Zwischen Schaffel und Hochkultur
MIT EINEM AUFTRITT in einem amerikanischen Football-Stadion kann Michael Mayer noch nicht dienen. „Für uns schlägt dieser Boom um Skrillex oder Swedish House Mafia noch nicht zu Buche. Weder bei den Plattenverkäufen im Export noch bei den internationalen DJ-Bookings“, berichtet der Kölner DJ und Produzent (aktuelles Album „Mantasy“), der gleichzeitig Vertriebschef des Elektronikalabels Kompakt in Köln ist. „Für die USA ein riesiges Phänomen, das von einem recht jungen Publikum getragen wird, die auch zu Teenie-Punkbands wie Blink 182 oder Fun gehen könnten. Kein Wunder, dass der milliardenschwere Investor Robert Sillerman in diese Techno-Blase einsteigt. Erst hat er die Online-Plattform Beatport gekauft und nun will er mit Riesensummen in der Electronic Dance Music mitmischen“, so Mayer. „Unsere US-Kontakte dagegen bewegen sich in anderen Sphären, die über Jahre gewachsen sind. Keine Stadien, sondern eher Clubs!“
Damit gehört die Kölner Adresse, die das ganze Jahr über das 20ste Gründungsjubiläum begeht, zu den Hidden Champions der Musikszenerie. Ein Independent Label in Künstlerhand, das gleichwohl rund um den Erdball aktiv ist. Auf die Frage nach der ungewöhnlichsten DJ-Station nennt Mayer die einst streng abgeschottete Atomraketenstadt Perm. Der dortige Kurator, der früher auf einer Arktis-Station das ewige Eis beschallte, entpuppte sich als großer Fan der meditativen Kompakt-Albumreihe „Pop Ambient“. Er lud Mayer 2012 ins ferne Russland zur ersten Techno-Party im Uralvorland. „Ein äußerst düsterer Ort.“ Weitaus heiterer verlief Mayers Gastspiel auf der weltberühmten Brücke im südfranzösischen Avignon, wo Kompakt die dortige Fête de la Musique gerockt hat.
Am Anfang dieser langjährigen Erfolgsgeschichte steht das Delirium. Und zur Abwechslung mal nicht der im Umfeld der elektronischen Popmusik durchaus verbreitete Drogenrausch, sondern der gleichnamige Plattenladen aus Frankfurt. Als dieser nämlich im Jahr 1993 eine Dependance in Köln eröffnen wollte, legten die Kumpels Jörg Burger und Wolfgang Voigt gemeinsam mit Wolfgangs Bruder Reinhard Voigt und Jürgen Paape ihre Kräfte zusammen. Am 1. März wurden damals dann Musiker zu Musikhändlern ihrer Lieblingsmusik. Ein Prinzip, das bis heute zu den Grundfesten des eigenen Labels gehört, das 1998 zu Kompakt Schallplatten umfirmierte. Ein weiteres Element, das den „Markenkern“ von Kompakt definiert, ist das minimalistische Erscheinungsbild. Eine Corporate Identity, welche die Designerin Bianca Strauch einst mit entwickelte, und die seitdem im Sinne der Schöpfer fortgeschrieben wird. Auf Platten-und CD-Covern, auf der Website und auch auf den Bierdeckeln zum 20-Jährigen. Rund 700 Liter Kölsch wurden beim Jubiläumsauftakt Anfang März ausgeschenkt. Trotz aller konzeptuellen Strenge von Kompakt mit einem elektronischen Musikprogramm ohne Schnörkel und Lametta zelebriert das Eignerteam eine durchaus feierfeste Offenheit.
„Das ist nicht der neue Geist des Hauses“, findet Mayer, „sondern der alte! Dieses Verkopfte und Intellektuelle dagegen, hat in erster Linie mit der Kompakt-Rezeption von außen zu tun. So viel hat sich da gar nicht geändert.“ Zumal die nur zu gerne genannten musikalischen Referenzen Kylie Minogue, Pet Shop Boys, Scritti Politti oder gar Verweise auf deutsche Schlager eher unüblich sind im oft genug sehr nerdigen und unkörperlichen Techno-Underground. Beim Stöbern in den ewigen Bestsellern des reichhaltigen Kompakt-Kataloges mit etwa 150 Künstlern, Bands und Projekten stößt man auf durchaus süffige Songs, wie etwa der frei schwebende 2006er-Klassiker „So weit wie noch nie“ von Jürgen Paape. Oder die chansonfähigen Tracks von Justus Köhncke, für die eine US-Tageszeitung die Wortschöpfung „nügerman compu-soul“ erfand. Mayer zählt das schwedischen Projekt The Field, das mit „Over The Ice“ auf der Doppel-CD „Kollektion 1“ zum Firmengeburtstag vertreten ist, zu den Bestsellern. Oder den brasilianischen Techno-Künstler Gui Boratto. Oder auch das Album „Arabian Horse“ der isländischen Band Gus Gus von 2011, mit dem sich das Label im Bandsegment verstärkte.
Man kann und will sich da nicht auf die kommerziellen Kategorien der Gold-und Platin-Schallplatten festlegen, sondern eher autorenorientiert und langfristig mit den Musikern zusammenarbeiten. Eine Art Familien-oder Community-Modell. Jüngstes (Pop-)Aushängeschild ist das Kölner Elektro-Duo Coma, die mit ihrem Debütalbum „In Technicolor“ nur noch wenig mit dem einstigen Subgenre German Minimal gemein haben, mit dem Kompakt lange Zeit die Plattenläden zwischen Melbourne und San Francisco versorgte. Anderseits haben die Kölner schon seit Jahren die Technik des „Schaffel“ perfektioniert, was einen fast schon funklastigen Umgang mit Beats und Rhythmen der Elektro-Kompositionen bezeichnet.
Der Dancefloor war trotz aller Kunstexperimente immer auch ein Maß der Dinge für Kompakt. In einem aktuellen Labelporträt der Londoner Tageszeitung „Guardian“ bezeichnete Labelmitbegründer Wolfgang Voigt den Stil des Hauses als „Bier Techno“. Im Gegensatz zu dem in Berlin gepflegten „Wodka Techno“. Vor dem Hintergrund, dass Voigt einst unter dem Pseudonym Gas über den deutschen Wald und die schwere deutsche Seele meditierte, oder in der Freiland-Serie konsequenten Minimalismus betrieb, geben sich die Protagonisten heute ausnehmend entspannt und locker. Das schließt freilich nicht aus, dass man zur Kunstmesse Art Cologne sowie zum Kölner Acht-Brücken-Festival im Mai den befreundeten Klassik-Komponist Gregor Schwellenbach damit betraut hat, diverse Tracks aus dem umfangreichen Labelkatalog in Partituren zu übersetzen. Elektro goes Symphonie und wieder zurück.
In der Zentrale in der Werderstraße, wo Plattenladen, Studio, Bookingagentur, Vertrieb und die gemeinsame Firmenküche unter einem Dach residieren, beherrscht man jedenfalls das Spiel zwischen Pop und Feuilleton aus dem Effeff. Feingeist und Digitaldiskurs sind hier in 20 Jahren zum nachhaltigen deutschen Exportgut herangereift.