Ableben Redux

Songwriter Michael Hall zelebriert weiterhin seine seltsame künstlerische Fixierung auf den Tod

Mit 21 hatte Michael Hall seinen Tod erstmals klar vor Augen. Die Musik dazu war furchtbar – auf dem Rücksitz dieses vollgedröhnten Kiffers, der Vollgas gab. „Aus dem Radio brüllte ein Heavy Metal-Stück und ich dachte. Das war’s! Das hörst du also, wenn du stirbst.“ 15 Minuten währte sein Martyrium, dann „konnte ich ihn überreden, mich ausssteigen zu lassen“. Irgendwo im Bundesstaat Washington, mitten in der Nacht, verloren und doch glücklich neu geboren.

Die morbide Anekdote aus bewegten Tramper-Zeiten, die nun dem Titelsong seines achten Albums „The Song He Was Listening To When He Died“ zugrunde liegt, überrascht nicht. Schließlich ist Hall der Mann, der schon 1994 auf „Day“ unerschrocken „Hello, Mr. Death“ grüßte. Selbst ein Song wie „The Wedding“ kommt nicht ohne die bange Frage „Will you bury me, if I don’t bury you?“ aus, und als Journalist reüssierte der Songschreiber aus Austin nicht zuletzt mit Reportagen über die Todesstrafe in Texas. Seit neun Jahren ist er Redakteur beim „Texas Monthly“, sein Traumjob.“I’ll probably do this til I die.“

Hall, ertappt, lacht. „Ja, das ist unbewusst schon eine Obsession, ich denke auch viel darüber nach, aber ich habe keine Ahnung, wo das herkommt. Es heißt ja oft, das Leben ziehe im Angesicht des Todes noch einmal vorm inneren Auge vorüber. Aber wie wird das klingen? Hörst du ein geliebtes Stück für die Ewigkeit oder eins aus der ‚McDonald’s-Reklame, die gerade im Auto-Radio läuft, während du verunglückst?“

Seine letzte Band The Woodpeckers hat Hall jedenfalls, tja, wieder begraben. Selbst in Austin will „keiner alte Leute sehen, die Musik machen“, so sie nicht Lyle Lovett heißen. Das Cover von „The Song…“ ziert denn auch auch das Menü eines liebevoll „Frankie Machine“ getauften Drum-Computers aus den frühen Siebzigern, der gute Dienste leistete beim „Dekonstruieren“ auch älterer Songs, die viel zu lange halbfertig im Notizbuch schmorten. „Die Strophen für ,Beautiful‘ sind schon zwölf Jahre alt, der Refrain gelang mir nie. Ich probierte Melodien auf der Gitarre, alle zu manierlich. Aber jetzt setzte ich mich ans Klavier – und plötzlich funktionierte es. Wir nahmen einfach Beats auf und gingen damit an die Songs ran. Es bleiben dieselben Akkorde, Strophen, Melodien, aber ein anderer Beat lässt dich auch anders über den Song denken.“ Skurrilster Auswuchs dieser Prämisse ist „I Had A Girl In Dien Bien Phu“, das Michael Caines „Stillen Amerikaner“ und die Plantagen-Szene in „Apocalypse Now Redux“ durch den Disco-Wolf dreht. „Diese Traumwelt im Vietnam der 50er Jahre hat mich immer fasziniert“, sagt der Sohn eines Vietnam-Veteranen. „Niemand weiß, was genau passiert – nur, dass es ein Desaster geben wird.“

Das ist Halls Musik-Karriere gewiss nicht, doch träumt er weiter vom kleinen Hit-Wunder, denn „du machst Rock’n’Roll aus unreifen, egozentrischen Gründen, davon bleibt immer etwas“. Also ist auf YouTube ein Heim-Video für „America“ zu bewundern, das den Bush-Patriotismus mit einer spöttischen Hommage auf die gleichnamigen Soft-Rocker („Horse With No Name“) unterläuft. Womöglich kann sich Hall doch noch einreihen in die Riege der texanischen One-Hit Wonder, die er gerade für eine „Texas Monthly“-Geschichte recherchiert hat. neben Archie Bell („Tighten Up“) und Bloodrock. Hall: „Eine Heavy-Metal-Band aus Fort Worth, hatten 1971 einen Riesenhit mit ‚D.O.A.‘, ein schrecklicher Song über einen Flugzeugabsturz, über acht Minuten lang.“ Klingt wie der Song, der damals im Auto des Kiffers lief. Letzte Frage(n): Schon einen Song fürs eigene Begräbnis im Ohr? „Nein, keine Ahnung“, entgegnet Michael Hall laut lachend. „Vielleicht ein schönes Bach-Stück?“ Passt schon, neben Goethe und Schiller, die er „In The Crypt Of Eleonora“ zur letzten Ruhe gebettet hat. Auf dem Woodpeckers-Album „Dead By Dinner“.

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