Zum Tod von Jeff Beck: Was haben uns Rocker über 75 noch zu sagen?
Die Trauerreden werden begleitet von Abrechnungserzählungen. Was einst „hot“ war, ist heute „miefige Männlichkeit“.
Eine der größten Fehlprognosen der Popgeschichte stammt aus dem Jahr 1965. Damals im Oktober veröffentlichte die bekannte Londoner Mod- und Rockband The Who ihren Welthit „My Generation“.
Darin heißt es im berühmten Stotter-Style des Gesangsduetts Daltrey/Townshend : „Why don’t you all f-fade away (talkin‘ ‚bout my generation). And don’t try to d-dig what we all s-s-say (talkin‘ ‚bout my generation)..”
Gemeint waren die damals Älteren, die Gralshüter der Prä-Popmusik, die alles, was nach Blues und Skiffle kam als oberflächlich und minderwertig erachteten.
Der „Generation“-Song gipfelt bekanntlich in der Zeile, dass man (also The Who und ihre aufbegehrenden Mod-Fans) lieber „TOD“ wäre, als „ALT“ zu werden.
The Who, heute im zentralen Bühnenteam so um die 78 Jahre alt, sind bekanntlich putzmunter und spielen im Frühsommer 2023 eine weitere Europatour. Mit Orchester; in der Berliner Waldbühne in Berlin zum Beispiel. Kein Wort mehr über „Yeah, I hope I die before I get old!“
Johnny Depp ist am Boden zerstört
Nun ist ein anderer 78jähriger Brite, der aus der gleichen UK-Sozialisation kommt wie die Kollegen von The Who, vor einigen Tagen verstorben: der Ausnahme-Gitarrist Jeff Beck.
Sogar die extrem komprimierte „Tagesschau in 100 Sekunden“ fand Platz, den Grammy-gekrönten „Ohne-Plektrum-Heiland“ zu würdigen. Mit den Pilzkopfträgern von The Yardbirds überführte Beck nach seinem Einstieg in die Band den eher Beat-orientierten Sound aus ihrer Frühzeit in eine komplexere Psychedelia-Variante.
Man höre etwa der Song „Over, Under, Sideways, Down“. Eine flotte Shuffle-Komposition, allerdings mit Gniedel- und „Fuzz“-Ansätzen. Ein Ideenfeuerwerk auf 2:31 Minuten Spielzeit. Jeff Beck war damals 22 Jahre alt. Bestes Alter für die Nach-und-die-Sintflut-Saga von „My Generation“.
Wenn sein Bewunderer und Spät-Mitstreiter Johnny Depp (59) nun über seine sozialen Kanäle mitteilt, dass er am Krankenbett von Beck gewacht hätte und von seinem Tod „völlig am Boden zerstört“ wäre, dann ist das ein ehrlich gemeinter Gruß an einen Freund und großen Musiker.
Die Ära des „Raufen und Saufen“, die Jeff Beck ohne Zweifel geprägt hat, reizte den gut zwanzig Jahre jüngeren Krawall-Romantiker Johnny Depp. Ach weisste, damals, wo der Rock´n`Roll noch krachen durfte….
Zusammen mit Johnny Depp hatte Beck als letzte große Veröffentlichung im letzten Jahr noch das Album „18“ rausgestellt. Ein solide nach früher gewandtes Spätwerk. Warum auch nicht? Mit über 75 muss sich kein Sixties-Altrocker mehr in Trap, Grime, Wasserleichen-Electro oder ähnlichen neumodischen Stilen versuchen. Monate später verstarb er.
Was haben uns die „alten, weißen Männer“ noch zu sagen?
Parallel zur selbstverständlichen Contenance plus Würdigung des Lebenswerkes bei Todes- und Trauerfällen wie aktuell bei Beck geht in der Kulturkritik die Debatte um, was uns die lebenden „alten, weißen Männer“ noch zu sagen haben. Ein mehr oder minder heftig geführter Diskurs, der auch Springsteen oder die Rolling Stones nicht ausnimmt. Mit unterschiedlicher Vehemenz versteht sich.
Beispiel Iggy Pop. Auch er lockere 75, wird für sein neues Album mancherorts „ein überholtes Bild miefiger Männlichkeit“ attestiert. Mal abgesehen von der schmissigen Alliteration wird hier die Woke-Maschine angeworfen, um ganz im Sinne von The Who 1965 den „My Generation“-Maßstab anzulegen. Ein Altpunkrocker, der sich für sein renitentes Nicht-Aufhören verantworten muss. Schlimmer Opa oder ewig wilde Legende?
Was wird man den heutigen The Who zurufen, wenn sie demnächst wieder unterwegs sind? Oder was wird sich ex-Zeppelin Robert Plant (74) anhören müssen, wenn er demnächst noch einmal durch die Lande zieht? Er, wenn auch persönlich „unschuldig“ war ja schließlich seinerzeit live und direkt dabei.
Im Standardwerk „Waiting For The Sun” von Autor Barney Hoskins ist auf Seite 263 (in der Hardcover-Originalausgabe) ein schwarz-weißes Foto zu besichtigen, dass Led Zep im Los-Angeles-Club „English Disco“ von Impressario Rodney Bingenheimer zeigt. Auf den Schößen der UK-Bluesrocker: Junge Mädchen, sichtlich unter 18.
Das Londoner Boulevardblatt „Daily Mail“ brachte 2021 mit Verweis auf ein Erinnerungsbuch aus jener Ära eine Story, welche das „Junge-Mädchen-Faible“ von Jimmy Page thematisierte. Darin heißt es über einen Abend mit der damals 14-jährigen Lori Mattix:
„Die Entscheidung wurde ihr jedoch aus der Hand genommen, da sie, wie Mattix behauptet, später von den beiden Managern von Led Zeppelin in eine Limousine gedrängt, mit Gewalt bedroht wurde, falls sie sich wehrte, und verängstigt zurück zum Hyatt House gefahren wurde, um sich mit Page in seiner Suite zu treffen.
Und weiter:
Sie sagt heute, dass es für sie als Teenager, die von ihrem `Rock-Gott-Prinzen` verzaubert war, Liebe auf den ersten Blick war, und ergänzt: „Er war 29, ich war 14. Es war kein Geheimnis, dass er auf junge Mädchen stand..“
Es ist noch abzusehen, ob sich die gärede Debatte im weitesten Sinne darauf verständigen kann, dass (lapidar ausgedrückt…) „es halt andere Zeiten waren, damals“.
Oder ob die Generalabrechnung mit den ergrauten männlichen Helden weiter an Fahrt aufnimmt….