Blutiger Daumen
Es muss wieder einmal von bassisten die Rede sein. Und von Europa. Kürzlich begab es sich, dass ich beim Herumstreunen durch die Straßen meiner Stadt in eine Kundgebung der Partei „Alternative für Deutschland“ geriet. Zum Glück wurde aber gerade nicht kundgegeben, sondern musiziert: Eine zu Auflockerungszwecken engagierte Band spielte auf. Wobei: Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn geredet worden wäre, denn die Musik war von ganz und gar unguter Natur. Das Entscheidende aber war der Bassist. Ich muss etwas ausholen
In jener Zeit, die manch betagter Leser als „80er-Jahre“ in unguter Erinnerung haben könnte, war unter weißen Bassisten die Technik des Slappens sehr beliebt, bei der mit dem Daumen ein knackiger Anschlagsound erzeugt wurde. Wie immer hatte man sich die Spielweise bei schwarzen Musikern abgeguckt, und trieb damit nun Schindluder. Als prominentes Beispiel für die Technik sei das Gesamtwerk von Level 42 genannt, deren Bassist Mark King die Spielweise in Bereiche trieb, die nach Weltrekordversuch müffelten. Doch auch sonst wurde allerorts geslappt, dass es nur so eine Art hatte: Slappen galt damals als Zeichen für enorme Könnerschaft am Bass. Wer slappte, war „Vollblutmusiker“ und widersetzte sich dem Diktat der Digitalität -der blutig geslappte Daumen als Fanal gegen Plastikkeyboardquatsch, ewig nachhallende Schlagzeugsounds und Haarspraynester. Allerdings muss gesagt sein, dass der Slap-Bass gerade in Bands zum Einsatz kam, in denen man Plastikkeyboardquatsch, Grand-Canyon-artige Snare-Sounds und Haarspray für tolle Errungenschaften hielt. Wie bei Level 42 eben. Falls es nicht klar geworden sein sollte: Extrem-Slappen im Stile der Achtziger ist Angeberquatsch und wird heute gottlob nur noch von Käuzen betrieben.
Der Bassist der Band nun, der die traurige Aufgabe zukam, die Wahlkampfveranstaltung der „Alternative für Deutschland“ mit indifferentem Poprock aufzulockern, slappte, als gäbe es kein Morgen. Das gesamte schändliche Bassisten-Treiben der 80er-Jahre feierte fröhliche Urständ. Fasziniert blieb ich stehen und bestaunte den musikalischen Anachronismus wie einen sechsohrigen Elvis-Impersonator mit Dreadlocks. Es kann somit sein, dass Sie mich demnächst mit vor Fassungslosigkeit offenstehendem Mund auf Werbebildern der „Alternative für Deutschland“ wiedersehen, was der Partei hoffentlich nachhaltig zum Schaden gereichen wird. Denn von den schlimmen politischen Inhalten mal abgesehen, darf nie wieder eine Partei Fuß fassen, die dem sinnlosen Bass-Slapping Tür und Tor öffnet. Nutzen Sie von daher jede Gelegenheit, sich gegen das Treiben der AfD irgendwo öffentlich festzuketten -und wenn es an Mark Kings Bandbus ist!
Ich möchte an dieser Stelle vollkommen sinnloserweise das Thema wechseln. Erstens sind sinnlose Themenwechsel in Texten unterschätzt und zweitens geht es um eine Herzensangelegenheit: Nachdem ich mit dem Pop-Tagebuch berühmt geworden bin, möchte ich als Nächstes unbedingt reich werden. Ich weiß auch schon wie: Ich entwickele ein Tool, welches das „Leadsinger Swapping“, also den Tausch des Sängers ermöglicht. Mittels dieser Technik kann sich der interessierte Musikhörer zu Gemüte führen, wie es klänge, wenn, sagen wir: Klaus Meine bei Nirvana, Udo Lindenberg bei Coldplay oder Tom Araya bei der Spider Murphy Gang sänge. Wobei: Je länger ich drüber nachdenke, ist es recht unfaszinierend, es bei einer reinen Technik-Spielerei zu belassen. Ich bin vielmehr für die Einführung eines „Leadsinger Swapping Days“, an dem tatsächlich für einen Tag die Sänger getauscht werden. Vielleicht sollte auch mit einem „Bassplayer Swapping Day“ gestartet werden: Mark King spielte plötzlich bei den Pixies, Paul McCartney bei Anthrax oder Flea bei The xx.
Letzte Nacht nun ein blöder Traum: Mir träumte von einem Mahnmal gegen das Slappen. Irgendwo in Berlin wurde vom Bürgermeister in Anwesenheit von Arthur „Killer“ Kane und Rick Danko ein riesiger bronzener Daumen enthüllt. Einmal im Leben hatte ich gewonnen!
Unser Autor spielt selbst Gitarre und fügt seinem Tagebuch jeden Donnerstag eine neue Seite hinzu – Woche für Woche exklusiv auf www.rollingstone