Zukunftsmusik für den Hausgebrauch
Der ONLINE-HANDEL mit CDs hat in Deutschland Einzug gehalten. Neue Anbieter sprießen aus dem Boden und versuchen sich frühzeitig zu positionieren. Doch der Konsument ist noch spröde.
Das Titelbild mochte sich so gar nicht in die Galerie üblicher Titelbilder einfügen. Zur Jahrtausendwende prangte auf dem Cover von MBI („Music Business International“), einem exklusiv höheren Management-Zirkeln vorbehaltenen Blatt, ausnahmsweise kein Kopf eines Top Executives. Sondern, schlicht und ergreifend – ein Mobiltelefon.“Ist das die Zukunft der Musikindustrie?“ lautete die Fragestellung, die in fetten Lettern die Frontal-Ansage abrundete. Das britische Branchenblatt hatte die Sache auf den Punkt gebracht Auch wenn in dieser Inszenierung für viele Leser eine unterschwellige Bedrohung mitschwang, konnten sich auch die in Ehren ergrauten Musikbiz-Veteranen der Realität nicht mehr verschließen. Die Revolution hat gesiegt Auch wenn sie längst noch nicht alle Bastionen erobert hat – oder haben Sie schon jemanden gesehen, der Madonna am Handy gelauscht hätte? -, steckt in jedem Traditionalisten bereits der potenzielle Überläufer.
Am Rande bemerkt: Der Mobilfunkhersteller Ericsson testet längst die drahtlose Übertragung von Musikdateien auf Abspielgeräte. Der erste Player zum Anstecken ans Handy ist bereits erhältlich, das schicke MP3-Tool ab Uhr am Handgelenk (Casio) ebenfalls. Die dritte Hardware-Generation soll mittels UMTS-Technologie CD-Qualität in Sekundenschnelle abrufbar machen.
Welcome to the Pleasure Dome.
Eine kleine Bestandsaufnahme anno 2000: Neue und vielen noch kryptische Begriffe wie Online-Distribution, SDMI, MOD, CDR, DVD, Streaming usw. sind in den Medien omnipräsent. Zur traditionellen Schallplatte, die nur mehr eine Außenseiterrolle spielt, sowie zur CD – dem ersten, gerade mal 20 Jahre alten digitalen Datenträger mit Massenverbreitung – gesellen sich MP3-Player, Web-Radio und der PC als Heimstudio und Ersatz für die HiFi-Anlage. Sowie eine rasant wachsende Zahl von Online-Angeboten und Web-Distributoren.
Das Medium als Botschaft also? Nicht ganz. „Content is king!“ lautet der Schlachtruf der E-Commerce-Gemeinde. Will sagen: Ohne Inhalte sind die schönsten Vertriebs-Utopien auch nicht mehr als leere Gefäße. Dass der Web-Frischling AOL den alteingesessenen Medienkoloss Time-Warner schluckt und, quasi als Dessert, noch EMI samt Virgin dazu, passt gut ins Bild. Einige Elefantenhochzeiten dürften noch bevorstehen. Wobei der „Content“ stets das Goldene Kalb ist Keine Frage: Die Produktion, Distribution, Kommunikation und Rezeption populärer Musik im digitalen Zeitalter unterliegt einem tiefgreifenden Wandel. Und mit ihr die Popkultur, seit jeher ein Brennspiegel des Zeitgeists. Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff spricht von einem „Paradigmenwechsel“, der Schweizer Entrepreneur und Yello-Sänger Dieter Meier von der „größten Revolution seit der Erfindung der Schallplatte“.
Für die Tonträger-Industrie ist das digitale Erdbeben eine Herausforderung und potenzielle Gefahr zugleich: Allein in Deutschland gingen anno ’99 durch CD-Brennerei und illegale Downloads schätzungsweise 220 Millionen Mark verloren. Dennoch sehen Musiker und fortschrittsgläubige Fans in der neuen Technologie bislang ungeahnte Freiheiten und schier grenzenlose Möglichkeiten. Zurecht? Bringen neue Formen auch neue Inhalte hervor? Und lassen sich die drängenden Fragen zum Thema Urheberrechte und zur grundsätzlichen Einbindung in das Wirtschaftssystem in absehbarer Zeit befriedigend lösen? Selbst Jeffrey Bezos, der Gründer des größten Online-Supermarkts „amazon.com“, hat darauf keine definitive Antwort: „Was wir erleben werden, ist eine Periode gewaltiger Experimente.“
Ein Business-Minenfeld, das Experten rotieren lässt, allerdings einem noch dazu dem wichtigsten – Wesen im Pop-Universum herzlich egal ist: dem viel zitierten Durchschnittskonsumenten. Der ist pragmatisch allein an der Beantwortung von drei Fragen interessiert. Erstens: Wo gibt es gute Musik? Zweitens: Was kostet sie? Und drittens: Wie komme ich an sie ran?
Gute Fragen. Der bereits etablierte Versandhandel hat das Internet bereits integriert und nutzt Multimedia und Interaktivität zu einer möglichst befriedigenden Antwort: Redaktionelle Tipps und Beiträge, Kundenbewertungen, Hörproben, Coverabbildungen, e-mail-Newsletter und sonstige Zusatz-Infos ergeben im Idealfall einen Service, den selbst der Lieblings-Plattendealer ums Eck nicht immer einlösen kann. Kann die traditionelle „Brick 8C Mortar“-Bastion, wie die Branchenbibel „Billboard“ den stationären Fachhandel bezeichnet, diesem Mehr-Wert noch etwas entgegensetzen?
Amke Block, Pressechefin des Hamburger Online-Anbieters „mov.a.bit“ und Spezialistin für „C-Commerce“ (das „C“ steht für Content, also schlicht Inhalt): „Die Kernkompetenz Kundenkontakt liegt nach wie vor beim stationären Handel. Dieser kann, wenn er bereit ist, Online-Systeme in sein Angebot zu integrieren, diese Kompetenz auch verteidigen.‘ 4 Malt man sich diesen Plattenladen der Zukunft aus, so wäre er ein Internet-Cafe mit angeschlossener Bühne und herumwieselnden Fachverkäufern, die einem beim Surfen durch den Online-Dschungel heisse Web-Adressen und persönliche Empfehlungen zuflüstern.
Was aber, wenn der „Point Of Säle“ doch das eigene Wohnzimmer sein soll? Für den Erfolg dieses Modells spricht einiges, denn der durchschnittliche Online-User entspricht, so Amke Block, „in vielen Merkmalen dem Typus des .Nichtkäufers‘, der eigentlich musikaffin ist, aber den Weg in den Tonträgerhandel seit langer Zeit scheut: überwiegend männlich, 30 Jahre und älter, gebildet und gut verdienend. Dieser potenzielle Konsument kann über Musikmarketing im Internet erreicht und zum Musikkauf angereizt werden.“
Allein: Die Reize sind bislang eher schwach. Selbst die Jubelperser des JE-Commerce“, des neumodernen Elektrofachhandels also, zeigen sich ernüchtert. Die PC-Illustrierte „Tomorrow“ testete systematisch CD-Händler im Internet und konstatierte im Regelfall lange Lieferzeiten und unbefriedigenden Service. Moniert wurden beispielsweise absurde Teillieferungen, Wartezeiten bis zu 16 Werktage, überhöhte Versandgebühren und umständliche Zahlungsmodalitäten. „Bezahlen per Rechnung war nur selten möglich, Kreditkarten und Bankeinzug dominierten – also genau die Möglichkeiten, die vielen Surfern noch Angst vor Missbrauch einjagen.“
Schonungsloses „Tomorrow“-Fazit: „Nur für selbstquälerisch veranlagte Personen ist dieser musikalische Einkaufsbummel eine Freude. Es gibt einfach zu viele Anbietet, die glauben, eine ordentlich programmierte Datenbank mit Suchmaschine reiche völlig aus. Doch in puncto schneller Abwicklung oder Wissen über Musik regiert Graf Großmaul zu oft König Keine Ahnung“. Ausnahmen bestätigen die RegeL Und Kinderkrankheiten muss man selbst digitalen Utopien zugestehen. Selbst testen, lautet die Devise.