Der Tod schreibt nicht
Für sein erstes großes Album hat Cory Chisel die Musiker in der Art von Bob Dylans „Rolling Thunder Revue“ zusammengestellt.
F ür sein erstes international veröffentlichtes Album hat Cory Chisel eine Art (Indie-)Superband zusammengestellt, die Wandering Sons. Little Jack Lawrence und Patrick Keeler spielen bei den Raconteurs, Carl Broemel gehört zu My Morning Jacket. Dazu geben sich Brendan Benson und Patrick Warren die Ehre, man staunt nicht schlecht. Sicher hätten ein paar gemeinsame Bekannte ein gutes Wort eingelegt, sagt Chisel. „Aber im Endeffekt haben wir diese Leute einfach angeschrieben und das Beste gehofft. Natürlich können wir die Besetzung des Albums in den meisten Fällen nicht mit auf Tournee nehmen, aber das ist okay – unsere Musik soll von ganz verschiedenen Leuten interpretiert wird. Wir stellen uns einen ständigen Wechsel vor, wie bei Dylans, Rolling Thunder Revue‘.“ Chisel macht auf „Death Won’t Send A Letter“ guten Gebrauch von den Talenten und mischt seinem klassisch amerikanischen, an die frühen Wallflowers erinnernden Songwriter-Rock Reminiszenzen an Elvis Costellos Attractions und den frühen Bruce Springsteen bei. Bei manchen Songs fühlt man sich – vor allem dank Chisels Gesang – sehr angenehm an die Klangfarbe von Del Amitri erinnert.
Der Sänger und Gitarrist lebt seit vielen Jahren in Wisconsin, wuchs aber in Minnesota auf. Die großen Weiten und die klaren Seen des North Star State stecken in diesen Liedern, die romantisch, aber nicht stickig sind. Jede Menge Hausmusik habe es in seiner Kindheit gegeben, sagt der Pastorensohn, der damals keine weltlichen Filme sehen und möglichst nur gottesfürchtige Musik hören durfte. Chisel verteufelt diese fromme Welt nicht, sondern integriert sie in seine Lieder. Spirituelle Verweise vermengen sich mit kräftigen Naturbildern – ein uramerikanisches Amalgam, wie man es ähnlich von den Felice Brothers kennt.
Nach der Gospel- und Soul-Sozialisierung entdeckte Chisel erst den Blues und dann die großen Liedschmiede, hat aber auch eine aufmüpfige Punk-Phase hinter sich gebracht. All das hat seine Spuren hinterlassen auf dieser Platte, die über die Songwriter-Standards hinausgeht und durchaus einen eigenen Platz besetzt. „Wir haben diese Lieder geschrieben, als George W. Bush noch Präsident war“, erklärt Chisel den etwas deprimierenden Albumtitel, „das war eine düstere Zeit, alles schien so unsicher. Wir meinen das aber eher positiv. Lebe den Moment, lebe leidenschaftlich, das ist unsere Botschaft.“
Chisel spricht übrigens stets im Plural, weil eine Frau namens Adriel Harris eine wichtige Rolle für die Entstehung seiner Musik spielt. Eigentlich, sagt Chisel, sei Cory Chisel ein Duo – was doch ein wenig spinnert wirkt. „Ich schreibe wohl die Songs, aber der weibliche Standpunkt ist immer in sie eingearbeitet.“
Das – und außerdem ein tiefer nord-amerikanischer See. Jörn SchlütER