Zum Geburtstag von Tom Waits: Der romantische Heuler
Tom Waits, der singende Beat-Poet, der Surrealist, der Chronist der Unterseite: Die Welt des kalifornischen Songschreibers ist von Sonderlingen, Säufern, Huren und allen Arten von Verlierern bevölkert.
Tom Waits verrät seine Charaktere nicht, sondern gibt ihnen vielmehr Stolz und Wahrhaftigkeit. Ganze Alben in dieser Karriere sind gekonnte Milieustudien, die aber im Lauf der Jahrzehnte immer universellere Gefühle zum Vorschein brachten. Misery is the river of the world, wissen Waits’ Leute und machen das Beste draus.
Waits, dessen durchgedrehte Musik aus Blues, Vaudeville, Zirkuswalzern und Klanginstallationen besteht und von seinem Vorbild Don Van Vliet aka Captain Beefheart geprägt wurde, versteht sich als Surrealist: In der Verfremdung und Entstellung wird deutlich, was sonst nicht gesehen werden kann. Mehrere Stimmen hat sich Waits so im Lauf seiner Karriere erarbeitet – unter anderem den miesen Faucher, den monströsen Krakeeler und den romantischen Heuler.
In den vergangenen 25 Jahren erschienen drei reguläre Werke: „Mule Variations“ (1999) wird von dem Künstler ein kleines bisschen kritisch gesehen, weil es in einem normalen Studio entstand und etwas zu kontrolliert wirkt; eines der besten Alben wurde es wegen der konzisen Sammlung hervorragender Songs aber dennoch. „Real Gone“ von 2004 ist eine hysterische und völlig zerschossene Platte, mit der Waits wie in einer Selbstvergewisserung seine alte Knochensägenmusik revitalisierte. Und „Bad As Me“ (2011) ist ein Wunderwerk von einem Album, auf dem Waits alles zeigt, was er kann, und ein Ensemble aus Hochkarätern großartig intuitiv spielt. Auch fabelhaft sind „Alice“ und „Blood Money“ (beide 2002), deren Lieder für zwei Theaterstücke von Robert Wilson entstanden sind, sowie ein Dreifachalbum mit aussortieren Stücken namens „Orphans: Brawlers, Bawlers & Bastards“.
Tom Waits führt auch Journalisten in die Irre
Weil Waits eine Kunstfigur ist, die man sich in der realen Welt nur schwer vorstellen kann, ist man vor den raren Audienzen ziemlich eingeschüchtert. Nicht wenige Journalisten sind hier schon gescheitert: Allzu standardisierte Fragen werden zur Strafe mit abwegigen, scheinbar zusammenhangslosen Assoziationsketten beantwortet, Waits spielt Verstecken. Doch die Verweigerung ist in Wahrheit Kunstsinnigkeit: Waits sucht im Gespräch dasselbe wie in seiner Musik – eine Art Rhythmus, ein gemeinsames Spiel, einen inspirierenden Moment. Das lineare Gespräch taugt nichts, ist zu durchschaubar, offensichtlich, langweilig.
Eine Lieblingserinnerung: der Ort des Interviews zu „Real Gone“ (2004). Waits wartet in einer Kaschemme eine gute Stunde außerhalb von San Francisco, an einer Landstraße im Sonoma County, wo er mit seiner Ehefrau und Co-Komponistin Kathleen Brennan lebt. Das Lokal wird von einem zahnlosen deutschen Auswanderer geführt (an der Wand Hirschgeweih und Budweiser-Plakate) und wirkt wegen seiner skurrilen Schäbigkeit, als wäre es die Kulisse eines Waits-Songs. Waits redet von obertonsingenden ozeanischen Eingeborenen und ringt um Worte, um seinen künstlerischen Idealzustand zu beschreiben: eine Art Bewusstlosigkeit, ein intuitives Grapschen. Der zahnlose Wirt führt uns in die Küche, wo er einen fettverschmierten, von Christo handsignierten Bildband aufbewahrt: 1976 baute der Verpackungskünstler die 40 km lange Installation „Running Fence“ mitten durch seinen Garten in Sonoma County. Die Kunst und das fleckige Leben sind bei Waits immer nah beieinander.
Die Gespräche mit Tom Waits sind schlicht ein Privileg
Bald jeder Satz trieft vor Kreativität und Inspiration, die aus Waits herauszulaufen scheint, als wäre er als Kind in einen Topf mit Zaubertrank gefallen. Die herrlichen Lügengeschichten – in seinem Garten haben Breschnew und Reagan den Kalten Krieg verhandelt, er kann Hühner hypnotisieren und hat als Kind eine Schere verschluckt (deshalb die zerkratzte Stimme) – gehören zu den Interviews, die zu einem guten Teil Stand-up-Performances sind, in denen der Frager seine Rolle möglichst gut spielen muss. Man will die absurden Anekdoten hören, weil sie witzig sind und weil Waits seine sonderbar schräge Welt durch sie erkennbar macht. Die Wahrheit, sagt der Künstler, werde weitgehend überschätzt. Doch diese Gespräche sind keine Show – der Performer und der Privatmann sind nicht streng getrennt, die Grenze verläuft fließend.
Mitunter bricht die Realität herein, zum Beispiel beim Treffen 2011: Ein Nachbar kommt an den Tisch und redet über einen Satz neuer Reifen. Kathleen ist am Telefon, weil Waits zu spät zum Essen kommt. Jetzt aber schnell. Waits, der immer auch an seinem Gegenüber interessiert ist, malt auf eine Serviette eine Art Beatnik-Trail durch San Francisco, wo der Journalist den nächsten Tag verbringen wird. Sehenswürdigkeiten: der City Light Bookstore, legendärer Treffpunkt der Beat Poets. Geschichtsträchtige Bars und Cafés wie Tosca, Trieste und Specs’, allesamt im Stadtteil North Beach. Und ein obskures Geschäft in Chinatown, in dem es laut Waits nur Dinge gibt, von denen man nicht weiß, wofür sie gut sind.
Natürlich gibt es den Laden nicht.
Einer der besten Songs der 80er: „16 Shells From A Thirty-Ought 6“ von Tom Waits
In Waits‘ Augen ein Field-Holler – also ein Song, geschrieben für die Untermalung der harten Arbeit im Feld, oft gesungen von angeketteten Gefangenen, den Chain-Gangs. Der Meister erzählt die seltsame Geschichte eines Farmers, der eine Krähe einfängt, sie in einer alten Washburn-Gitarre einsperrt und den Vogel verrückt macht, in dem er wild die Saiten schlägt. 1983, als das wunderliche Album „Swordfishtrombones“ erschien, waren das noch ganz neue Klänge: Waits ließ sein besoffenes Klavier allein und trollte sich fortan auf dem staubigen Schrottplatz.