Zuviel Talent, zuviel Humor
Gut geprollt, Robbie. Auf der Pressekonferenz am Vortag hat er noch den knuffigen Emporkömmling gegeben und reihum die aus ganz Europa nach Paris eingeflogenen Reporter zusammengefaltet, während im Hintergrund übermächtig das Cover-Artwork seines ersten Solo-Albums prangte. Heute hält der Ex-Take-That-Tänzer Robbie Williams, der vielleicht nur deshalb bei der größten Boygroup aller Zeiten rausgeschmissen worden ist, weil er zuviel Talent und zuviel Humor besitzt – heute hält er auf der sonnigen Terrasse seiner Pariser Hotelsuite Hof. Und läßt sein Herz sprechen, irgendwie.
Ein echter Profi und verdammt lieber Kerl ist Robbie, der seinem Gegenüber verrät: „Die Performance gestern auf der Pressekonferenz war pure Unsicherheit. Um sie zu überspielen, verbreite ich eine Aura der Arroganz um mich herum. Das hat auch damit zu tun, daß ich gar nicht so genau weiß, wer ich bin. Ohne Applaus kann ich nicht existieren. Ich definiere mich durch das Feedback des Publikums. Das ist wie ein Spiegel, in dem ich mich betrachten kann. Und natürlich will ich mit mir zufrieden sein, wenn ich in diesen Spiegel schaue. Mein Gott! Ich bin jetzt bald 24, und mit jedem Jahr werde ich süchtiger nach Applaus.“
Den kann er haben, den Applaus. „Lij/e ThruALens“ ist ein rundes Britpop-Album geworden, und es ist wichtiger als alle anderen Britpop-Alben der letzten Monate, weil auf ihm dann doch noch einmal so was wie ein Autor auftritt. Also jemand, der im Gegensatz zu den Freunden von Oasis mit Fug und Recht fragen könnte: D’you know what I mean? Obwohl Robbie gerne so tut, als ob er uns nur unterhalten wilL Aber das ist ja auch kein Widerspruch, sondern nur die Lösung aller Probleme. Ein großer Vaudeville-Künstler ist dieser junge Mann, der bereitwillig allen Anforderungen des Entertainment-Betriebs nachkommt, um dann in seinen Liedern doch noch ein bißchen tiefer zu schürfen. Der Song „Angels“ zum Beispiel klingt wie aus der Feder von Elton John und soll deshalb erst zur Weihnachtszeit ausgekoppelt werden. Es ist ein Lied über Engel, aber es beschreibt die Abwesenheit von Liebe. Wie die LP insgesamt. „Ich wüßte auch gar nicht, wie ich einen Song über die Liebe schreiben sollte“, sagt Robbie. „Das ist etwas, das mir völlig fremd ist. Ich weiß, was Lust ist, aber ich habe noch nie in meinem Leben geliebt.“
Womit wir endlich beim Thema Pop und Projektion wären: Bei Take mußte Robbie immer den keuschen Knaben verkörpern, während er jetzt so was wie eine Sexualität besitzen darf. Bei seiner Show im „Elysee Montmartre“ am Abend zuvor war ergo die Hüfte neben der Stimme der strapazierteste Körperteil. Lebt er jetzt eine Sexualität aus, die das Management früher verbot? „Klar, Take That waren asexuelL Aber auch wenn wir auf der Bühne keinen Anflug von Körperlichkeit zeigen durften nach den Shows bin ich selten alleine heim gegangen. Heute lasse ich auf der Bühne den Sexprotz raushängen, geh dann ins Hotel und spiele Backgammon. Auf der Bühne bin ich das Tier, im wirklichen Leben jedoch keusch. Früher war das umgekehrt“
So einer wie Robbie ist für alle da, sein Leben ist auch unseres. Schließlich wissen wir alles über ihn. „Gar nicht wahr! Was über mich geschrieben wurde, war ja nur die Spitze eines Eisbergs. Vielleicht erscheinen ja mal die geheimen Akten des Robbie Williams – was glaubst du, wie dick die wären! Ich bin in die Extreme gegangen, und ich habe keine Droge ausgelassen. Erst kam Alkohol, dann Koks, zum Schluß härterer Stoff. Irgendwann hab ich es gesehen: das große Nichts. Ich möchte zwar niemandem empfehlen, all die Substanzen auszuprobieren, die ich damals zu mir genommen habe, aber mir hat’s geholfen zu erkennen, was ich wirklich will. Auch wenn es mich beinahe umgebracht hätte.“