Zum Tod von Pierre Brice: Winnetou – Der Häuptling unserer Erinnerung
In den ewigen Jagdgründen unserer Erinnerung wird er stets auf einem Felsen stehen und mit der Silberbüchse im Arm über das Recht und die Vernunft gebieten. "Winnetou"-Darsteller Pierre Brice ist tot.
Die Winnetou-Filme haben natürlich alles vorweggenommen: jeden Ritt, jeden Panoramablick, jede Geste, jeden Abschied. Es waren nicht die richtigen Western wie die von John Ford, Anthony Mann und Howard Hawks – aber uns Jungs bedeuteten sie den Wilden Westen, und die Landschaft in Kroatien, in der Horst Wendlandt die Filme drehen ließ, unterschied sich ja auch nur durch ein paar Felsen und Wasserfälle von den Wäldern und Weihern, in denen wir spielten. In der Weihnachtszeit 1962 fand die Premiere von „Der Schatz im Silbersee“ statt, im Münchner Mathäser-Kino, und der deutsche Nachkriegsfilm war gerettet. Mario Adorf, Dunja Rajter, Ralf Wolter, Chris Howland und die weltläufigen Schauspieler Herbert Lom ud Lex Barker: Sie alle waren da. Und Karl Dall auch.
Als Soldat in Indochina und im Algerienkrieg
Und dann war da Winnetou, und Winnetou war Pierre Brice. Niemals wieder war jemand so sehr Winnetou wie der französische Schauspieler, der seit zehn Jahren in Nebenrollen aufgetreten war, der ungünstigerweise Alain Delon ähnelte und auch noch mit ihm befreundet war. Pierre Louis Baron Le Bris wurde am 6. Februar 1929 in Brest geboren, er war in der Zeit der Besatzung ein Botenjunge der Resistance, und später war er Soldat in Indochina und im Algerienkrieg. In Claude Chabrols zweitem Film, „Schrei, wenn du kannst“, hat Brice 1959 eine kleine Rolle, aber es wurde keine Karriere draus, denn es gab Delon und Jean-Pierre Leaud und Jean-Paul Belmondo in Frankreich, und der stille, konservative Pierer Brice war kein Mann der Regisseure der Nouvelle Vague, nicht einmal ein Gegenüber für Jean Gabin. Für „Los Atracadores“ bekam er bei der Berlinale 1962 einen Preis für den besten Nebendarsteller, und dort engagierte ihn Horst Wendlandt.
Pierre Brice kannte naturgemäß nicht die Romane von Karl May, und die Rolle des Winnetou gefiel ihm nicht. Noch weniger gefielen ihm die Handlung und die Dialoge von „Der Schatz im Silbersee“, aber seine Agentin überredete ihn zu dem Film. Weil Brice nicht reiten konnte, brauchte er die Unterstützung von Lex Barker, der Old Shatterhand eine unerschütterliche Autorität verlieh. Neben Barker sieht Brice aus wie ein Mädchen, aber Winnetou hat in Wahrheit die Hosen an, denn er dirigiert ein Heer, während Shatterhand ein Loner bleibt. Winnetou ist der Stratege, Shatterhand der Tatmensch. Lex Barker wurde populär, Pierre Brice ein Star. Nach Winnetous Tod in „Winnetou III“ musste er auferstehen – und wenn die Filme auch nicht mehr dasselbe waren, so boten sie doch Arbeit für jüngere Schauspieler wie Götz George. Bei drei Filmen stand der alte Silberfuchs Stewart Granger an der Seite von Brice. Mit Barker harmonierte der filigrane Franzose, doch mit dem Grobian Granger, der einst Grace Kelly beleidigt hatte, sprach er nur noch vor der Kamera.
Kein Häuptlingsschmuck – ihm genügt ein Stirnband
Der Tod Nscho-tschis und die Sterbeszene Winnetous sind Momente, die für immer bleiben als Ahnung von etwas Unheilvollem, etwas Kontingentem und Unbegreiflichem. Martin Böttchers Musik hat die Weite und Erhabenheit der Landschaft und die zehrende Tragik der Kolonisation des Westens. Die Schurken sind schurkisch, die Edlen sind edel, die Frauen sind fraulich, und an ihren Hüten sollt ihr sie erkennen. Winnetou trägt keinen Häuptlingsschmuck, ihm genügt ein Stirnband. Er ist der besonnene, der weise Mann. Und Pierre Brice, der nach gescheiteren Texten verlangt hatte, glaubte fortan, er sei genau dieser Mann. Von 1976 trat er bei den Karl-May-Festspielen in Elspe im Sauerland auf und wechselte in den 80er-Jahren zur Konkurrenz im holsteinischen Bad Segeberg, nachdem er mit einem eigenen Winnetou-Großprojekt im Wanderzelt gescheitert war. Das Freilicht-Theater war reiner Budenzauber, aber es war herrlich. Mit 62 Jahren stieg Brice aus dem Sattel.
Er trat in ein paar Filmen auf, im „Schloss am Wörthersee“ und in Fernsehschnulzen, und in den 90er-Jahren gab es „Winnetous Rückkehr“, eine unglückliche Kurzserie. Brice lebte mit seiner deutschen Frau Hella Krekel auf einem Landsitz bei Paris, schrieb Drehbücher und Romane, von denen kaum jemand wusste. Mit Bully Herbigs Klamauk-Persiflage „Der Schuh des Manitu“ geriet er 2001 noch einmal ins Rampenlicht, obwohl er nicht mitspielte und nicht amüsiert war. Herbig versicherte ihm, dieser Film sei eine Hommage, aber Brice war es egal: Das Erbe war ihm Heiligtum geworden. Erst wollte er nicht Winnetou sein, dann wollte er verzweifelt Winnetou bleiben.
Pierre Brice wurde nicht hinterrücks erschossen, er starb an einer Lungenentzündung, 86 Jahre alt, in den Armen seiner Frau. Es ist gut zu wissen, dass sie bei ihm war. In den ewigen Jagdgründen unserer Erinnerung wird er stets auf diesem Felsen stehen, das weite Land überblickend, und mit der Silberbüchse im Arm über das Recht und die Vernunft gebieten.
Er hatte DREI verdammte Starschnitte.