Zuhälter des Rock’n’Roll
In aller Seelenruhe dreht sich Alex Turner eine Zigarette, die er ordnungsgemäß draußen inhaliert. Auch Rockstars halten sich längst an Rauchverbote. Keine Spur von Aufmüpfigkeit. Was ist aus dem Punk-Gestus der frühen Arctic Monkeys geworden? Im späteren Verlauf des Gesprächs wird Turner darauf indirekt eingehen: „Wenn du mich fragst, ob diese Band ohne Punkmusik existieren würde, wäre meine Antwort: wahrscheinlich nicht. Es ist Teil unserer DNA. Aber was bedeutet das im Jahr 2013 schon noch?“
Ein paar Posen pubertärer Arroganz haben die Arctic Monkeys aber immer noch drauf, auch wenn die vier mittlerweile auf die 30 zugehen. Turner redet zögerlich, beinahe gequält, dass man nicht genau weiß, ob das jetzt die arschcoolste Masche seit James Dean ist oder einfach nur Unsicherheit. Oder beides. Während Schlagzeuger Matt Helders über die komplette Dauer des Interviews auf seinem Smartphone herumdaddelt und nur ab und zu ein zustimmendes „Yes“ murmelt. Beide wirken so übermüdet und abgenervt, als hätten sie drei Tage ununterbrochen in einer Fabrikhalle in Bangladesch Kleidungsstücke für einen europäischen Modekonzern genäht.
Sie sitzen in der Lounge eines Arthaus-Edelkinos, eine Etage drüber werden Designerklamotten verkauft, ein paar Straßen weiter -in Sichtweite – thront das Gebäude des London College Of Fashion. Wir befinden uns im hippen Londoner Ortsteil Shoreditch, wo Turner mit seinem neuen Look -Joe-Strummer-Gedächtnis-Tolle, Lederjacke, skinny Jeans wie Dylan ’66 – locker als Retro-Fashion-Ikone durchgehen könnte, mit deren Konterfei sich T-Shirts bedrucken ließen. Die Art, die im oberen Stockwerk angeboten wird. Sein Stilwechsel gehe jedoch auf ganz andere Vorbilder zurück: Vor zwei Jahren sei er nämlich auf ein Bild von Elvis gestoßen, das ihm besonders gut gefallen habe, sei in den nächstbesten Friseursalon in Houston, Texas, wo sich die Arctic Monkeys gerade aufhielten, gestürmt und habe einer Friseuse bedeutet, ihm ebenjenen „King“-Haarschnitt zu verpassen, der ihm jedoch viel häufiger Vergleiche mit dem Clash-Sänger oder Gene Vincent einträgt.
Der Rest der Band läuft immer häufiger wie eine Clique von halbstarken Zuhältern herum, die auch als Morrisseys Backing-Band anheuern könnten, wenn sie nicht gerade eine Messerstecherei anzetteln. Gossen-Chic und Rockabilly-Attitüde.
„Wir hatten letzte Nacht einen anstrengenden Videodreh“, entschuldigt sich Turner für seine träge Verfassung. Mehr wird nicht verraten. Doch braucht es keine allzu große Fantasie, um sich auszumalen, dass die vergangene Nacht nicht nur aus Verpflichtungen bestand. Betrachtet man nun diese beiden in Style gegossenen Typen, kann man leicht vergessen, dass sie zu einer der beständigsten Rockbands der letzten zehn Jahre gehören, die gerade erst ihr fünftes und bestes Album, „AM“, fertiggestellt haben.
Einst als Brit-Hoffnung gefeiert, wanderte das Quartett aus Sheffield bereits 2009 nach Kalifornien aus. Dort fanden die Arctic Monkeys Josh Homme, Stoner Rock, Los Angeles, Zerstreuung. Turner fährt jetzt einen Cadillac, Helders berichtet stolz von seinem Chevrolet Camaro, Baujahr 1969. Leben im Rockstar-Klischee. Nach London fliegen sie nur noch für Konzerte und Termine wie diesen. Hinter uns wuseln die Leute vom Label, Fotografen installieren Lichter und Kameras. Turner hat es sich in der Kellerbar bequem gemacht, einen Schuh abgestreift, scheinbar ungerührt von der Hektik um ihn herum.
Die Arctic Monkeys gelten inzwischen als große Nummer, haben kürzlich beim Hurricane und beim Glastonbury Festival gespielt. Für solche Riesenveranstaltungen werden sie sogar als Headliner gebucht -eine Rolle, die die Band noch nicht ganz auszufüllen vermag. Denn ihre teils steifen Auftritte zeigen, dass sie noch nicht die Rampensäue sind, als die man sie gern vermarkten würde. Und doch beteuert Turner, auf Tour zu sein, fühle sich wie „zu Hause“ an. Andererseits merkt man ihm den Trotz an, die Arena-Dimensionen nicht nur U2 und Coldplay überlassen zu wollen. „Es gibt zwar in dem Bereich nicht viele Bands, die mir gefallen, aber das bedeutet nicht, dass man keinen Weg finden kann, um gut und zugleich erfolgreich zu sein. Eine Arctic-Monkeys-360°-Tour könnte mir gefallen.“ Ein Witz, den Turner nur halb lustig meint. Aber was wäre, wenn er dieses Ziel tatsächlich ernsthaft verfolgte? Müssten er sich dann eingestehen, dass es noch in weiter Entfernung liegt?
Voriges Jahr fuhr die Band erst mal lange, kräftezehrende Highways, um sich das Interesse des mit Popkultur überfütterten US-Publikums zu erspielen -als Vorgruppe der Black Keys. „Diese Erfahrung hat die Messlatte für uns als Live-Act noch einmal höher geschraubt. Das war wirklich eine Herausforderung: jeden Abend 19:30 Uhr auf die Bühne zu gehen und die Leute von ihrem Popcorn und vom SMS-Tippen abzulenken“, sagt Turner, der sich als Sänger die Früchte seiner Arbeit noch ganz nach selbstloser Springsteen-Ärmel-hoch-Mentalität verdienen will:“Wenn sich einige nicht auf unsere Musik einlassen wollen, versuche ich ihre Meinung zu ändern. Dabei spielt es keine Rolle, was mir gefällt. Die Konzerte sind schließlich nicht für uns, sondern für jedermann.“
Manchmal fasst er dann vor lauter Erschöpfung zwei Wochen lang keine Gitarre an, außer wenn sie einen Auftritt haben. Zudem sei das eigene Urteilsvermögen auf Tour eh nicht das beste. Schlechte Voraussetzungen, um neue Songs zu schreiben oder ein neues Album zu forcieren. Wenn sie in solchen stressigen Phasen einen Wunsch frei hätten? Bei der Frage schaut sogar Helders ausnahmsweise von seinem hell erleuchteten Display auf und übernimmt das Wort: „Ich würde mal wieder richtig ausschlafen.“ Danach drückt er wieder geräuschlos Tasten.
Doch die Arctic Monkeys haben meist gut auf sich acht gegeben, sich nicht von der britischen Hype-Maschinerie verbraten lassen und stets im richtigen Augenblick den richtigen Schritt gemacht, sich auch mal zurückgenommen, um dann wieder mit musikalischer Relevanz, sprich einer guten Rockplatte zu überzeugen. Obwohl sie erst 2006 mit ihrem Debüt „Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not“ als Nachzügler der Gitarrenband-Welle auf den Plan traten, sind sie bis heute eine der wenigen Gruppen des vergangenen Jahrzehnts, die dieses überlebt haben, ohne sich zu wiederholen, ohne auszubrennen. „Als wir zum ersten Mal nach Kalifornien gingen, um mit Josh aufzunehmen, öffneten sich für uns viele Türen. Viele rieten uns damals ab von diesem Schritt. Aber zumindest sind wir so nicht in die Falle getappt und eine von diesen langweiligen Indieoder Brit-Rock-Bands geworden“, erklärt Turner. Keine geringe Leistung in Zeiten, in denen Gitarrenrockmusik ohne maßgeblich neue Impulse den Fortschritten auf zunehmend körper-und seelenlosen Elektro-Pop-Gebieten hinterherhechelt. Und die, die noch immer gut im Geschäft sind, wirken oft wie abgehalfterte Helden, für die man sich insgeheim schämt. Kings Of Leon sind zu einer Stadion-Rockband mutiert, die noch einmal sämtliche Episoden einschlägigen RockstarLifestyles, einschließlich Drogenabstürzen, Allüren und anschließender Läuterung, durchexerziert. The Strokes und Franz Ferdinand kündigen mit jedem Album neue Experimente an, die dann doch meist klanglos verpuffen. Steine, die von den Witterungsbedingungen der Pop-Industrie geformt werden. Sympathischer ist da fast schon, einfach immer weiter zu machen. Stoisch, unbeirrt dem eigenen Weg folgend, wie Queens Of The Stone Age. Oder sich gleich ganz der Selbstwiederholung zu ergeben wie die unverwüstlichen Hives. Und Britpop? Feiert sich seit Jahren in tapferen Selbstbeweihräucherungszeremonien.
Die Arctic Monkeys haben sich gegen all das erfolgreich gewehrt. Mit dem unbedingten Drang, Neues in ihren eigenen Stil zu integrieren. „Uns sind noch nie die Ideen ausgegangen“, prahlt Turner. „Wir fragen uns nach jedem Album:’Welche Richtung schlagen wir jetzt ein? Wie können wir uns weiterentwickeln?'“ Und er meint: auch gegen Widerstände. „Die meisten Bands, die sich verändern wollen, sagen doch als Erstes: Lass uns den verdammten Synthesizer rausholen! Wir haben das nicht gemacht, weil wir definitiv eine Rock’n’Roll-Band sind.“
Ein Statement, dass die Arctic Monkeys auch auf „AM“ wieder unmissverständlich machen. Beatles, Black Sabbath, Captain Beyond, The Groundhogs, Led Zeppelin, Iggy Pop, T-Rex, Sparks, Queens Of The Stone Age, White Stripes, Glam Rock, Heavy Metal, Stoner Rock, Punk: Noch nie hat sich diese Band so traumwandlerisch sicher zwischen den Stilen bewegt, sie regelrecht unterworfen, aufgedonnert und miteinander verschmolzen. Und hat dabei in jeder Sekunde nach sich selbst geklungen. „Ich leih mir gern Bestandteile aus verschiedenen Genres, die eine chemische Reaktion miteinander eingehen“, erklärt Turner ein wenig professoral. Recht hat er trotzdem. Zustande kommt die explosive Mischung jedoch erst durch einige modernere Zutaten. Songs wie die Single „R U Mine?“ verzahnen wummernde Rock-Grooves mit Disco, HipHop und dem, was Turner „R’n’B-Cosmic-Opera“ nennt, wohlgemerkt Contemporary R’n’B. „Wir können ja nicht ständig nur The Stooges hören. Wir wollen unser Spektrum erweitern. Unsere Geschmäcker sind sehr verschieden. Ich will nicht sagen: eklektisch. Das hört sich so ziellos an. Ich muss bei dem Wort immer an Bongos denken. Kein Ahnung, warum. Was ich meine, ist jedenfalls: Man sollte keine Angst haben, sich bei den Sachen zu bedienen, mit denen man täglich lebt.“ Die Songs seien ihnen diesmal von Orten zugeflogen, wo sie sich zwar einmal wohlgefühlt, aber selbst noch nie ausprobiert hatten. Orte, wo sie zur Schule gingen und mit Freunden Songs gut fanden, die in den Charts liefen und die man später oft als „cheesy“ verlacht. Von Orten, an denen man sich zum ersten Mal verliebt in ein Mädchen oder in eine Melodie, die einen ewig begleiten, im Unterbewusstsein schlummern und eine Illusion von Aufbruch füttern, in der es noch immer cooler ist, sich in Texas eine Elvis-Tolle frisieren zu lassen oder mit Rock-Verweisen um sich zu schmeißen, als blind dem nächsten mega-angesagten Grime-oder 2-Step-Trend zu folgen.
Was nicht heißen soll, dass die Arctic Monkeys je Angst vor Veränderung gezeigt hätten. Im Gegenteil: Schon auf ihrem dritten Album, „Humbug“, schienen sie die überwunden zu haben und waren in die kalifornische Wüste ausgezogen – die Entdeckung Nordamerikas als niemals versiegende Inspirationsquelle. Zuvor hatten sie zwei Alben rasch hintereinander veröffentlicht. Sie trugen Mod-Frisuren, gewannen Brit-Awards, sangen Songs über das schwierige Erwachsenwerden auf dem Dancefloor. Kurz: Sie erfüllten sämtliche „next big thing“-Kriterien des „NME“.“Das war eine chaotische Zeit“, erinnert sich Turner, „aber wenn man diesen Sturm überstanden hat, fühlt man sich unantastbar.“ Vorläufig befreit vom Erfolgsdruck, befriedigte er danach erst mal seine Retromanie und gründete das Nebenprojekt The Last Shadow Puppets, wo er ich als Songwriter in psychedelische und symphonische Sphären vorwagte. „Humbug“ war dann der ambitionierte Versuch der Arctic Monkeys, sich mit Hilfe von Josh Homme neu zu erfinden, enthielt aber im Vergleich zum Nachfolger „Suck And See“ die schlechteren Stücke. Mit „AM“ scheint die Band nun die goldene Mitte gefunden zu haben zwischen Pop und Pomp, London und Los Angeles. Zu zwei neuen Songs gibt es bereits seit Monaten Videos: In „R U Mine?“ fahren Turner und Helders als testosteronbeschwips te Halbstarke durchs nächtliche L. A.; im Clip zu „Do I Wanna Know?“ formen sich Sinusschwingungen (dieselben, die auf dem Cover von „AM“ zu sehen sind) zu einem orgiastischen Comic, der mit zappaeskem Humor genüsslich Stereotype – pralle Frauenkörper und geile Schlitten -variiert, mit ihnen spielt.
„Viele sagen, das Riff von ‚Do I Wanna Know‘ würde sie an einen Western erinnern, aber es geht eher um einen Autodiebstahl, als um Pferdewagen. Na ja, vielleicht hat der Fahrer ja gerade eine Clint-Eastwood-Zigarre im Mundwinkel“, fantasiert Turner mit undurchdringlichem Grinsen. Solche Bilder bereiten ihm sichtlich Vergnügen. Auch er würde sicher gern mal den „Dirty Harry“ geben. Obwohl er mit seinem Straßenköter-Outfit eher als Harvey Keitel in Martin Scorseses „Alice Doesn’t Live Here Anymore“ durchgehen würde -die Rolle des brutal-eifersüchtigen Ex-Lovers nähme man ihm glatt ab. Aber unter Turners aufgesetztem Hard-Boiled-Image steckt ja auch noch der sensible Connaisseur, der die Entwicklung seiner Band sehr bewusst steuert, der Ennio Morricone hört („a little flirt over the years“), dem amerikanische Punkmusik auf die Nerven geht und der auf dem neuen Album jede Menge metrosexuelle Kopfstimmen über den typischen Arctic-Monkeys-Sound jagt, nach dem Motto: Seht her, so zerstört man die eigene Oberfläche, so durchlöchert man das betont Maskuline, ohne das Prinzip Rockband grundlegend infrage zu stellen.
Gedauert hat es allerdings etwas mit der neuen Lässigkeit, der Unverkrampftheit, die dann doch wieder hart erarbeitet scheint. Im August 2012 entstanden die ersten Aufnahmen zu „AM“, in einem Studio in L. A., und natürlich denkt man da an riesige Regieräume mit Riesenmischpulten und Minibar samt Lieblingswhiskey für den viel beschäftigten Star-Produzenten. Die Geschichte von „AM“ wirkt dagegen geradezu schäbig. „Es war keine noble Adresse am Sunset Strip, sondern in einem Hinterhof“, berichtet Turner. „Am Anfang hat nichts richtig funktioniert. Aber wir bekamen alles repariert und haben uns dort eingerichtet. Der Vorteil war, dass wir kommen und gehen konnten, wann wir wollten.“ Monatelang verkroch man sich dort, um Turners vorher auf einem Vier-Spur-Rekorder festgehaltene Demos zu arrangieren und zu vervollständigen. Mag man es der Disziplin der Band, den Fähigkeiten des Produzenten James Ford oder dem blinden Verständnis zwischen beiden zuschreiben -das Ergebnis ist kein ausfransender Ideenteppich, sondern ein extrem homogenes Album, auf dem Turner wieder liebeskranke Selbstbefragungen zu staubtrockenen Gitarrenmonstern durchführt.
Über Ford, mit dem die Arctic Monkeys seit ihrem Debüt zusammenarbeiten, sagt Turner sehr respektvoll: „Man braucht so jemanden. Sonst sitzt man tagelang nur rum und diskutiert.“ Und das kann nun wirklich zur Qual werden, wenn man beispielsweise mit Verschwiegenheitskünstlern wie Matt Helders und Alex Turner in einem Londoner Kellergeschoss sitzt und die Bar noch geschlossen hat. Dann begreift man auch, während diese beiden Profis im Gelangweiltgucken zum Abschied noch einmal gähnen, dass die essenziellen Dinge im Leben einer Rock’n’Roll-Band darin bestehen, zusammen Musik zu machen und bei gleißendem Sonnenlicht in einem 69er-Camero durch die Straßen von L. A. zu düsen. Und in den Pilotenbrillen spiegelt sich die Geschichte -wenn auch nicht die eigene.