AUS DEM HÄUSCHEN

Rum enthält Alkohol, recht viel davon. Hugh Laurie ist eigentlich schlau genug, das zu wissen -er hat in Cambridge studiert. Trotzdem schenkt er sich und seiner Copper Bottom Band an diesem Frühlingsabend deutlich zu viel davon ein. Wenn er auf die Bühne muss, ist er immer noch sehr aufgeregt, und die Hälfte der Lieder, die auf seiner Setlist stehen, hat er noch nie vor Publikum gespielt. Der Mann, der als „Dr. House“ weltberühmt wurde, stellt auf dem zum Hotel umfunktionierten Kreuzfahrtschiff „Queen Mary“ in Long Beach sein zweites Album vor, „Didn’t It Rain“. Dass das Konzert hier stattfindet, ist eine kleine Verbeugung an den Blues-Pionier Professor Longhair, der dort 1975 eine Live-Platte aufnahm, bei einer Party von Paul McCartney. Der Ex-Beatle taucht diesmal leider nicht auf, dafür hat Lauries Produzent Joe Henry seinen Freund Van Dyke Parks mitgebracht. Der legendäre Songschreiber klatscht fast so euphorisch wie Lauries Ehefrau Jo Green.

Die Unterstützung tut dem 53-Jährigen gut. Vor dem Auftritt hatte er noch in seiner typisch selbstironischen Art verkündet:“Ich schätze, der Abend wird eine Kombination aus allem: aufregend, anregend, beeindruckend, erschreckend oder auch eine komplette Katastrophe. Je nachdem, wie die unterschiedlichen Zutaten an diesem – zumindest für mich -heiligen Ort aufeinander reagieren. Ehrlich gesagt mache ich mir ins Hemd.“ Deshalb also der Rum -„nicht die beste Idee, die ich je hatte“, gesteht er am nächsten Tag, wirkt aber schon wieder fit. Große Anstrengungen hat er allerdings auch nicht vor sich: Er gibt nur eine Handvoll Interviews, obwohl die Nachfrage groß ist. Sein musikalisches Debüt, „Let Them Talk“, war vor zwei Jahren ein überraschender Erfolg -vor allem auch gemessen an seinen eigenen Erwartungen: „Mein Ziel war zunächst bloß, dass niemand meinetwegen seinen Arbeitsplatz verliert! Insofern bin ich froh, dass die Zahlen so erfreulich waren.“ Mehr als eine Million Alben hat er verkauft, was für ein reines Blues-Album – zumal von einem käseweißen Briten – schon sensationell ist. Mit seiner Beliebtheit als Schauspieler allein lässt sich das kaum erklären. Fragen Sie mal Kevin Costner, Johnny Depp oder Russell Crowe!

Auch die härtesten „House“-Fans müssen wohl gemerkt haben, dass es Laurie ernst ist. Er ist bestimmt nicht der beste Sänger der Welt, aber er liebt diese Musik, das spürt man. Und er hat in Joe Henry einen empathischen Produzenten gefunden, der mit seinen Profimusikern diesen Enthusiasmus kongenial umsetzt. Für Henry war Lauries Begeisterung der Hauptgrund, mit ihm ins Studio zu gehen: „Mich sprach sein Wissen um und seine Lust am Blues an, und ich hatte das Gefühl, dass ich etwas Sinnvolles beitragen kann. Das ist für mich erst mal wichtiger als alles andere. Zeit und Geld treibt man immer irgendwie auf.“ Zudem verstanden sich die beiden sofort -für Henry ebenfalls ein entscheidender Faktor. Er ist gut im Geschäft, seine Klienten heißen Elvis Costello, Bonnie Raitt und Billy Bragg. Er hat keine Lust mehr, mit Leuten zu arbeiten, die er nicht mag: „Wenn ich schon vorher weiß, dass jemand kein großes Herz hat, lasse ich es lieber. Das Leben ist zu kurz. Ich möchte von kreativen und aufgeschlossenen Leuten umgeben sein.“

Die Lieder für das zweite Werk haben Henry und Laurie wieder zusammen ausgesucht. Aus einer langen Liste mit 100 Songs blieben 13 sehr unterschiedliche übrig – vom Traditional „Careless Love“ über W. C. Handys „St. Louis Blues“ bis zu Dr. Johns „Wild Honey“; beim „Vicksburg Blues“ singt Taj Mahal mit. Ausgerechnet die beiden wohl bekanntesten, „Unchain My Heart“ und „Stagger Lee“, gibt es nur auf der Deluxe-Edition von „Didn’t It Rain“. Keine bewusste Entscheidung gegen das Massenkompatible, versichert Henry: „Ein Album ist nicht nur ein Haufen zusammengeworfener Tracks. Es muss wie ein Film funktionieren, als Gesamtkonzept – notfalls auf Kosten guter Lieder. Es darf nicht zu lang sein! Das ist eine schreckliche Gepflogenheit des CD-Zeitalters.“

Den leichten Latin-Touch bei einigen Songs hat Laurie von seiner Argentinien-Tournee mitgebracht, die Bars in Buenos Aires haben ihn nachhaltig beeindruckt. Wieder zu Hause, kramte er Louis Armstrongs Version des Tangos „El Choclo“ heraus, „Kiss Of Fire“ , und engagierte zum Mitsingen die Guatemaltekin Gaby Moreno. „Das Album sollte ein bisschen romantischer werden. So viel Blues kommt ja ursprünglich von Frauen -Bessie Smith, Ma Rainey und so weiter. Ich sehe den Blues sowieso im Grunde als Musik einer Mutter, die ihrem Baby etwas vorsingt, um es zu beruhigen.“ Er reibt sich kurz den Stoppelbart und ergänzt: „Ich wollte halt nicht, dass immer nur sechs Typen auf ihren Instrumenten rumschrubben.“

Wenn es so wenige wären! Elf Musiker standen sich bei den Aufnahmen in den Ocean Way Studios in Los Angeles auf den Füßen, die Posaunistin Elizabeth Lea musste manchmal auf den Flur ausweichen. Zwischendurch nervte noch ein Kamerateam, das zu Werbezwecken vorbeikam. Und doch genoss Laurie die strapaziösen Aufnahmen – sein Blues-Abenteuer kommt ihm immer noch vor wie ein geglückter Ladendiebstahl: „Seit ich damit angefangen habe – die Band kennengelernt, ein Album gemacht, auf Tour gegangen -, warte ich darauf, dass einer schreit:,Halten Sie den Mann fest!‘ Aber bisher hat niemand Einspruch erhoben oder seine Hunde auf mich gehetzt, also mache ich weiter.“

Viel zu tun hat er ansonsten momentan nicht -Laurie leistet sich den Luxus des Zauderns. Im Mai 2012 lief in den USA die letzte Folge von „Dr. House“. Acht Jahre lang hatte Laurie den störrischen Diagnostiker gespielt, der am Ende seinen eigenen Tod vortäuschte, um mit dem todkranken besten Freund abzuhauen – eine Szene, die sogar dem notorisch kritischen Laurie gefiel: „Ich bin niemals mit irgendwas komplett zufrieden, aber der Schluss war schon gut. Er war melancholisch, doch mit einer gewissen seltsamen Romantik: zwei Männer, die zum letzten Abenteuer aufbrechen.“ Der Abschied von der Rolle seines Lebens fiel ihm nicht leicht, und er kann problemlos aufzählen, wo sich all seine ehemaligen Kollegen gerade befinden -New York, Chicago, Vancouver -, weil er zu allen noch Kontakt hat. Die neue Freiheit hat allerdings auch Vorteile: „Ich bin froh, dass ich mich nicht mehr mit dem amerikanischen Akzent herumschlagen muss. Und noch froher, dass ich nicht dauernd um fünf Uhr morgens aufstehen muss! Musiker gehen um fünf Uhr früh ins Bett, das kommt mir gesünder vor.“

Nach dem Drehschluss von „House“ zog er sofort zurück nach England. Welcher normale Mensch wohnt schon in L. A., wenn er dort gerade nichts zu tun hat? Nach zehn Minuten in London hatte er das Gefühl, nie weggewesen zu sein – und stellte fest, dass er inzwischen wohl überall leben kann, wo es Arbeit und ein Internet gibt, über das er mit seinen drei Kindern kommunizieren kann. Andere Schauspieler würden jetzt möglichst schnell eine neue Rolle suchen, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Laurie zögert indes: „Ich lese viele Drehbücher, aber so richtig bereit bin ich noch nicht. Es kommt mir vor wie bei einer Beziehung: Wenn eine gerade zu Ende ist, will man nicht sofort die nächste anfangen. Das ist, als würde man das Vergangene nicht genügend respektieren.“ Finanziell hat er ohnehin ausgesorgt.

Mit mehr als 400 000 Dollar pro Folge war er zeitweise der bestbezahlte Seriendarsteller der Welt, bis ihn Charlie Sheen überholte. Ein weiter Weg für einen britischen Nerd, der einst als Komiker in der BBC-Sitcom „Blackadder“ und im Zweierpack mit Stephen Fry bekannt wurde. Über eine Wiedervereinigung der beiden wird schon lange gemunkelt – und tatsächlich sitzen sie gerade an einem kleinen gemeinsamen Projekt: Sie vertonen den Zeichentrickfilm „Das Gespenst von Canterville“, der auf Oscar Wildes Satire basiert. Angesprochen auf seinen besten Freund, lächelt Laurie so entspannt wie selten:“Wir reden dauernd darüber, was wir demnächst alles zusammen machen. Ich habe ihn gestern erst getroffen. Und vorgestern. Und vorvorgestern eigentlich auch. Ich sehe ihn also recht oft.“ Die innige Freundschaft der beiden überlebte vor Kurzem sogar Frys arglose Frage, ob dieser von Hugh so geschätzte Professor Longhair eine Comicfigur sei.

Möglicherweise fällt es Laurie so schwer, sich zu entscheiden, was er als Nächstes macht, weil er zu viele Talente hat. Bald soll er in dem Science-Fiction-Drama „Tomorrowland“ den Bösewicht neben George Clooney spielen. Er könnte auch endlich ein zweites Buch schreiben. Das erste, die Agentenposse „The Gun Seller“, war ein Bestseller. Kino, eine weitere Fernsehserie, Comedy, Regie, Literatur und natürlich der Blues -„ich habe das Glück, viele Optionen zu haben. Manchmal denke ich: Hätte ich doch härter an der Musik gearbeitet, als ich jünger war! Doch wer weiß, ob ich dann jetzt mit diesen erstaunlichen Musikern spielen dürfte? Vielleicht musste ich für dieses Privileg zuerst Schauspieler sein.“ Er zuckt mit den Schultern. Hätte, wäre, müsste – früher haben ihn solche Überlegungen in die Depression getrieben. Heute ist er nur noch durchschnittlich deprimiert: „Ich bedaure ständig alles, jede Entscheidung, jede Nicht-Entscheidung. Das ist wohl normal. Ich sage mir zum Trost immer: Man kann nicht ändern, was man getan hat, aber zukünftig schlauer sein. Das funktioniert natürlich auch nicht! Also versuche ich, gar nichts zu planen. Morgens will ich wissen, was ich bis zum Mittagessen zu tun habe, nicht mehr. Sonst werde ich nur nervös. Menschen mit Fünf-oder Zehn-Jahres-Plänen sind mir suspekt.“

Immerhin das ist sicher: Am 7. Juni spielt Laurie im Berliner Admiralspalast. Danach geht er auf Tournee durch Großbritannien, weitere europäische Konzerte sollen folgen, „falls man mich will“. Falls, wenn, vielleicht – auch daran hat er sich gewöhnt. „Das Gefühl, einen sicheren Job zu haben, kennt man als Schauspieler gar nicht. Natürlich kann man sich einreden, dass man ab einem gewissen Status immer wieder etwas findet. Aber ich komme mir manchmal wie ein Roulette-Spieler vor. Man setzt sein Geld und gewinnt. Setzt wieder alles und verdoppelt mit Glück wieder. Und noch einmal. Jedes Mal könnte man sagen: Läuft! Aber schon wenn die Scheibe das nächste Mal gedreht wird, kann alles weg sein. Je höher der Einsatz, desto höher der Verlust. Mich hat’s bisher nicht getroffen, aber schau dir manch andere Karriere an: ein Fehler, und alles fällt zusammen.“

Wie lebt man mit der Diskrepanz: einerseits keine existenziellen Sorgen mehr zu haben, andererseits immer die Angst, den Erfolg nicht wiederholen zu können? Laurie legt die Stirn in Falten und muss dann doch grinsen. „Es hat auch Vorteile, älter und weiser zu werden! Man merkt, dass jeder seinen Moment hat. Gestern war ich der Lieblings-Brite, heute ist es Damian Lewis. Alles kommt und geht, und man kann absolut nichts dagegen tun. Sobald man das akzeptiert hat, fühlt man sich schon besser.“

Momentan ist ihm vor allem wichtig, dass keiner denkt, die Musik sei für ihn nur ein kleiner Zeitvertreib bis zur nächsten Rolle: „Das ist für mich nicht bloß ein Hobby – und notfalls mache ich noch zehn Jahre weiter, damit man mir das glaubt!“ Keine Drohung, ein Versprechen.

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