Bob Ludwig – Der Mann mit dem goldenen Ohr
In gefühlt jedem zweiten Album-Booklet liest man unter "Mastering": Bob Ludwig. Seit den frühen Siebzigern veredelt der Sound-Pefektionist viele der wichtigsten Werke der Pop-Geschichte
Eine halbe Stunde. Mehr könne Bob Ludwig leider nicht zur Verfügung stehen, sagt seine Frau Gail, als ich die Gateway Studios in Portland, Maine betrete. Einige Live-DVDs von Nirvana stünden vor der Wiederveröffentlichung, und Bob mache gerade den klanglichen Feinschliff. Aber er komme gleich. Die Wartezeit in der Lobby zu überbrücken, ist die wahre Freude. An den Wänden hängen zahllose Platin- und Goldschallplatten, die die Mastering-Legende in seiner einmaligen Laufbahn gewonnen hat. Coldplay, Paul McCartney, Led Zeppelin, Lou Reed, Tony Bennett, Bryan Adams, The Who … Auch Herbert Grönemeyer hängt dort (für die englische Version von „Chaos“). Und immer wieder Bruce Springsteen. Dazwischen Madonna und Metallica. Bob kennt sie alle. Auch die meisten namentlichen Erwähnungen in der Musikindustrie gehen auf das Konto des Mannes mit den lachenden Augen und dem ultimativen Gehör.
Aber wofür eigentlich genau? Bob schmunzelt. „Ja, es ist schon ironisch, dass wir mehrfach als bestes Mastering-Studio ausgezeichnet wurden, aber niemand da draußen so richtig weiß, welchen Anteil ein Mastering Engineer an einer Musikproduktion hat“, sagt der 67-Jährige. Die meisten Musiker kämen nur aus einem Grund zu ihm: Ihre Platte solle so perfekt wie möglich klingen. Das Mastering ist der finale Schritt, die Klangveredelung, und wichtiger denn je. „Heute sind die durchschnittlichen Platten so schlecht wie nie zuvor. Meist ist kein Budget vorhanden, immer weniger wird von professionellen Studios gemacht, sondern von einem Kumpel, der sich gerade sein erstes Equipment gekauft hat“, erklärt Ludwig. Sein Studio könne die Aufnahme so klingen lassen, als hätten die Künstler Zigtausend Dollar aufgewendet. Aber auch professionelle High-End-Produktionen profitieren von seinen Fähigkeiten. Ihm gefalle es, mal ein kleiner, mal ein großer Teil der Vision eines Künstlers zu sein: „Unser einziges Ziel ist es, diese Vision zu unterstützen und die Musik auf bestmögliche Weise darzustellen.“
Während seine drei Grammys eher unauffällig auf einem Aktenschrank in der Lobby stehen, zelebriert Bob Ludwig die Führung durch sein Aufnahmestudio, in dessen Mitte ein gewaltiges Mischpult – made in Germany – steht. Durch die Wände, die aus sieben Schichten mit Rigips-Kartonplatten bestehen, dringt kein Geräusch nach drinnen. Jeder Zentimeter ist genau austariert, der Raum nach neuesten akustischen Kenntnissen konzipiert. Für die Perfektion des Klanges wurde nichts dem Zufall überlassen. Die markantesten Elemente sind zwei mannshohe, je 270 Kilo schwere Lautsprecher, die von William Eggleston III. gemeinsam mit Bob Ludwig entwickelt wurden. „Die besten Lautsprecher der Welt“, schwärmt Ludwig und erzählt, dass sich Paul Simon mal gewünscht habe, allen seinen Alben könnten diese Lautsprecher beiliegen.
Doch es liegt natürlich nicht (nur) am Hightech-Equipment, dass sich die Gateway Studios seit ihrer Eröffnung bester Auslastung erfreuen. „Viele Künstler kommen vor allem zu mir, weil ich selbst Musiker bin, ihre musikalische Sprache verstehe und mich schnell in ihre Köpfe hineinversetzen kann“, vermutet der Mastering-Guru. Während seines Studiums an der Eastman School Of Music in Rochester arbeitete Ludwig nicht nur für Aufnahmestudios, sondern auch als erster Trompeter des Utica Symphony Orchestra. In seinem Abschlussjahr 1966 lernte er den Produzenten Phil Ramone kennen, dem er an der Universität bei einem Workshop assistierte – und der ihn für seine A&R Recording Studios in New York City unter Vertrag nahm. Ramone wurde sein Mentor in der Kunst des Masterings von Vinyl-Schallplatten. 1969 wechselte Ludwig zur Mastering-Schmiede Sterling Sound, wo er den Schnitt diverser bahnbrechender Alben von Led Zeppelin, Jimi Hendrix sowie von The Band verantwortete. „Diese Künstler haben etwas gemacht, was es vorher noch nicht gegeben und an denen sich später fast alles andere orientiert hat“, erklärt Ludwig, der in den 80er-Jahren überdies maßgeblich an der digitalen Revolution mitwirkte: ‚Brothers In Arms‘ von den Dire Straits war das erste Album, das ich gemastered habe, das ausschließlich mit dem Mastering für die CD aufgenommen wurde.“ Eine Premiere markierte auch Springsteens „Born In The U.S.A.“ – es war die erste CD, die in den USA und nicht in Europa oder Asien hergestellt wurde.
Die meisten der Künstler seien ziemliche Erbsenzähler und legten im Dunstkreis seines Mischpultes erst richtig los. „Wie oft höre ich beispielsweise, ich solle den Platz zwischen dem ersten und zweiten Song um eine halbe Sekunde kürzen“, beschreibt Ludwig schmunzelnd die teils akribische Arbeit. „Jede Platte ist ein anderes Puzzle und eine Herausforderung. Aber genau das macht mir großen Spaß“, betont er, als die Studiotür aufgeht und seine Frau den Kopf hineinsteckt. Die Nirvana-DVDs warten.