Erinnerung an Andy Fletcher: Der unterschätzte Ruhepol
Andrew Fletcher war immer der Vernünftige bei Depeche Mode. Stets hatte er klare Worte parat.
Geboren am 8. Juli 1961 in Nottingham, lernte Andrew Fletcher schon mit elf Jahren in Basildon Martin Gore kennen, die beiden wurden beste Freunde. Dave Gahan hing auch in der Gegend herum, aber vorerst mehr mit anderen Leuten.
Ende der 70er-Jahre gründete Fletch mit seinem Schulkameraden Vince Clarke die Band No Romance In China und spielte dort Bass. 1980 stieß Martin Gore dazu, sie nannten sich jetzt Composition Of Sound und konzentrierten sich auf Synthesizer. Das sollte Fletchers Platz bleiben, auch als ein Jahr später Dave Gahan als Sänger hinzukam und die Band fortan Depeche Mode hieß.
Der Mann im Schatten
Clarke ging, Alan Wilder kam und ging, Gahan wurde drogenabhängig und starb fast, Gore zog nach Kalifornien, alle beruhigten sich und schienen sich immer besser zu verstehen. Die Karriere von Depeche Mode ist gut dokumentiert, doch Andy Fletcher blieb ein kleines Rätsel, der Mann im Schatten.
41 Jahre lang war er der Ruhepol bei Depeche Mode, manche sagten: der Buchhalter. Er stand stoisch hinter den Keyboards, während die anderen die Show machten. Und er fand das sehr in Ordnung so. Als ich 2001 Depeche Mode auf Tour besuchte, wirkte er mit Abstand am entspanntesten – und ordnete sich selbst so ein: „Dave ist diese eher machomäßige Figur, Martin der feminine Gitarrist, und ich bin der normale Typ von der Straße. Wir repräsentieren damit eigentlich jeden. Wir sind ja eine der ersten Boybands gewesen.“
Es war überraschend, wie unglamourös es hinter der Bühne bei einer der größten Popbands der Welt zuging, doch dafür hatte Fletch, der sich gern um die geschäftlichen Belange kümmerte, eine einfache Erklärung: Sie wollten gar kein Klimbim. „Es gibt eigentlich nichts, ohne das wir nicht zurechtkämen. Außerdem ist es ja so: Wenn man Blumen will, tolle Deko und all solchen Kram – das bezahlt man im Grunde alles selbst!“
Klare Worte
Während Gahan und Gore die Lage gern auch mal etwas schönredeten, wenn sie sich gerade nicht so gut verstanden, fand Fletch immer deutliche Worte. Die „Faith And Devotion“-Tournee 1993 sei für ihn „die Hölle“ gewesen, erzählte er einmal, und er wusste es nach dem Drogenentzug Gahans 1996 stets sehr zu schätzen, dass bei Depeche Mode so viel Verlässlichkeit eingekehrt war. Trotzdem tat er gleich gar nicht so, als wäre dieses Trio ein Kumpelverein: „Mit Dave rede ich eigentlich nur, wenn es um die Band geht. Das war von Anfang an so.“ Nebenbei eröffnete Fletch 2002 sein eigenes kleines Label Toast Hawaii, deren einzige Band bis 2006 die Elektropopper Client blieben, und trat hin und wieder als DJ auf.
Als Gahan begann, auch noch Songs zu schreiben, waren er und Gore umso mehr der Dreh- und Angelpunkt von Depeche Mode, und doch brauchten sie Fletcher. Es ist nicht entscheidend, dass er musikalisch vielleicht nicht so viel beitrug – er war nicht nur ein Gründungsmitglied, sondern menschlich ein essenzieller Teil der Band. Sie ist ohne ihn als ausgleichendes Element zwischen den beiden Alphatypen kaum vorstellbar, ohne seine Bescheidenheit und ironische Distanz zu all dem Wahnsinn, den das Superstardasein mit sich bringt.
„Ich bekomme nicht die selbe Aufmerksamkeit“
„Meine Rolle in dieser Band ist es, im Hintergrund zu stehen“, erzählte er 2005. „Dave ist der Sänger, Martin ist der Songwriter. I’m the backroom boy. Mir ist klar, dass die beiden anderen den Fans wichtiger sind, sie sind die Helden. Ich bekomme nicht dieselbe Aufmerksamkeit. Das ist mein Schicksal. Da geht es mir wie Larry Mullen oder Adam Clayton, die ebenfalls immer im Schatten von Bono und The Edge stehen. Aber die Chemie der Band stimmt trotzdem nur, wenn alle Mitglieder zusammen sind.“
Am 26. Mai 2022 ist Andy Fletcher gestorben. Zwei Drittel seines Lebens stellte er in den Dienst von Depeche Mode. Er war – in diesem Geschäft auch eher eine Seltenheit – seit mehr als 40 Jahren mit derselben Frau zusammen und verheiratet, die beiden hatten zwei Kinder. „Oft kommt mir unsere Karriere wie ein Traum vor. Und ich habe Angst aufzuwachen und plötzlich einen ganz normalen Job machen zu müssen“, sagte er vor einigen Jahre. Darum muss er sich keine Sorgen mehr machen. Fletchs Traum bleibt unantastbar.