SCHALL & WAHN

1974 unternahmen CROSBY, STILLS, NASH & YOUNG eine lange, chaotische, verdrogte Tournee - und spielten die beste Musik ihres Lebens

Am 14. August 1974 hatte der Tross gerade im Nassau Coliseum auf Long Island Halt gemacht, als sich Neil Young mitten im Set ein Banjo griff und einen brandneuen Song vorstellte. Fünf Tage zuvor war Richard Nixon als erster US-Präsident seines Amtes enthoben worden. „Goodbye, Dick“, sang Young vor begeistert johlenden Zuschauer, „I really can’t believe you’re gone/But I saw you walk across the White House lawn.“

Auf einer desaströsen Reunion-Tour, die durch Verbitterung, finanzielle Unregelmäßigkeiten und einen gigantischen Drogenkonsum geprägt wurde, war es einer der wenigen Momente, die wirklich so etwas wie Euphorie versprühten. „Sie hatten Marlboro-Zigaretten, dröselten den Tabak raus und stopften Gras hinein“, erinnert sich Tourmanager Chris O’Dell. „Es gab ganze Kartons, die so präpariert waren. Das Gleiche machten sie mit Vitamin-C-Kapseln, die sie mit Koks füllten. Einmal passierte ihnen das Malheur, dass sie Koks auf den Boden verschütteten. Also legten sie sich flach auf den Fußboden und schnüffelten das Zeug direkt vom Teppich hoch.“ Es war David Crosby, der die damalige Reunion treffend als „Doom Tour“ bezeichnete.

„In gewisser Weise hatte David sicher recht“, sagt Graham Nash heute, „was aber nicht bedeutet, dass die Musik ständig darunter gelitten hätte. Es gab eine ganze Menge magischer Momente.“ Die Band nahm neun Shows für eine Live-LP auf, doch nach Tour-Ende lösten sich CSNY in zwei verfeindete Fraktionen auf (Crosby & Nash und die Stills-Young Band) – und das Livealbum wurde beerdigt. Erst vor vier Jahren fasste Nash den Entschluss, das Projekt wieder auszugraben. Das Resultat ist nun „CSNY 1974“, besteht aus drei CDs und einer DVD – und überrascht mit einer Fülle rarer Artefakte (darunter auch das eingangs erwähnte „Goodbye Dick“). Das Zusammenstellen des Puzzles verschlang mehrere Jahre. „Wenn ich bei einer Aufnahme ein paar falsch gesungene Töne hörte“, so Nash, „suchte ich auf den anderen Bändern so lange, bis ich die perfekte Alternative gefunden hatte – und baute sie entsprechend ein.“

Crosby, Stills und Nash hatten bereits bei Buffalo Springfield, den Byrds und den Hollies ihre Erfahrungen gesammelt, als sie 1968 ihre Talente bündelten. Das gleichnamige Debütalbum war umgehend ein gefeierter Erfolg -und als für den Sommer 1969 mehrere große Shows anstanden, klopften sie bei Stills‘ altem Buffalo-Springfield-Kollegen Neil Young an, ob er sie auf Tour verstärken wolle. Die Band – inzwischen offi ziell CSNY genannt – schien vom ersten Moment an im Fokus der Gegenkultur zu stehen: Ihr zweiter Auftritt fand in Woodstock statt, vier Monate später standen sie beim berüchtigten Altamont-Festival auf der Bühne. Und im Frühjahr des folgenden Jahres lieferten sie mit „Ohio“ den Schlachtruf der zunehmend politisierten Jugend, nachdem an der Kent State University protestierende Studenten von der National Guard erschossen worden waren.

Doch die Ego-Probleme waren zu groß und die Solo-Ambitionen zu verlockend: Bereits nach elf Monaten warf die Band das Handtuch, um erst fünf Jahre später -diesmal angelockt vom großen Geld – einen erneuten Versuch zu wagen. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Kokain seinen Siegeszug angetreten, war Watergate zum Synonym für politische Korruption geworden und Vietnam noch immer eine offene Wunde in Amerikas Psyche. „1969 dachten wir noch, diese Hippie-Geschichte würde das Ende des Vietnamkriegs bedeuten und eine neue Welt schaffen“, sagt David Crosby. „1974 glaubte kein Mensch mehr daran.“

Stattdessen machten sich nostalgische Gefühle für eine glücklichere Phase der amerikanischen Geschichte breit. „Happy Days“ und „Grease“ zeichneten ein rosarotes Bild der 50er-Jahre. Selbst die Beach Boys, die in den Jahren zuvor fast von der Bildfläche verschwunden waren, spielten plötzlich wieder vor riesigen Zuschauermengen, die gar nicht genug von den „Good Vibrations“ bekommen konnten.

Aber nichts war vergleichbar mit dem Bedürfnis des Landes, CSNY und Songs wie „Our House“ oder „Teach Your Children“ zu hören. Mehr als die Hälfte der Shows wurde wegen der großen Nachfrage in Stadien verlegt – was umgehend zu logistischen Problemen führte: Die Verstärkeranlagen der damaligen Zeit waren nicht für die riesigen Venues ausgelegt und reduzierten die Musik auf einen ungenießbaren Brei. „Neil und Stephen prügelten weit mehr als 100 Dezibel aus ihren Halfstacks heraus“, so Crosby, „während Graham und ich uns kaum hören konnten – was natürlich auch bedeutete, dass an Harmony Vocals nicht zu denken war.“ Zu einem Zeitpunkt, als Alice Cooper und Kiss damit begannen, Stadionshows mit Lasern, Pyrotechnik und Guillotinen aufzumotzen, brachten CSNY nur ein einziges Requisit auf die Bühne: einen alten Perser-Teppich.

Die wenigen Glücklichen, die tatsächlich noch die Musik mitbekamen, hörten exzellente neue Songs – überwiegend von Neil Young geschrieben, der in einem umgerüsteten Bus unterwegs war, um so seinem behinderten Sohn Zeke nah sein zu können. Young sah seine Mitstreiter oft genug nur beim Soundcheck und Konzert – was ihm ausreichend Zeit zum Songschreiben gab. Er testete Liveversionen von Songs wie „Revolution Blues“ oder „Pushed It Over The End“ an – der erste eine Reflexion auf seine Begegnung mit Charles Manson, der zweite inspiriert von der wilden Saga der Millionen-Erbin Patty Hearst. „Neil packte einen Knaller nach dem anderen aus“, so Crosby. „Er legte die Latte so hoch, dass er sich später sehr anstrengen musste, um dieses Niveau wieder zu erreichen.“

Es gab auch neue Songs von Crosby, Stills und Nash, doch die Koks-Exzesse hatten ihren Ausstoß erheblich gedrosselt. Bei Stills schien die Droge auch einen rapiden Realitätsverlust auszulösen. „Beim Konzert in Minneapolis schaute Bob Dylan rein“, erinnert sich Nash, „und Stephen schubste ihn gleich in einen Raum und verschloss die Tür. Dylan packte seine Gitarre aus und spielte jeden Track von ,Blood On The Tracks‘ vor; es war halt das Album, das er zur damaligen Zeit gerade aufnahm. Später sagte Stephen nur: ,Bob ist kein echter Musiker.‘ Er drückte Paul McCartney einen Precision-Bass in die Hand und erzählte ihm, dass er besser mal ein ,vernünftiges‘ Instrument spielen solle – und nicht seinen vergurkten Höfner-Bass.“

„Wir waren damals in erschreckendem Maß von der Rolle. Aber heute hören zu können, wie gut die Musik war, ist ein tolles Gefühl“

Glaubt man diversen Quellen, setzte Stills damals auch das Gerücht in Umlauf, er habe ’67 und ’68 in Vietnam gedient – obwohl er zu dieser Zeit nachweislich bei Buffalo Springfield spielte. „Muss wohl das Koks gewesen sein“, mutmaßt Graham Nash. Stills selbst streitet das nach wie vor ab: „Ich war im Ausland und hatte dort viel Kontakt zu Leuten aus der Army“, sagt er. „Alle anderen Erklärungen sind völlig abwegig.“

Crosby wiederum wurde von zwei drallen Damen abgelenkt, die ihn auf Schritt und Tritt begleiteten. „Einmal klopfte ich im Hotel an seine Tür -und stellte fest, dass die beiden Damen ihm gerade einen bliesen“, schrieb Nash in seinem Buch „Wild Tales“ von 2013. „Was ihn nicht davon abhielt, gleichzeitig zu telefonieren, Geschäftliches zu besprechen, Joints zu rollen oder sich einen Drink zu genehmigen.“ Crosby sieht sich nicht in der Lage, den Vorfall ins Reich der Fantasie zu verweisen: „Könnte durchaus passiert sein“, sagt er heute achselzuckend.

Inmitten des galoppierenden Wahnsinns hatten die diversen Manager und Konzertveranstalter natürlich freie Bahn. „Die Tour spielte über elf Millionen Dollar ein“, so Nash, „und das war in der damaligen Zeit eine Menge Holz. Wir bekamen knapp ein halbe Million pro Nase. Bill Graham und die örtlichen Veranstalter hatten viel Spaß mit uns.“

Unter anderem wurden der Gruppe sämtliche Nebenkosten in Rechnung gestellt. „Wir hatten keine Ahnung, dass wir jeden Kissenbezug mit CSNY-Logo, auf dem wir im Hotel nächtigten, aus eigener Tasche bezahlten“, so Nash. „Es gab Privatflieger und Hubschrauber – und alle Exzesse zahlten wir selbst.“

Am Ende der Tour versuchte man sich noch an einem Reunion-Album, doch das Projekt wurde schnell wieder begraben. Young und Stills löschten schließlich de Gesangsspuren von Crosby und Nash und veröffentlichten das Resultat 1976 als Stills-Young-Band unter dem Titel „Long May You Run“. Der verständliche Ärger der anderen Bandmitglieder war ein weiterer Grund, die „Doom Tour“ schnellstmöglich zu vergessen.

Inzwischen sind die alten Wunden längst verheilt. „Zuerst wollte ich mit dem Thema überhaupt nicht mehr konfrontiert werden“, sagt Stills. „Wir waren damals wirklich in einem erschreckenden Maß von der Rolle. Aber heute hören zu können, wie gut die Musik damals war, ist schon ein tolles Gefühl.“ David Crosby fand nur ein einziges Haar in der Suppe: dass man nicht auf seinen Titelvorschlag „What Could Possibly Go Wrong?“ einging. „Man kann die Worte eigentlich nicht aussprechen, ohne sich lachend auf dem Boden zu wälzen“, sagt er. „Ich habe allerdings den Eindruck, dass niemand das Talent hat, sich so gnadenlos auf den Arm zu nehmen wie ich.“

STOLZ, EIN HIPPIE ZU SEIN

Vor 40 Jahren verbrachten Crosby, Stills, Nash & Young mit Ehefrauen und Freunden einen Urlaub auf Hawaii, um ihre Tournee zu planen und neue Songs aufzunehmen. GRAHAM NASH wohnt heute dort – er ist der Verwalter des gemeinsamen Archivs und stellte ,,CSNY 1974″ zusammen. Ein Gespräch über alte Ideale, künftige Konzerte und ein mögliches gemeinsames Album der legendären vier Streithähne

Seit dreieinhalb Jahrzehnten wohnt Graham Nash nun schon mit seiner Familie auf Hawaii – wenn er nicht gerade mit Crosby, Stills & Nash auf Tour geht, Solo-Konzerte gibt oder seine Fotos und Gemälde in Galerien ausstellt. „Ich hatte noch nie in meinem Leben so viel zu tun wie voriges Jahr“, sagt der 72-Jährige beim Interview zwischen Papayaund Zitronenbäumen, „aber was soll’s? Besser als tot sein.“ Nächstes Jahr will Nash mit CSN ein neues Album herausbringen, 35 Songs stehen bereits zur Auswahl. Einstweilen gilt das Interesse aber dem Schaffen seiner Band vor 40 Jahren.

Was an den Liveaufnahmen aus dem Jahr 1974 aus heutiger Sicht auffällt: dass da eine der kommerziell erfolgreichsten Bands ihrer Zeit in Songs wie „Chicago“,“Grave Concern“ oder „Ohio“ sehr konkret über politische Tagesthemen singt. Das würde heute so nicht passieren, oder?

Nein, nicht auf diese Art. Man kann die gigantischen Konglomerate, denen die Medien dieser Welt gehören, heute an zwei Händen abzählen. Die haben kein Interesse daran, Protestsongs im Radio und Fernsehen zu senden. Die wollen nur, dass die Leute wie Schafe sind und sich brav hinlegen, während man sie ausraubt. Wenn Sie andererseits auf Neil Youngs „Living With War“-Website gehen, werden Sie dort 3.000 Protestsongs finden. Man kann uns also immer noch nicht zum Schweigen bringen. Ich bin noch immer unglaublich optimistisch. Noch ist nicht alles verloren. Und ganz ehrlich, ich bin stolz, ein Hippie zu sein. Stolz zu denken, dass Liebe besser als Hass ist, Frieden besser als der Krieg. Und dass ich für andere Menschen, meine Familie und meine Freunde da sein will. Das sind Hippie-Ideale, die auch heute noch zählen. Alles, worüber wir damals sangen, ist immer noch relevant. Einen Song wie „Military Madness“ schrieb ich darüber, wie mein Vater in den Zweiten Weltkrieg ziehen musste. Und wir machen bis heute dasselbe.

In Ihrer voriges Jahr erschienenen Autobiografie „Wild Tales“ erzählen Sie davon, wie Ihre damalige Lebensgefährtin Joni Mitchell Ihnen vorwarf, dass Sie Amerika zu sehr attackierten.

Weil wir das auch taten! Deshalb wurde ich vor mehr als 30 Jahren ein amerikanischer Bürger. Damit ich dieses Land kritisieren und auch loben konnte. Amerika ist ein unglaubliches Land. Hat es Probleme? Ja. Ist es fantastisch schön? Ja. Wollen seine Menschen dasselbe wie ich? Dass ihre Kinder ein besseres Leben als sie selbst haben werden, dass sie gut ernährt und gebildet werden? Sehr wohl wollen die das.

Bei all ihrem politischen Engagement wurde CSNY die Stadion-Tournee 1974 aber auch als Ausverkauf angekreidet. Ihre Band war der Inbegriff der Rockstar-Dekadenz, die die jungen Punkbands wenig später hinweg fegen wollten. Wie sehen Sie diesen Widerspruch heute?

Wir waren eine derart populäre Band, dass wir nicht eine Tour in 2.000er-Hallen spielen konnten. Wir hätten in jeder Stadt 15 Konzerte spielen müssen. Ich weiß schon, dass es exzessiv war und dass viele Drogen im Umlauf waren. Aber ich für meinen Teil habe mich nur auf die Musik konzentriert.

In „Wild Tales“ äußerten Sie sich aber selbst ganz schön negativ über diese Tour: „We did it for the money. We fucked up.“ Hat das Anhören der Livemitschnitte Ihre Erinnerung daran neu gefärbt?

Absolut. Es hat meine Meinung dazu völlig verändert. Ich hatte ein Video von unserer Show in Wembley in London gesehen. Ehrlich gesagt, die war nicht gut. Aber ich wusste, dass wir auf dieser Tournee großartige Musik gemacht hatten. Und ich war davon überzeugt, dass ich ein wunderbares Album finden würde, wenn man mich mit allen vorhandenen Mitschnitten allein lässt. Ich glaube, das habe ich hingekriegt. Besonders befriedigend war es zu hören, wie fantastisch Neil Young gerade bei den Songs spielte, die er nicht selbst geschrieben hatte. Er steckte genauso viel Energie in meine, Stephens und Davids Songs wie in seine eigenen. Als Joel Bernstein (Co-Produzent, Fotograf und Nash-Intimus – Anm. d. Red.) und ich zu Neil auf seine Ranch fuhren und ihm ein erstes Demo dieses Livealbums vorspielten, sah ich gleich dieses glückliche Glitzern in seinen Augen. Wenn Neil nicht seinen Segen dazu gegeben hätte, wäre dieses Projekt niemals zustande gekommen.

Wenn Sie schon sagen, ohne Neil Young wäre das nicht passiert, muss ich Ihnen auch die offensichtlichste Frage stellen: Wie sieht es mit der angekündigten CSNY-Reunion aus?

Wir wollten in diesem Jahr auf Tournee gehen. Aber Neil Young hatte mit Crazy Horse zwei Europa-Tourneen geplant, sein Rhythmusgitarrist Poncho brach sich das Handgelenk, und Neil musste alle Konzerte absagen. Das war ein wirtschaftliches Desaster. Neil musste die verpassten Auftritte dann genau zu der Zeit nachholen, die für unsere Tour vorgesehen war. Ich persönlich finde, dass CSNY 2015 auf Welttournee gehen sollten. Das ist freilich bloß, was ich will. Aber manchmal kriege ich das auch.

Wird es dann aber möglich sein, die von Ihnen beschriebene Macht der Konzerne zu meiden? Wenn etwa die Rolling Stones heute auf Tour gehen, zahlen die Leute Unsummen dafür, sie zu sehen, da ist vom ursprünglichen Geist auch nicht viel zu merken.

Ja, aber wenn man die Rolling Stones sieht, hat man wenigstens den Eindruck, dass es ihnen Spaß macht. Ich habe mir auch die Reunion von The Police angesehen, und es war offensichtlich, dass die nicht mal miteinander sprachen. Schon mit der ersten Note, die sie spielten, war klar, dass sie gar nicht da sein wollten. So was kann man mit einem Publikum nicht machen, die Leute spüren das doch sofort.

Sie wurden ja immer schon als der Gentleman innerhalb von CSNY charakterisiert, der die Ruhe bewahrt, während rundum die Egos aneinanderkrachten.

Weil ich das alles schon hinter mir hatte. Ich hatte bereits sechs Jahre mit den Hollies verbracht, als wir zusammenkamen, und wie Sie wissen, waren die sehr populär. Die Nebenwirkungen des Rockstar-Daseins hatte ich schon erlebt, das war für mich kein großes Ding. Es war Stephen, der behauptete, dass wir in Woodstock nervös gewesen seien. Ich war aber nie nervös.

Interview von Robert Rotifer

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