Paul McCartney – Kisses On The Bottom
Selbst als die Beatles noch benzedrinberauscht durch Hamburgs Clubs und Keller rock- und-rollten, schien der Junge mit dem Quiff, der so überzeugend Little Richard imitieren konnte, vor seinen großen braunen Augen manchmal die bunten Lichter des Broadway zu sehen. Er sang Lieder von Harold Arlen und Johnny Mercer, Standards wie Bobby Scotts „A Taste Of Honey“ und Meredith Wilsons „Till There Was You“. Sein Vater Jim, selbst in den Zwanzigern Leader einer Jazzband, hatte ihm die Liebe zum klassischen Tin-Pan-Alley-Songwriting vermacht. Und so ist „Kisses On The Bottom“, diese Reise in das Goldene Zeitalter des amerikanischen Songs, für Paul McCartney eine Herzensangelegenheit.
Die großen Bedenken, die man bei einem solchen Projekt haben kann, wenn man etwa an die ziemlich unoriginellen Standardssammlungen von Rod Stewart und Bryan Ferry denkt, fegt bereits die Songauswahl beiseite. Wie schon auf seiner Rock’n’Roll-Coverplatte „Run Devil Run“ hat McCartney eine spannende Mischung aus Klassikern und Obskuritäten gefunden und dazu zwei neue Songs geschrieben. Diana Kralls Band spielt stilsicher, Arrangeur und Bassist John Clayton hat geschmackvolle Streicher eingefügt, Eric Clapton dudelt bei einigen Stücken unverkennbar uninspiriert dazwischen, Stevie Wonder hat einen unverwechselbaren Einsatz an der Mundharmonika. McCartney selbst fährt auf diesem Album freihändig und beschränkt sich aufs Singen.
Ein großer Sänger ist er aber ja leider nicht mehr. Während die Stimme bei einigen seiner Altersgenossen mit den Jahren an Gravität gewonnen hat, verlor sein Organ an Fülle und Gewicht. In seiner Interpretation von Frank Loessers „More I Cannot Wish You“ oder dem Ink-Spots-Song „We Three “ ist es gerade diese Brüchigkeit, die anrührt, doch bei der Ausführung von Arlens „It’s Only A Paper Moon“ klingt seine Stimme in den Höhen etwa so dünn wie die von Woody Allen, wenn er in „Everybody Says I Love You“ mäuschenhaft den Standard „I’m Thru With Love“ piepst. Die Arlen-Mercer-Komposition „Ac-Cent-Tchu-Ate The Positive“ und Fats Wallers Novelty-Stück „My Very Good Friend The Milkman“ sind gesanglich eher seine Kragenweite. Hier wirkt er so sicher wie in seinen eigenen Songs „My Valentine“ und „Only Our Hearts“, die sich zwar als Anverwandlungen präsentieren, aber deutlich als Macca-Originale zu erkennen sind. Sie teilen das Sentiment mit ihren Vorbildern, nicht aber den lyrischen Witz.
„Kisses On The Bottom“ ist ein Nebenwerk, ein Spiel, ein privates Vergnügen, ein Brief an die Vergangenheit und eine Feier der großen abwesenden Anderen, die schon mal vorausgegangen sind in den Songwriter-Olymp. Der Titel des Albums stammt übrigens aus einem alten Fats-Waller-Hit, der auch das Album eröffnet. „I’m gonna sit right down and write myself a letter/ And make believe it came from you“, heißt es da. Und auch wenn man McCartneys Handschrift hier kaum lesen kann, ist „Kisses On The Bottom“ doch ein rührender Liebesbrief.
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Beste Songs: „More I Cannot Wish You“, „Ac-Cent-Tchu-Ate The Positive“