Mark E. Smith: Poet der spuckenden Wortkaskaden
The Fall waren keine „Post-Punk-Band“, sie waren etwas viel Größeres: Mark E. Smiths Rhythmusmaschine. Eine weder auf kommerziellen Erfolg noch auf Freundschaft oder Beständigkeit ausgelegte Kommune. Das einzig Beständige war ihr Chef, der einzigartige Rapper und Solitär.
Es ist schnell gesagt und oft den Toten nachgesagt: Da war einer einzigartig. Mark Edward Smith war es. Und er hätte darüber höhnisch gemeckert und sich ein bisschen geschmeichelt gefühlt. Es ist nämlich nicht so, dass Mark E. Smith, „Sänger der Post-Punk-Band The Fall“, wie es überall heißt, seine Einzigartigkeit nicht bemerkt hätte.
Denn Mark E. Smith war kein „Sänger“. Er war ein Beschwerdeführer, ein Poet der spuckenden Wortkaskaden, ein Nuschler und Grantler. Und The Fall waren keine „Post-Punk-Band“, sie waren Mark E. Smiths Rhythmusmaschine.
AmazonDie steht jetzt still. Und ihr tyrannischer Chef, der große nordenglische Gossendichter und Drei-Akkorde-König, ist tot. Lange schon sei er krank gewesen, seinen letzten Konzertauftritt bestritt er im Rollstuhl, am Ende versagten wohl die Atemwege.
Meinen Nachruf auf Mark E. Smith habe ich bereits vor vier Jahren geschrieben. Ich wusste es damals natürlich nicht. Die Aufgabe war, anlässlich des 20-jährigen Geburtstages des deutschen ROLLING STONE einen persönlichen Helden auszuwählen und ein paar Zeilen über ihn zu schreiben. Mein Held war Mark E. Smith, und wenn ich den Text heute lese, dann liest er sich wie ein Nachruf. Ich muss nur wenige Wörter ändern. Aus „er wird“ ein „er hat“ machen, zum Beispiel. Oder aus 30 34 Jahre.
Es ist fast 30 Jahre her, dass mich ein Bekannter in Frankfurt mit hinter die Bühne nahm, um Mark E. Smith zu treffen. Ich machte damals ein eigenes Fanzine, hatte einen Kassettenrekorder unter dem Arm und hoffte darauf, dass mir der dünne, grantelige Mann ein Interview geben würde. Er tat mehr als das. Er bot mir einen Orangensaft an. Er ließ keine der damals aktuellen Bands gelten außer Felt.
Und er war sehr nett. Ganz entgegen der Gerüchte. Menschen wie Mark E. Smith werden gerne als „schwierig“ beschrieben. Und natürlich: Er hat 66 Musiker in 40 Jahren verschlissen. Er war ungerecht, undiplomatisch, egoman. Er hat Bandmitglieder an ihren Geburtstagen gefeuert, hat sie aus dem Tourbus geschmissen, mit Bier überschüttet, in einem schwedischen Waldstück ausgesetzt. Er hat neue Bandmitglieder vom Tresen weg rekrutiert und manchmal erst auf der Bühne festgestellt, dass sie gar nicht spielen können.
Er bezeichnete Billy Bragg als belanglos und Paul Weller als politisch naiv. Er sagte: „Die Independent-Szene in England ist langweilig, Scheißplatten, Zeitverschwendung.“ Er war sichtlich stolz auf seine damalige Ehefrau und Gitarristin Brix, die versuchte, uns mit Nazi-Witzen zu erheitern.
Er war drei Mal verheiratet, Brix war seine erste Ehefrau, eine amerikanische Gitarristin und Sängerin, die The Fall eine neue Richtung gab. Auch das war möglich. Man konnte Mark E. Smith beeinflussen. In den Jahren mit Brix, zwischen 1983 und 1989, nahmen The Fall einige ihrer popsensibelsten Platten auf. Seine dritte Ehefrau, Elena Poulou, spielte Keyboards bei The Fall, hat eine ähnliche Statur wie Brix, ein vergleichbar starkes Selbstbewusstsein und manchmal traf man sie am Tresen einer Bar in Berlin, wo Elena eine Zeitlang lebte, ohne ihn, den Gewohnheitstrinker.
Mark E. Smith zählt zu den Furchtlosen in einer ängstlichen Welt. Mit seiner Band The Fall, die trotz gelegentlicher Wechsel seit fast 40 Jahren Bestand hat – und zwar in jeder Beziehung –, nahm er 30 Studio- und ebenso viele Live-Alben auf, ohne sich darum zu scheren, wer sie kaufen würde und mit welchem Label er sich anzulegen hätte. Die Veränderungen in Sound und Anliegen von The Fall sind minimal, sie ziehen sich ellipsenartig durch das Werk.
Zählte. Und es waren 42 Jahre und 32 Studioalben am Ende. Ausgerechnet eine Coverversion, „Victoria“ von The Kinks, wurde Falls größter kommerzieller Erfolg; die schönere Coverversion ist jedoch Smiths lakonische Interpretation von „Lost In Music“.
Am Abend, als sich die Todesnachricht verbreitete, hörte ich David Byrne bei einem Podiumsgespräch zu, der sagte, er wundere sich, dass heutzutage junge Menschen überhaupt noch Bands gründeten und Platten aufnähmen, es sei ja nichts mehr damit zu verdienen. Mark E. Smith hat das nie geschert. Er war Mitglied der Socialist Workers Party, aber das war nicht der Grund. Er nahm mit, was er bekam, aber er brauchte nicht viel. „Wir waren nicht U2“, hat Brix einmal gesagt. Und damit nicht nur die ökonomischen Verhältnisse gemeint. The Fall waren eine weder auf kommerziellen Erfolg noch auf Freundschaft oder Beständigkeit ausgelegte Kommune. Das einzig Beständige war ihr Chef, der einzigartige Rapper und Poet, ein Solitär.
Mal rumpelt eine Platte etwas gröber, mal lässt sich Smith fast zum Singen hinreißen; unter dem Strich bleibt ein unfassbar kohärentes Werk, bestehend aus sperrigen Songtiteln und einer in genöltem Mankunisch ewig fortgeschriebenen Beschwerde über die Verkommenheit, Blindheit, Verlogenheit der Welt. „You haven’t found it yet“, heißt es in einem der wenigen zarten Fall-Songs, was darauf deutet, wie Mark E. Smith die kommenden Jahre verbringen wird.
Und so hat er sie wohl auch verbracht.
Mark E. Smith verstarb am 24. Januar 2018. Er wurde 60 Jahre alt.