Zürich Openair 2015: Das Glitzerklub-Festivaltagebuch
Wir sind Glitzerklub, ein Künstlerinnenkollektiv. Ende August führte uns die Reise auf das Zürich Openair in die Schweiz, wo unsere siebenköpfige Girlgroup neben Acts wie Alt-J, Tame Impala, The Libertines, Seeed, Fatboy Slim und Kasabian geladen war.
Düsenflieger, Chuchichäschtli und Indieposterjungs
Über dem Festival-Acker von Rümlang, der in der Einflugschneise des Zürcher Flughafens liegt, scheint die goldene Abendsonne, als Alt-J die Mainstage betreten. Die Briten sind der erste Headliner: Wo alle 15 Minuten Düsenjets durch die Luft krachen, lassen Joe Newman und seine Bandkollegen die Geräuschkulisse vergessen und bringen mit ihrem entspannten Sound die Menge vor der Hauptbühne zum Traumtanzen. Glasklare Songs wie auf Platte.
In der Market Area haben wir unsere Glitzer-Basis eingerichtet. Bierzeltgarnitur, Regenbogenlametta-Vorhänge, Lametta-Palmen und Regenbogenfolie. Ein einäugiger „Twin Peaks“-Kauz bewacht das Ganze. Die ersten Glitzerfreaks sind schon da. Make-up-Wünsche auf Schwyzerdütsch zu entschlüsseln ist gar nicht so einfach. Und so lernen wir, dass der Schweizer Lieblings-Zungenbrecher „Chuchichäschtli“ ein kleiner Küchenschrank ist.
Nach dem ersten Glitzer-Slot spielen die Libertines. Wie Peter Doherty trotz Thailand-Wellness-Drogenentzug und Tour-Aufpasser lustlos über die Mainstage taumelt, bricht mir das Herz. Ich frage mich, wann der Kerl bemerkt, dass er auf der großen Bühne verloren ist – und als begnadeter Singer-Songwriter am besten vor kleinem Publikum spielt. An der Oberfläche geben die Libertines heute die perfekte Indie-Posterband ab: Peter, der Dandy, im feinen Dreiteiler-Zwirn und natürlich mit dem Fedora-Hut auf dem zerzausten Haar. Sein Partner in Crime, Carl Barât, beherrscht das massentaugliche Pokerface. Er spielt in seiner eingerissenen grauschwarzen Jeansröhre, aus der ein rotes Paisleytuch heraushängt, den Unantastbaren. Ebenso John Hassal, der schöne Bassist, der auch in jeder anderen Britpop Band anheuern könnte. Und Drummer Gary Powell, der als einziger Freude ausstrahlt, befreit sich zeitnah vom Basketball-Shirt, um sein Sixpack zur Schau zu stellen. In rund 90 Minuten spielen die Libertines alte Hymnen von „Time for Heroes“ bis „What Katie did“ und auch ein paar mittelmäßige, neue Songs. Verflogen scheint der jugendliche Leichtsinn und die einstige Leidenschaft. Neuanfang ohne Neuerfindung wirkt angestrengt.
Are we having Fun yet?
Bei gefühlten 50 Grad im Schatten verweilen wir den nächsten Tag am Zürichsee. Das Badi Utoquai mit seinen hölzernen Sonnendecks ist der perfekte Ort, sich mental für die Schlangen im Glitzerzelt zu wappnen, die sich an diesem Abend verdreifachen werden. Am Ende knicken wir ein, ohne eine Band gesehen zu haben. Ein bisschen Schlaf schadet nicht.
Am Freitag erleben wir zwei Überraschungs-Acts: Seeed fahren mit Pauken und Trompeten Bigband auf und versprühen ab der ersten Sekunde unaufhaltsam ihre gigantische musikalische Energie. Unterstützt durch ihre Gleichschritt-Choreographie, befördern sich die Berliner Dancehall Deutschrapper um Peter Fox schon nach wenigen Minuten in meine erste Liveband-Liga. Zum Love, Peace und Harmony Sound shaken die Hüften bis in die hintersten Reihen, obwohl es in jedem dritten Lied um die deutsche Hauptstadt geht. Doch Peter Fox hat auch seine Berliner Schnauze nicht zu Hause gelassen. Erst motzt er über das mangelnde Weiß seines Bühnenhandtuchs, dann erinnert er daran wie gut es uns geht und fordert auf, Bedürftigen etwas vom Kuchenstück abzugeben. Als zum Schluss ein Remix von „Dancehall Caballeros“ mit dem Kanye-West-Song „New Slaves“ anklingt, möchte ich die Welt umarmen.
Als es danach mit Fatboy Slim weitergeht, rechnen wir mit nichts Bösem und sind gespannt, was Norman Cook, so sein bürgerlicher Name, in den letzten eineinhalb Jahrzehnten, als man nichts von ihm mitbekam, angestellt hat. Wie ein bombastischer Urknall feuert der erste Track aus den Boxen und eine energetische LED-Show flackert wie ein LSD-Trip über die Mainstage. Hier gelbe Smileys, die sich zu Ecstasy-Fratzen verformen, da ein grellweißer Schriftzug („Are we having Fun yet“) und dazu eine Laserstrahlenshow. Zeit für Eskalation, die Feiercrowd steigt sofort ein. Was der Freak da für ein Set abliefert, ist großes Rave-Kino in Justice- und Skrillex-Tradition. Schnell ist klar, der wird sich die letzten Jahre auf Ibiza oder in Dubai oder in irgendeiner Jetset-Partyhochburg herumgetrieben haben. Konsequent weigert sich Cook seine alten Tracks zu spielen, die dagegen wahrscheinlich unschuldig oldschool, zu wenig kommerzig klingen würden. Nur sekundenweise speist er die Erwartungen mit Alt-Sequenzen, aber haut dafür einen Trash-Remix nach dem nächsten raus. Zum Ende immerhin ein kurzes abgemischtes „Right here, right now“.
Luftballons, Rauchkanonen und Solariumpalmen
Nachdem sich die Glitzerschlange in den letzten Tagen weiterhin potenziert hat, schaffe ich es dank meiner Crew am letzten Abend gerade noch zu Kasabian, die heute ihr letztes Tourneekonzert spielen. Während ich zerstört bin, sehen die zwei Vögel, Tom Meighan und Sergio Pizzorno, vor mir auf der Bühne frisch erholt aus. Und sie sind noch dazu überraschend gut drauf, es gibt sogar Luftballons für die Menge und eine Coverversion des vermissten Fatboy Slim Songs „Praise you“. Das Publikum ist erfreut und dankt ihnen mit Gröhlgesang und Sit-und-Jump-ups zu den Songhöhepunkten.
Bevor wir Zürich hinter uns lassen, geht es noch kurz backstage, Waldbeeren-Kuchen essen. Hier sieht es aus wie im Solarium. Weiße Kabinen und Deko-Palmen. Wir finden die Kasabian-Lounge, ich traue mich nicht zu klopfen. Der Securitymann lacht uns aus. Irgendwann öffnet sich die Tür nebenan und eine schöne, blonde California-Barbie in Bauchfreitop und Hotpants rollt auf einem Airboard zur Tür heraus, dahinter sitzen Skrillex und Kasabian-Sergio und ihr Hofgeschwader. Ein Miniraum voller Süßigkeiten und Drinks. Keiner sagt etwas. Wir stehen kurz blöd herum und ich fühle mich wie mit 14 in der Raucherecke auf dem Pausenhof. Dann verschwinden wir in die Nacht.