Das altersweise Wunderkind
Kein Rocker entkommt dieser Krise der mittleren Jahre. Wenn Rebellion, Größenwahn, Unverletzlichkeit aufgezehrt sind, droht das kreative Koma. Oder die Karikatur. Ron Sexsmith scheint dagegen gefeit. Schon mit Anfang 20 hielt der heute 34jährige Kanadier Ausschau nach geeignetem Material, das auch in reiferem Alter noch guten Gewissens zu singen ist. «Meine Songs sollen in Würde altern“, betont er. Wie die vom bewunderten Fellow-Canadian Gordon Lightfbot. Fragt man nach Lieblings-Interpreten, fallen so unerwartete Namen wie Charley Pride und Bing Crosby.
Nun wird man den Melancholiker, der gern „die Grauzonen des Lebens“ erhellen möchte, auch kaum als Iggy-Pop-Reinkarnation verkaufen wollen. Der unspektakuläre Ray-Davies-Fan kommt eher wie der nette Hänger vom Paketschalter rüber. Tatsächlich war der mitdere von drei Brüdern vorübergehend im Zustellwesen tätig, um als junger Vater (eine achtjährige Tochter, ein zwölfiähriger Sohn) die Familie über die Runden zu bringen: Als einer von zwei Fußkurieren durchstreifte er das Geschäftsviertel von Toronto. „Ich hatte Angst, mich in der Stadt aufs Fahrrad zu setzen“, sagt Sexsmith, auf „verrückte Autofahrer“ verweisend. Zudem gehe er ohnehin „am liebsten ganz allein für mich herum“.
So schreibe er auch bevorzugt seine Songs. „Das ist ganz einfach: Ich summe die Melodien vor mich hin und mache Notizen in einem kleinen Buch. Wenn ich was Gutes habe, muß ich es den ganzen Tag vor mich hinsummen, weil ich’s sonst vergesse. Aber ich kann einfach nicht in einem geschlossenen Raum schreiben. Da bekomme ich kaum was Gescheites hin.“
Der Übersiedlung in die Metropole ging Lokal-Ruhm als Bar-Attraktion im Städtchen St. Kadierins nahe der Niagara-Fälle voraus. Vier Jahre lang spielte Sexsmidi, was alle wollten: von Neil Diamond bis Neil Young. Und freute sich über Party-Einladungen, die er vorher nie und nimmer bekommen hätte. Doch als er „meinen Geschmack“ entdeckte, gar eigene Songs wollte, antwortete die Gemeinde mit Liebesentzug eine Erfahrung, die Pate stand beim aktuellen Song „Child Star“.
Seine Demos brachten ihm in Toronto zunächst nur einen Verlags-Deal als Songwriter ein. Sexsmith: „Die Plattenfirmen sagten immer: Du bist ein guter Songwriter, aber deine Stimme… Ich stellte mich also schon drauf ein, der anonyme Mann im Hintergrund zu bleiben.“ Aber schließlich klappte es doch – nicht zuletzt dank des Interesses von Produzent Mitchell Froom, der „von Anfang an ehrlich zu mir war und kritisch mit meinen Songs umging. Er sagte: ,Midtempo und Balladen, da liegt deine Stärke.‘ Es war nicht so, daß Mitchell meine Stimme nicht mag bei schnellen Songs. Er wollte nur nicht, daß ich in diesen Roots-Rock-Bereich rutsche.“
Sexsmith verachtet Prätention und liebt „diese Ära“, in der Musik noch nicht als Kunst gehandelt wurde. Da wollte noch keiner ein Genie sein. Es sollte mehr Typen wie George Jones geben: Großartige Stimme singt einen guten Song. Heute stecke „zuviel Image und Attitüde“ in der Musik. Aber er wolle „auch nicht retro“ sein, nur „relevant für mich selbst“.
Neulich durfte Sexsmith bei Paul McCartney frühstücken – auf Vermittlung von dessen Nachbar Chris Difford (Squeeze). „Ich war einfach baff, daß er ihn so einfach anrufen konnte! Mein Gott, war ich nervös!“ „Listen To What The Man Said“, der Wings-Hit, wollte ihm nachher nicht mehr aus dem Kopf gehen…