Zwei Süße gegen Satan

Die unglaublichen Abenteuer der White Stripes

Jack White, dieser oft verbissene Mann, der immer so von unten guckt, als ob er gleich Attacke springen wolle, der womöglich f einzige Überlebende eines blutigen Bandenkriegs zwischen den kleinen Strolchen und den Fraggles: Jack White lacht laut, aber an der völlig falschen Stelle. „Das ist traurig“, sagt er. Noch einmal, noch lauter, in stärkeren Stößen, aber gar nicht lustig ist das. „Das ist traurig“, wiederholt er. Da ist das Gespräch gerade auf die Sache mit den Kindern gekommen. Die Kindheit, das sei die perfekte Zeit im Menschenleben, hat White früher gesagt, wenn er umständlich versuchte, seine Band The White Stripes zu erklären: Kinder hätten die Gedanken von Erwachsenen, aber noch nicht die Erfahrung, das Desillusionierte.

Und jetzt, im Jahr 2007, veröffentlichen die ehemals Lolli- und Zuckerstangen-schwingenden White Stripes eine Platte, die einen mit dem Eindruck zurücklässt, dass die Zeit, in der Jack White und seine Schlagzeuger-Schwester oder Ex-Frau oder Großmutter Meg White einfach so wie Kinder sein konnten, endgültig vorbei ist.

„Das ist traurig.“ White lacht noch einmal, lauter. „Das ist traurig.“ Stimmt es denn? „Ich weiß nicht“, sagt Jack White. „Ich glaube schon. Im Prinzip haben wir uns schon seit Längerem selbst eingestanden, dass es zwar wahnsinnig schade darum ist, aber dass unser Projekt gescheitert ist. Obwohl wir alles versucht haben. Ich bin gerade dabei, zu lernen, trotzdem ein glücklicher und positiver Mensch zu sein. Unter anderen Vorzeichen halt.“

Es gab ja oft Ärger mit den White Stripes, aber dass sie gescheitert seien, das haben wir noch nicht gehört. Ausgerechnet jetzt? So’n Mist. Wo sie endlich weit genug oben sind, um von überall aus gesehen zu werden, wo sie schon drei Grammys unterm Arm haben, mit der letzten Platte in Amerika sowie in Großbritannien gleichzeitig auf Platz drei in die Charts einstiegen, exakt auf drei, ihre sowieso magische Zahl. Gelacht hätte irgendwer, wenn man ihm vor fünf Jahren gesagt hätte, dass solche Troglodyten-Musik so breit erfolgreich sein könnte, dass Krach wie „Elephant“ von den White Stripes auf Nummer eins in UK kommen und sogar von italienischen Fußball-Fans nachgesungen werden würde, diesem notorisch geschmäcklerischen Pack: die Songs von Jack und Meg White, jaulender Roots-Metal, Blues mit allen Schrulligkeiten, die er sich durch die vielen, vielen Jahre angeeignet hat, potenzielle Haarschüttel- und Fußstampf-Stücke, alles, bloß keine Popmusik im Sinne des alten Jahrhunderts. Von einer bunt marmorierten Novelty-Gruppe gespielt, die für einen kurzen Spaß gut zu sein schien und eh nur für kleinste Konzerte. Ohne Bassist, als hätten sie mal im Suff einen doofen Eid geschworen und dürften jetzt nicht nachgeben, und mit einer Schlagzeugerin, von der noch immer jeder Blödian ungestraft behaupten kann, sie könne übrigens gar nicht spielen. Aber die White Stripes haben das Versprechen gehalten, dass sie nie gegeben haben. Sie sind von 1997 bis 2007 zu einer der größten Rockbands der Welt geworden, obwohl sie streng nach dem Buch nicht mal eine echte Band sind.

Sie haben alles drin, alles in sich, in noch ganz unmittelbarer Reichweite zueinander, den Flop, den Hit, das typische Vinyl und den typischen Download, die verstimmte Gitarre, das Sofia-Coppola-Video, das Stadion in Mexiko, den „Molotow“-Keller in Hamburg, das stolze Loser-Sein und peinlich bemühte Repräsentieren, das Kellnern, das Modellstehen, das Knutschen mit Filmstars. Als sie die alte Musik aus der Kammer holten und frisch in die Steckdose steckten, haben sie Geister hochgeschreckt, dienliche und lästige, die sie nie mehr Loswerden können.

Sänger, Gitarrist, Songwriter und Model-Ehemann Jack White kann gar nicht anders, als faktisch richtig festzustellen: Das kleine Projekt White Stripes ist gescheitert. Es ist zu spät zum Aufhören, zu spät, um die Unschuld von gestreiften Vinyl-Singles, schwarzen Pippi-Langstrumpf-Zöpfen und nassforscher No-Logo-Politik noch irgendwie zu retten. Das kleine Projekt ist gescheitert, denn es ist jetzt groß. Und hat andere Freunde.

„Ich bin zur falschen Zeit am richtigen Ort?

Das kenn ich, so geht’s mir jeden Tag.“

(Jack White, in einer Ansage beim Blackpool-Konzert am 28.1.2004)

EINE EIGENE GESCHICHTE

Um mal strikt bei den historischen Fakten zu bleiben: Im Sommer 2001, kurz bevor die White Stripes mit Va-Voom in die sichtbare Atmosphäre eintraten, war die Welt ein trauriger Ort. Alles war schwarz, weiß und höchstens noch ein bisschen grau, Musik gab es nur von geschorenen Techno-Fabrikanten oder laminierten Boygroups, Rock’n’Roll war tot, Blues war der offizielle Terminus für den Stil des nordirischen Gitarristen Gary Moore. Da sprangen sie rot vom Himmel, Brother Jack und Sister Meg, und brachten alles zurück, was den Menschen seit 1977,1963,1956 oder noch früher jeweils so schrecklich gefehlt hatte – die Energie, die Haltung, das Wissen, das ungewöhnliche Talent, mit Weitblick juvenil zu sein. Sie verjagten den Teufel, setzten die wahren, verschollenen Helden ins Recht und verwandelten den neuen Thron des Rock in einen gigantischen Schaukelstuhl, während sie selbst schon draufsaßen.

Problem: So wie gerade beschrieben war es eben nicht. So geht die Kaugummipapierchen-Version der Geschichte, die sich platzsparend verbreiten ließ, als man im Herbst 2001 eine angebliche Rock-Revolution erklären und dazu so vollkommen unterschiedliche Bands wie die New Yorker Schnösel The Strokes, die schwedischen Zappelmänner The Hives und die White Stripes als Schäumchen derselben Welle darstellen musste. Ganz falsch ist die Erzählung aber auch nicht: Der Erfolg der White Stripes ist – wenn schon nicht die Ursache – definitiv ein Indiz, eine Folge der neuen, vielleicht zyklisch wiedergekehrten Popularität von weißem Rock’n’Roll und schwarzem Blues. Eine Popularität, die denen mit Recht egal ist, die ihre Platten so oder so immer bei Garagen-Labels gekauft haben.

Nicht einmal der bewusste und explizite Rückgriff auf alte Blues- und Folk-Stücke, für den die White Stripes so sprichwörtlich geworden sind, war 2001 etwas ganz Neues. Sie haben vom Konzept her zwar mehr daraus gemacht, aber zum Beispiel PJ Harvey und Jon Spencer hatten die Vorbilder schon Mitte der Neunziger genannt und adaptiert, und Kurt Cobain, der größte Rockstar des Jahrzehnts überhaupt, hatte vor MTV-Kameras die Leute mit dem uralten „Where Did You Sleep Last Night?“ zum letzten Mal gegrüßt. Über diesen Umweg schaffte es das Stück damals sogar in die „Mars „-Werbung. Das alte München in den Appalachen hätte sich gefreut.

„War es die Mission dieser Band, den Menschen den Blues zurückzubringen?“ fragt Jack White im Jahr 2007 zurück. „Manchmal hat es sich tatsächlich so angefühlt. Dass es unser Job war, den Blues weiterzutragen. Lustigerweise gibt es aber viele Kreise, in denen die White Stripes gar nicht als Bluesband wahrgenommen werden. Es gibt die typische Eric-Clapton-John-Mayall-Vorstellung von Blues – diese Leute wissen wahrscheinlich nicht mal, dass es uns gibt. Trotzdem: Wir haben bei unseren Konzerten selbst gesehen, wie Teenager in den ersten Reihen Songs von Son House mitgesungen haben. Die Songs hätten sie ohne uns nie gehört. Wenn das so ist, waren wir erfolgreich.“

Der Weg zu den White Stripes führt heute nach Nashville. Jack wohnt hier seit knapp anderthalb Jahren mit Ehefrau Karen und dem sicher wunderschönen Baby Scarlett Teresa, hat sein Haus in Detroit Ende April endgültig verkauft. In Nashville sind alle drei Mitspieler seiner Parallel-Band The Raconteurs nur zehn Autominuten entfernt, die White Stripes haben ihr neues Album „lcky Thump“ in einem Studio im Ostteil der Stadt produziert, für alles Musikalische kommt Schlagzeugerin Meg aus Los Angeles angeflogen und übernachtet bei Jack im Gästeflügel.

Im Moment will er aus der Stadt nicht weg. Abends, nach den vielen Interviews, die die White Stripes plötzlich doch – wieder geben, fährt er überdiszipliniert in den Proberaum und übt mit den Raconteurs für die andere neue Platte, die dieses Jahr noch kommen soll.

Im Hermitage Hotel, in Marmor seit 1910, steht vorne ein Türsteher, der denselben Zylinder trägt wie Jack White auf der „Get Behind Me Satan“-Platte, in der Herrentoilette mit den grünen Streifen an der Wand und der Schuhputzbank wurde das Cover der ersten Raconteurs-Single „Steady As She Goes“ von 2006 fotografiert. Und oben im Zimmer haben die zwei White Stripes das Revolutions-Rot wieder aus ihrer Garderobe entfernt, die sonst den alten Farbenregeln der Band entspricht, wie immer, wenn sie offiziell sind.

Jack White, jetzt ohne Tijuana-Bordell-Schnurrbart, oben weiß und unten schwarz, Meg White im weißen Kleid mit schwarzen Punkten, schwarze Kniestrümpfe ganz hochgezogen. Meg raucht jetzt Camel, macht es ansonsten wie früher, leuchtet wie eine Prärierose und schließt sich währendessen immer dem an, was Jack gerade viel schneller und lauter gesagt hat. Man kann sich furchtbar vorstellen, wie die offenbar vierjährige Ehe der beiden so gewesen sein muss.

Jedenfalls ist die Zweierschaft essenziell für die ganze Idee der White Stripes: die Zellteilung, beider die Blues-Person in ein Paar aufgespalten wird, damit sie nicht mehr einsam auf dem Güterzug reisen muss, sondern jemanden zum Reden oder Anschreien hat. Die Ausgliederung des aufstampfenden Rhythmus-Fußes in ein extra gespieltes Schlagzeug, ein soziales, weibliches Element für ein einsames, in mancher Hinsicht chauvinistisches Genre.

Als Jack White vor vier Jahren das vierte White Stripes-Albums „Elephant“ erklärte, nahm er den Titel auch als Symbol für die Unzertrennlichkeit des Paares, das rein juristisch längst geschieden war: „Der Elefant steht für uns zwei, für unsere Feinfühligkeit und unsere Wut, Kraft und Ungeschicklichkeit, unser gutes Gedächtnis. Ein Tier, das wie Meg und ich in einer Person ist.“

Natürlich wurden sie gegeneinander ausgespielt – an die jährliche „Cool List“ des britischen „New Musical Express“ glaubt zwar keiner freiwillig, aber eine zumindest grobe Vorstellung gibt sie einem: 200a wurde Jack White auf Platz eins gewählt, Meg auf sechs. 2003 stieg Meg auf drei, Jack dagegen fiel auf 12. 2004: Meg 18, Jack 26. 2005: Meg 22, Jack rausgefallen. Letztes Jahr stieg Jack wieder auf 19 ein, Meg sank auf 24, ihren schlechtesten Wert, vielleicht weil sie alle Fragen nach ihren Spielplätzen wahrend Jacks langer Tournee mit den Raconteurs 2006 monoton damit beantwortet, sie habe sich einfach ein Jahr lang in Los Angeles eingelebt. Ist das nicht sonderbar, nach all den Detroit-Jahren plötzlich nicht mehr zu wissen, was der andere macht? „Besser so“, sagt Jack und lacht für meinen Geschmack ein bisschen zu wenig, „ich will lieber gar nicht so genau wissen, was bei Meg passiert.“

Obwohl es nicht mal ein Gerücht gab, es muss im letzten Jahr auf der Kippe gestanden haben, ob die White Stripes weitermachen oder nicht. Auch die Promoter der Plattenfirma XL streiten das ab, loben Jack White als hundertprozentig Professionellen, der sich halt zwölf Monate Raconteurs-Pause erbeten habe und Zickzack pünktlich zurückgekommen sei. „Icky T7iump“ ist insofern ein Treffen auf neutralem Grund für die zwei Stripes, als es ihre erste Session in einem gewöhnlichen Gelbe-Seiten-Mietstudio war. Drei Wochen und 16 Tonbandspuren, mehr denn je: Bei „Elephant“ war es im April 2002 die berühmte Woche im Londoner Spulen- und Röhrenlabor Toe Rag, und die Platte der großen Loretta Lynn produzierte White mit hochgekrempelten Ärmeln auf dem eigenen Dachboden. „Man fühlt sich unbeschwerter beim Aufnehmen, wenn nicht ständig irgendwas kaputtgeht“, sagt er jetzt über den Studioluxus in Nashville, „obwohl ich den Kampf gegen die Widerstände eigentlich liebe. Den hatten wir sonst immer.“

Und als ob Jack White in der Tat einen abergläubischen Zweifel gespürt hätte, war er zum ersten Arbeitstag mit einem Foto des Bluessängers Charley Patton erschienen. Um den Raum zu segnen, sagt er. Patton wachte drei Wochen lang darüber, wie Jack und Meg „Icky Thump“ machten. Die Kinder bleiben zusammen, dem Vater zuliebe.

„Es gibt einen tollen Bugs-Bunny-Cartoon: Da ist ein Lieferwagen mit Hüten, die Türen gehen auf, alle Hüte fliegen raus. Elmer jagt Bugs Bunny, und die Hüte landen auf ihren Köpfen, und jedes Mal verwandeln sie sich: Wenn ein Häubchen geflogen kommt, wird Elmer zum Baby, wenn eine Jagdmütze kommt, wird Bugs Bunny zum Jäger. Ich finde die Vorstellung toll, dass ein Kleidungsstück die ganze Person verändert.“ (Jack White, 2007)

KÄFER KRIEGEN FLÜGEL -/h3)

Ihr erstes Album-Cover fotografierten die White Stripes im Frühjahr 1999 in Detroit. Wie kalt der Tag war, weiß Meg White noch heute, weil sie das Second-Hand-Stück trug, das sie ihr „gefährliches Kleid“ nennt. Rot, mit gutem Willen knapp bis zur Taille, die Hühnerbeine weiß. Jack andersrum, weißes T-Shirt,

Die Band schlägt los, als müsse sie einen schlafenden Zombie wecken oder das berühmte Ding aus dem Sumpf ziehen. Nichts, was die White Stripes später gemacht haben, hat die Schärfe, den Spuckdruck und die Brüll-Heiserkeit dieses ersten Albums, kein Studiowerk ist so nah an der Stimmung der Live-Shows: Jack spleißt in „Cannon“ das Traditional „John The Relevator“ hinein, als hätte der Geist ihn spontan gerissen. Die Aufnahmequalität ist nasse Garage, die Gitarre verstimmt, die Tempi schleppen. Trotzdem muss man die verheerende Version von Robert Johnsons „Stop Breaking Down“ gehört haben, um die Whiteszu verstehen. Die CD-Version enthält mehrere Stücke, die im Original nicht dabei waren. * * *i/2 Killertrack:“.cannon“ Widmung an: son House

rote Hose, die er lange vorher für drei Dollar bei der Heilsarmee gekauft hatte, der Salvation Army, die er als kleiner Junge aus Versehen immer „seven nation army“ genannt hatte. Ko Melina, die Bassistin der Band The Dirtbombs, machte die Fotos, sie war die, die Zeit hatte. Megund Jack stellten sich vor das rote Tor der Feuerwache, wo Jack als Kind immer hingegangen war, um auf den Löschwagen herumzuklettern. Zwischen den Füßen der beiden kann man den kleinen Pfefferminz-Lolli sehen, das Band-Maskottchen, das sie immer überall vorzeigten. Jack hatte mehrere Exemplare aus Holz gesägt und angemalt, alle sind durch die Jahre verlorengegangen.

Zu der Zeit waren sie Mitte 20, gerade noch miteinander verheiratet, Meg kellnerte und Jack betrieb seine Polstereiwerkstatt „Third Man Upholstery“ – „Third Man Records“ heißt heute sein Plattenlabel, von dem aus er seine Band in die Welt hinaus lizensiert. Damals aber hatten White Stripes-Alben und -Singles noch keinen Barcode auf der Hülle und wurden vom berüchtigten Long Gone John finanziert, dem in Long Beach, Kalifornien sitzenden Anti-David-Geffen mit der Firma „Sympathy For The Record Industry“.

„Ich erinnere mich, wie ungeduldig wir auf die CDs warteten“, erzählt Jack. „Die Release-Party im ,Gold Dollar‘ war gebucht, aber die CDs waren noch nicht da. Als ich drei Tage vor dem Termin abends heimkam, klebte ein Zettel an meiner Tür: ,Wir haben Sie leider nicht angetroffen.‘ Ich musste ja tagsüber zur Arbeit, und ich schrieb dem Paketdienst Nachrichten, sie sollten es unter die Treppe legen, aber sie haben es nicht gemacht. Am Freitag musste ich deshalb nach der Arbeit schnell zur UPS-Niederlassung fahren, sie waren schon dabei, das Tor zu schließen. Ich hab mich reingedrängt, ich bettelte:,Bitte bitte, gebt mir das Paket, ich brauche die CDs!‘ Am Ende haben sie sie mir gegeben.“

Das im Nachhinein absolut Verblüffendste an den White Stripes bemerkt man, wenn man noch weiter zurückgeht, bis zur ersten Single „Let’s Shake Hands“ vom Frühjahr 1998, vom Detroiter Label Italy Records überraschend veröffentlicht. Überraschend für die Band jedenfalls, die im kleinen, iniestuösen Garagen-Rock-Zirkel der Stadt eine feste Größe darstellte-was nicht so schwierig gewesen war—und angeblich nicht geglaubt hatte, dass sich außer den anderen Musikern irgendjemand für sie interessieren könnte. „Let’s Shake Hands“ ist nicht nur schon ein prototypischer Stripes-Track, alles andere als schön, ein abgewandeltes Blues-Schema, mit brummenden Röhren, überstürzt und überhitzt gespielt und Hyänen-artig gequäkt, auf der Affen-Galeere getrommelt. Auch sonst stimmt bereits jedes Detail, das später relevant wurde, die Farbkomposition in Rot und Weiß, der Holz-Lolli. Die Verwandlung hatte zu dem Zeitpunkt schon stattgefunden.

Jahre später, als er endlich, endlich danach gefragt wurde, erklärte Jack White die Regeln: So wie der Tisch mit zwei Beinen umfällt und mit drei Beinen stehenbleibt, ist die Zahl drei das Ordnungsprinzip der White Stripes. Alles Grafische, die Instrumente, die Kleidung der Bandmitglieder dürfen maximal die Farben Rot, Weiß und Schwarz enthalten. Detailversessen rauchten sie bei Interviews früher sogar rote Gauloises. Und weil jeder Song der Erde immer aus den drei Komponenten Rhythmus, Melodie und Storytelling besteht, dürfen im Konzert nie mehr als drei Instrumente gleichzeitig eingesetzt werden: Schlagzeug, Gitarre oder Klavier, Gesang. Und niemals würde die Bandein weiteres Mitglied aufnehmen, obwohl sie dann ja zu dritt wären.

Steven McDonald, Bassist von Redd Kross, lud im August 2002 eine komplette Version des Stripes-Albums „Wfiite Blood Cells“ auf seine Homepage.bei der er Song für Songdie Bassgitarre ergänzt hatte. Ein Kunst-Projekt nannte McDonald das. ein Wort, das Jack White nie benützen würde. Obwohl es ja genau das ist, was seiner kleinen Band den Vorteil verschafft hat gegenüber ähnlich Veranlagten wie den Fiat Duo Jets, den Soledad Brothers oder den Black Keys, eine musikalische Ungerechtigkeit, auf die nicht nur in Detroit die besten, erfolglosesten Blues-Wölfe sicher oft im Suff geflucht haben: Vor dem Hintergrund des Analog-Fetischismus, der bissigen Authentizität und traditionstreuen Musik wirkt die mindestens genauso betonte Künstlichkeit der White Stripes wie eine dreifache Pop-Explosion. Ein bisschen Transzendenz, mitten im Kartoffelacker. Das besagte Kleinkinder-Ding, mit der man sein Bedürfnis zum Spielen am besten rechtfertigen kann. Der kleine Jack und die kleine Meg wurden für das „Fell I n Love With A Girl“-Video von Michel Gondry als Lego-Figuren nachgebaut, spielten im „My Doorbell“-Clip vor einem Publikum, das nur aus Kindern bestand, und bekamen dafür Pädophilie-Vorwürfe.

Eine Lehrerin schickte ihnen einen Videomitschnitt, auf dem ihre Erstklässler das White Stripes-Lied „Apple Blossom“ singen, und sie projizierten den Film eine Zeitlang zur Show-Einstimmung auf Konzert-Leinwände.

„Als ich heute früh aufgestanden bin, habe ich über diese Generation nachgedacht“, sagt Jack im Hotelzimmer in Nashville. „Ich denke ja ständig über diese Generation nach, und da habe ich mich gefragt, wie es weitergehen wird mit ihr. Ich bin immer ganz erstaunt, warum die Generation unserer Eltern…“ -J ack White wird im Juli 32, Meg im Dezember 33 -„…so viele großartige Lieder hatte, Sinatra, Nat King Cole, Patti Page. Tennessee Waltz‘, ,Fly Me To The Moon kamen heraus und waren sofort Klassiker. Und heute hören die Jungen diese wichtigen Lieder höchstens noch bei American Idol‘, und ich frage mich, warum wir zum Beispiel dieses Jahr nicht 100 neue Lieder haben, die so gut sind wie die aus den 30er, 40er, 50er Jahren. Warum haben wir die nicht?“

Sicher hat im Juli 2001 in Amerika jemand geschrieben, dass das dritte White Stripes-Album „White Blood Cells“ in einer besseren Welt oder den 50er Jahren eine Nummer eins gewesen wäre, im Sommer der tätowierten Kasper Blink-182 und Linkin Park. Besser ¿wurde die Welt zwar nicht, wahr wurde es trotzdem fast: Es lag am Sommerloch. Man muss den White Stripes kein bisschen ihres Triumphes aberkennen, um festzustellen, wie bizarr das war, was sich in England abspielte. Ein Reporter des „New Musical Express“ hatte die Band im Frühjahr beim „South By Southwest“-Festival in Austin entdeckt, und als die Stripes auf Tour nach Großbritannien kamen, hatte der „NME“ genug Platz, um am 4. August einen großen Bericht zu bringen. Am 7. August hatten die Tageszeitungen „Guardian“ und „Times“ auch einen, einen Tag später die Boulevardblätter „Sun“ („Stripes Are Stars“) und „Mirror“ („The Greatest Band Since The Sex Pistols?“, inklusive Hotline mit Hörprobe), woraufhin der „NME“ am 11. August ein White Stripes-Titelblatt druckte: „Detroit Rocks – The Sound Of Now!“. Plus: „Is Detroit The New Seattle?“

Beim Stripes-Auftritt am 6. August im „Boston Arms“-Pub in London waren schon Jarvis Cockerund Kate Moss im Publ ikum. während im rockigen Detroit noch die Klofrau mitgeklatscht hätte. Die Website des „NME“ zitierte einen Mitarbeiter des Cargo-Plattenvertriebs, der vermutete, viele Zeitungen hätten aus Angst reagiert, nach dem Coup des „NME“ mit den Strokes wieder eine coole Neuheit zu verpassen.

„Ohne unseren Manager Ian Montone wäre damals alles in die ganz falsche Richtung gegangen“, sagt Jack White heute. „Nach ,White Blood Cells‘ waren wir auf einmal weltberühmt, aber wir hatten keinen Manager, keinen Anwalt, keinen PR-Menschen. Nichts davon. Die Platte war in England gar nicht veröffentlicht, aber sie war trotzdem bis 58 in den Charts gekommen, rein über Import-Verkäufe. Obwohl Long Gone John (der Chef des ,Sympathy-Labels) uns niemals auch nur einen Cent bezahlt hatte, versuchten wir, ihm treu zu bleiben, aber irgendwann kam der Moment, wo wir sagen mussten: John, alle beschweren sich, weil es nirgends die Platte gibt. Du siehst ein, dass du von diesem Album überfordert bist, oder?‘ Und er: Ja.'“

In Europa erschien „White Blood Cells“ übrigens offiziell am 24. September, diesmal mit Barcode auf der Hülle. Bis heute ist es so, dass Jack White die Rechte an allen Aufnahmen behält und lediglich Lizenzen vergibt. In den USA war bisher V2 der Vertrieb, für „ky Thump“ wurde nun ein eigenartiger Ein-Album-Deal mit Warner Bros, geschlossen – was technisch bedeutet, dass dies in Amerika die erste Major-Label-Platte der White Stripes ist. Falls es jemand wissen will.

Ein großer Teil des Spaßes ist an dieser Stelle vorbei. Das naive Vertrauen ging weg, als sie bemerkten, wie Long Gone John fröhlich weiter ihre Singles presste, obwohl es nun Verträge mit anderen gab. Und natürlich merken die Zuschauer bei White Stripes-Konzerten in riesigen Vieh’Hallen ganz besonders deutlich, wie stark sie als Publikum gegenüber den Mitgliedern ihrer Lieblingsband in der Überzahl sind. Wären Jack und Meg wirklich Kinder geblieben, wie versprochen: Spätestens 2003 hätte sie der nächstbeste Schokoladenonkel geholt.

„Ais ich damals Bob Dylan traf, haben utirwns übers Starsein unterhalten. Er sagte: ,Esheißt, dergrößte Star aller Zeiten sei AdolfHitler gewesen.Weil sein Gesicht und sein J^ame öfter gedruckt wurde ah das Gesicht und der J^ame irgendeiner anderen Person.‘ Dann schwieg er, schaute weg, schaute wieder her und sagte: .Also: Falls Hitler darauf aus gewesen war, berühmt zu werden —dann hat er das schlau angestellt!'“ (]acl{ White, 2007) DIE STADT UND DER RUHM Gern wurden wir mehr über die Schlagzeugerin und seltene, spektakuläre Sängerin Meg White erzählen, bloß: Es geht nicht. Mit buchstäblichem Schweigen und einem insgesamt vorsichtigen Lebenswandel hat Meg es geschafft, bis heute ein Rätsel zu bleiben, jegliche Einsätze als Sexsymbol zu vereiteln, die Prinzessin Leia des Rock’n’Roll zu werden. Sogar die Website, auf dereine Frau aus Minneapolis Beweise dafür sammelt, dass Meg in Wirklichkeit ein Roboter sei, ist eigentlich eine Fanpage. Megs exzentrischstes Abenteuer war im Januar 2006 ein Job als Model für Louis-Vuitton-Chefdesigner Marc Jacobs, obwohl auch die Fotos von Jürgen Teller kein Geheimnis verraten.

Ganz anders Jack WTiite. Als John Gillis in eine schottische Auswandererfamilie hineingeboren, in letzter Sekunde doch nicht auf die Klosterschule gegangen, eigentlich Schlagzeug gelernt, trotz oder wegen der HipHop’Beschallung in der mexikanischen Nachbarschaft auf den Blues gekommen. Einer, der den aus der Zeit gefallenen Drifter und Freak von Anfang an etwas offensiver, überzeugter und blutäugiger gespielt hat, als sein Publikum es wahrhaben wollte. Jacks konservative Brandreden zum Hoch auf die gute alte Zeit und gegen den Verfall der Kultur wirkten kaum wie schrullige Pop-Acessoires, mehr wie bitterer Ernst. Und aus älteren Songs wie „I’m Finding 1t Härder To Be A Gentleman“ hört nicht nur der Überempfindliche eine gewisse Misogynie heraus.

Man sieht es gleich, wenn er auf der Bühne steht, vor einem Publikum, das in manchen Ländern zu signifikanten Teilen aus Heavy-Metal-Fans besteht: Da lacht Jack White nie, Ironie kennt er keine. Das Verspielte, Kindliche spannt sich bei den White Stripes nicht nur gegen die archaische Musik, sondern auch gegen das geckenhafte Auftreten, die Gitarrengötterei ihres Sängers. Nur, weil es nicht zur Etikette des Indie-Rock passt, muss das nicht schlecht sein – im Licht des Erfolgs hat sich Jack White mit dieser Attitüde allerdings extrem angreifbar gemacht. Und so begannen die Probleme erst richtig.

Nummer eins: die berühmte Schlägerei mit Jason Stolisteimer, dem Sänger der eigentlich befreundeten Band The Von Bondies, im Dezember 2003. Wer genau wen beleidigte und wer mit Prügeln anfing, kann niemand sagen. Stolisteimer ging jedenfalls mit geschwollenem Auge zur Polizei, und White bekannte sich vor Gericht schuldig, zahlte 500 Dollar und besuchte einen Selbstbeherrschungskurs. Es war die Zeit, als er mit Renee Zellweger zusammen war, die er von den Dreharbeiten zum „ColdMountain“-Film mitgebracht hatte. Der „NME“ stufte ihn daraufhin in der „Cool List“ herunter, mit der Begründung, dass es hochgradig peinlich sei, eine Filmstar-Freundin zu haben.

Nummer zwei: der Prozess gegen Jim Diamond, auch ein Detroiter Freund. Diamond hatte als Co-Produzent und Mixer an den ersten zwei Stripes-Alben mitgearbeitet – im April 2006 forderte er überraschend, als Mitkomponist der Songs eingetragen zu werden und Tantiemen nachgezahlt zu bekommen: Er habe im Studio den typischen Band-Sound mitgeprägt, sagte er. Den Prozess gewann die Band leicht. Jack reiste von Nashville an, denn eben war er weggezogen. „White Stripes Jack White Leaves ,Negaüve‘ Detroit“, hieß dazu die Meldung der Agentur.

,Am Ende hat Detroit mich kaputtgemacht, es hat meinen ganzen Enthusiasmus gefressen“, sagt Jack White heute. „Das soll nicht wie Selbstlob klingen, aber Megund ich haben uns so bemüht, treu und nett zu allen zu sein, während nur noch eine negative Breitseite nach der anderen kam.“ Er nennt keine Namen, aber jetzt schäumt er. „Die Leute haben keine Ahnung, wie es ist, wenn einen im Restaurant alle beim Essen anstarren, oder wenn völlig Fremde ankommen und Handyfotos von einem machen! Und wenn ich über mich selbst in der Zeitung lese, ich sei hässlich und untalentiert – das trifft mich wie ein Kinnhaken! Wenn dann die Leute um einen herum noch anfangen, kluge Sprüche zu klopfen, so in der Art: .Also, wenn ich so viel Geld und Möglichkeiten hätte wie du, dann-würde ich ja das und das und das tun…‘ Ich bin sowas von heilfroh, dass wir schlau genug waren und von dort abgehauen sind.“ Wurde alles besser, als er in Nashville war? „Sofort!“

Die Compilation, die White noch vor sechs Jahren für Long Gone Johns Label zusammengestellt hatte, war unter dem Titel „Sympathetic Sounds Of Detroit“ erschienen, mit allen, die der Weltpresse Ende 2001 als Erbfolger der größten amerikanischen Rock-Stadt galten: den Detroit Cobras, Dirtbombs, Von Bondies, Soledad Brothers, Come Ons. Jahrelang waren sie die Blutsfreunde der White Stripes, im Jahr 2006 sollten sie ihren Ex-Bruder Jack dann plötzlich aus der Stadt ekeln – aus Neid, oder weil der Erfolg ihn so komisch gemacht hatte?

„Um das zu verstehen, muss man wissen, wie die Stadt funktioniert“, sagt Johnny Walker, ehemaliger Sänger und Gitarrist der Soledad Brothers, der damals zum engen Kreis gehörte und heute Psychiatriearzt in Cincinnati ist. „Detroit ist wie eine Insel, wie ein Dritte-Welt-Land. 50 Prozent Arbeitslose, 50 Prozent Analphabeten. Um in Detroit durchzukommen, muss man ständig darauf gefasst sein, dass etwas Schlimmes passiert, und man braucht einen festen, verschworenen Freundeskreis. Wenn in so einem Freundeskreis etwas zwischen zwei Leuten vorfallt, kann das natürlich schwere Konsequenzen haben – da kann es einem wirklich so vorkommen, als ob alle plötzlich gegen einen sind. Wie wenn man in einer Kleinstadt wohnt und auf den Marktplatz pinkelt: Jeder kriegt es mit.“

Hat Jack White so viele Feinde, wie er glaubt? „Klar werden die Leute hellhörig, wenn einer Geld hat“, sagt Walker. „Aber es wäre unfair, irgendjemandem die Schuld zu geben. Wegzugehen war das Beste, was er tun konnte. War es für mich übrigens auch.“

Die Vertreibung aus dem Paradies, das keines war, haben sie verwunden. In den bösen Apfel haben sie nicht gebissen, dem Teufel und seinen Versuchungen sind die White Stripes von der Rutsche gesprungen, obwohl zumindest an Jack für immer ein bisschen Rockstar-Idiotie hängenbleiben wird, die er nie mehr abschütteln können wird. Schon die letzte Platte „Get Behind Me Satan“ von 2005 habe ihm dazu gedient, sagt White, mit einigen Dingen endgültig abzuschließen. Das klingt schon nach den typischen Problemen der Spätpubertät, die bei Rockbands gleich nach den Kinderkrankheiten kommt und meist lange dauert. Kann sich wer vorstellen, dass Jack und Meg für den Regenwald singen?

Die Kraft und den Furor haben die White Stripes selbstverständlich noch, wenn es sein muss. „Id{y Thumjf ist eine absolut untadelige neue Platte, die aber auch zeigt, dass – neben den pflichtschuldigen Experimenten mit Trompeten und irischen Sackpfeifen – aus Blues und Hardrock für die Stripes zu zweit im Moment nichts Großartiges mehr herauszuholen ist und es Zeit für irgendeinen neuen Funken oder eine Idee wäre. Die Raconteurs gibt es ja gleichzeitig auch noch.

Dafür hat Jack White dieses Mal so viel zu dichten wie selten zuvor. In „Little Cream Soda“ zum Beispiel zeichnet er den Weg des Blues-Hobos als Suche ohne Sinn, bei der die Straße immer länger und länger wird, der alte Mann immer dasselbe singt und am Ende Gott aus den Wolken brüllt, dass es nichts mehr zu sagen gebe. „300 M.P.H. Torrential Outpoor Blues“, eines von Whites besten Stücken überhaupt, beginnt vor dem Spiegel, in dem der Sänger drei Gesichter sieht und nicht weiß, welches seines ist. Und endet auf dem Friedhof, einem traditionsreichen Ort der Folk- und Bluesgeschichte, den Jack White noch nie zuvor betreten hat. Wenigstens sei er hier der mit den schönsten Schuhen, singt er. Mit der Einstellung wird er noch weit kommen.

„Wenn man um die Welt reist, Konzerte spielt und lauter tolle Sachen erlebt, kann es unglaublich schwer sein, anzuhalten und die Dinge zu genießen“, sagt Jack White, und Meg White in ihrem Punktekleid lächelt strahlschön dazu und denkt: „Genau.“ – „Und während ich älter werde, frage ich mich, ob ich jemals rausbekomme, wie man das macht: das alles zu genießen und trotzdem die Kunst zu schaffen, die ich schaffen muss. Immer wenn es zu einfach wird, kriege ich Angst.“

Die Whites Stripes können nie wieder Kinder sein. Sie können sich doch nicht länger dumm stellen.

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