Zwischen Ehre und Erfolg debütieren NIELS FREVERT und DIRK DARMSTAEDTER ohne ihre Bands mit eigenen Alben
Deutschland, deine Lieder. Die Quotenrufer stimmen mit den reformierten Wolfgang-Petry-Charts in dem Kernsatz überein: Aber so war das nicht gemeint. Der Kulturkampf von Blumfeld gegen Westernhagen ist fern wie der Kalte Krieg. Bleiben Selig und Die Sterne und ein seltsamer Spagat. Denn die Mr. Presidents der Plattenfirmen verlangen von den neuen Interpreten gnadenlos: You have to sing deutsch. Von ihrer Gnade der späten Geburt profitieren Tocotronic ab Kult und Tic Tac Toe im Kommerz. Und sonst? Auf der Love Parade singt niemand mehr – sie raven united. Ein Rammstein bewirkt noch keinen Aufschwung. Oder so. Allegorie, Sie verstehen?
Als Dirk Darmstaedter am Ende der Achtziger mit seinen Jeremy Days begann, „mußte man englisch singen, sonst lief bei Plattenfirmen gar nichts“. Da Darmstaedter, wie eine Bekannte von mir bemerkte, ein „echt englischer Typ“ sei und die Band nach britischer Pop musik klang, gelang ihr sogar mit „Brand New Toy“ ein Hit. Jetzt hat der Hamburger sein erstes Solo-Album aufgenommen. Es heißt „Cassity“, und noch immer wird er mit der Frage genötigt, weshalb er nicht Lieder mit deutschen Texten schreibe. Darmstaedter ist in New Jersey aufgewachsen, und „Englisch wurde so meine im Spiel erlernte Muttersprache“. Macht ja nichts.
Anfang der Neunziger wagte sich Niels Frevert mit seiner Band unter dem sinnigen Namen Nationalgalerie an Liedpoesie in deutscher Diktion. Die melancholischen Hamburger bleiben einzigartig in ihren rührend-knarzigen Songs – und die unerfüllte Hoffnung jener, denen hiesiger Stammtischrock unerträglich ist. Selbstironisch sieht Frevert sich als „Käpt’n Ahab in der deutschen Popmusik“. Ab der ist er nun aufgebrochen, indem auch er sich in sein nach seinem Namen betiteltes Solo-Debüt zurückgezogen hat.
Beide haben also schon eine Karriere hinter sich, beide Bands haben sich nach Jahren „eine Auszeit gegeben , so Darmstaedter über die Jeremy Days. Denn wie die Nationalgalerie gehören jene zum „Mittelfeld“, wie Frevert formuliert Eben der Mittelstand der Musikszene, halb Mukker, halb verhinderte Virtuosen, irgendwo zwischen Scheitern, Streben und Selbstzufriedenheit – und weiter in der Warteschleife zum großen Wurf? „Wir haben uns einen guten Ruf erarbeitet, ich kann von der Musik leben und weiter Platten machen und nenne es Erfolg“, definiert Frevert, der eitler ist, als er scheint „Es ist ist eine äußerst ehrenvolle Angelegenheit Nach dem Hit immer weniger zu verkaufen, finde ich viel fürchterlicher.“
Darmstaedter, den erstaunt, daß die Jeremy Days „oft größer scheinen, als wir waren“, würde zustimmen. In „Pop Gun“ singt er mit der Zeile „Ybu’re just the new wave of teen slaves“ über „den Hype, der in England so schön verrückt ist“ – ihm ist es aber ernst. Zehn A&R-Menschen lehnten „Cassity“ ab. Der elfte ließ dann in einer Anzeige mit dem Zitat des Managers Andreas Läsker mitteilen: „Die haben alle keine Eier.“ Als ich das und den Promo-Slogan „Ganz Deutschland hört Blümchen? Nein!“ muffig und für Hype halte, verkrampft sich Darmstaedter. Schließlich bricht es aus ihm heraus: „Ich bin superpositiv, and I like my record… und bei Scheiße wie Captain Jack habe ich kein Problem, dagegenzusteuern. Take it or leave it!“ Das ist korrekt wie sein Stil, „möglichst drei Akkorde, jedenfalls simpel, klar“ zu arrangieren. „The Last Day Of Summer“ ist verdächtig netter Pop, und in „Appletown, America“ rockt beharrlich die Songwriter-Tradition. Allein die Songs haben keine Eier.
Darmstaedter, der Klamotten vom Trödel anzieht, wird nun die Herren-Kollektion von Jil Sander vorführen. Das Supermodel aber ist Frevert, der wie ein Bohemien wirkt. Zum Nadelstreifenanzug, den er bereits zwei Jahre trägt schlurft er in klobigen, abgetragenen Schuhen. Früher mundfauler Melancholiker, strahlt er eine Zuversicht aus, als würde der Schlacks gleich die Füße auf den Tisch legen. Seine Plattenfirma wollte sein Album unbedingt herausbringen, und das „Ergebnis macht mich glücklich“, da er sich diesmal nicht verzettelt hat. Seine kryptischen Wortreihen hat er etwas gelichtet ohne sein romantischverrutschtes Metaphernspiel verloren zu haben. Richtig böse singt er in „Doppelgänger“ – und ist sein wunderbares erstes Solo zu hören, wobei ihm die Gitarre kaputt geht. Zu dem apokalyptischen Text von“Du mußt zuhause sein“ hat er Schlager und Country zum trotzig-verschmitzten Popsong verbunden. „Ich suche weiter die Grenze zum Kitsch.“