die Behauptung an, anders als bei den CDs sei bei den Vinyl-Überspielungen keinerlei Kompres-sion nötig gewesen.
Die Memorabilia, Faltblätter, Fotos und Broschüren, die den späten LPs seinerzeit beilagen, wurden für die Vinylbox mit großer Sorgfalt originalgetreu nachgefertigt. Besonders aufwendig ist das Beiwerk zu „Magical Mystery Tour“: Hier kann die entsprechende CD mit ihrem kleinen Format nicht annähernd mithalten. Das Hardcover-Buch, das die Komplett-Ausgabe ergänzt, liefert zwar kaum neue Erkenntnisse für die Beatles-Forschung, erörtert sämtliche LPs aber sachlich und ausführlich und bietet reichlich historisches Fotomaterial in vorzüglicher Druckqualität. Da kann man durchaus in nostalgisches Schwärmen geraten. Für fanatische Beatles-Anhänger, die, wie neulich erst geschehen, auch schon mal das „Butcher Cover“ von „Yesterday and Today“ in Mint Condition für 15.000 Dollar ersteigern, ist diese Edition sicher ein Schnäppchen.
Auf Seite 251 des Begleitbuchs findet man im Kleingedruckten der Discografie zu „Let It Be“ dann doch noch ein knappes „Thanks To George Martin“. Der besonders um das Beatles-Vermächtnis besorgte Paul McCartney schloss mit ihm übrigens schon 1973 Frieden, als die beiden gemeinsam den Titelsong des James-Bond-Films „Live And Let Die“ aufnahmen.
„The Beatles Stereo Album 16 LP Limited Edition Box Set“, so der offizielle Titel der Vinyl-Box, beinhaltet neu gemasterte 180-Gramm-Pressungen der Beatles-Alben und ein dickes Begleitbuch. Sie ist weltweit auf 50.000 Exemplare limitiert. Die Alben sind aber auch einzeln erhätlich.