Zuckerguss und Korrekturen
Dass BAP-Sänger Wolfgang Niedecken auch Maler ist, wurde oft erwähnt. Aber wer kennt seine Bilder? Eine Privatführung zum 60. Geburtstag.
Dieter Kraemer, mein Professor an der Kölner Werkschule, hat immer zu mir gesagt: „Niedecken – Symmetrie ist die Ästhetik der Doofen!“ Das habe ich mir lebenslang zu Herzen genommen: Als bildender Künstler zu arbeiten, ergibt am meisten Sinn, wenn man nicht immer nur die Oberflächen malt. Nicht nur die Dinge, die sowieso schon toll gefunden werden. Wenn man mit Realismus und Realitäten spielt.
Mit 19 hatte ich in Köln mit dem Kunststudium begonnen. Eines der frühen Werke ist „Corrected Mondrian“ (1973/74, Bild 1). Damals hatten mein Kumpel Manfred „Schmal“ Boecker – der später BAP-Percussionist wurde – und ich Bekanntschaft mit dem nach Köln gezogenen Fluxus-Künstler Robin Page geschlossen. Er zeigte uns, wie viel Kunst mit Humor zu tun haben kann – und stellte selbst „Korrekturen“ seiner Lieblinge her: ein Bügeleisen mit Löchern, als Gegenstück zu Man Rays Reißzwecken-Eisen, oder einen der schwarzen Magritte-Herren, jedoch mit aufgemaltem Gesicht. Im Altpapier fand ich damals einen Pin-up-Kalender aus den Fünfzigern. Ich schnitt ein paar der Damen aus, arrangierte sie mit monochromen Farbflächen. Und stellte fest, dass mir ein „korrigierter Mondrian“ gelungen war. Robin Page sah das Bild, meinte: „Oh, this is good“, und setzte seinen Spruch darunter: „Passed by Robin Page“. Für Schmal und mich war das wie ein Ritterschlag.
Fotorealismus faszinierte mich zur Zeit meines Examens besonders. Zum Beispiel malte ich eine Serie sogenannter Zuckergussbilder, die in Trompe-l’x{0153}il-Technik wie dreidimensionale Süßigkeiten wirkten. „Mein Beitrag zum Sieg“ (1975, 2) gehört dazu: eine Vietcong-Flagge als Leckerei – und eine Antwort auf die Bilder Jörg Immendorffs, über den wir uns damals immer vor Lachen wegwarfen. Wir fanden es katastrophal, wenn er zum Beispiel ein Kölner Stadtpanorama malte und kämpferisch darüberschrieb „Köln – Schauplatz des ersten Parteitages der KPD/ML“. Da wollte ich noch eins draufsetzen: „Mein Beitrag zum Sieg“.
Um 1977 herum entwarfen Schmal und ich das Konzept der „Wunschbilder“ (3): Wir riefen Nachbarn, Freunde und Bekannte auf, uns je einen möglichst genau definierten Auftrag für ein Bild zu geben – das wir dann exakt so für sie malen würden. Über 100 Wünsche kamen zurück, unter anderem die von Eddi Josuttis, einem Stammkunden der Kneipe Artushof. Der Arzt hatte ihm das Rauchen und Trinken verboten, daher wünschte er sich ein Bild mit Bier und Zigaretten, für ihn der Inbegriff der Gemütlichkeit. Drei Tage habe ich daran wohl gearbeitet, 300 bis 400 Mark hätte es gekostet. Eddi wollte es dann doch nicht.
Die Musikkarriere mit BAP rückte Anfang der 80er-Jahre immer stärker ins Zentrum meiner kreativen Arbeit. Als dann mein erster Sohn geboren und das Familienleben intensiver wurde, blieb für die Kunst praktisch keine Zeit mehr. Ich hatte nicht mal mehr ein Atelier – aber wenn man diesen Gestaltungswillen in sich trägt, bricht der sich immer wieder Bahn. „Souvenirs“ (1984, 4) entstand im Urlaub auf Patmos, wo ich endlose Strandspaziergänge unternahm, mit Severin im Tragetuch. Und dort all diese bunten Stöcke aufsammelte, mit denen Farbe umgerührt worden war oder ähnliches. Aus anderem Fundmaterial baute ich die Kiste drumherum. So simpel kann das sein.
Anfang der Neunziger kam im Musikbusiness der definitive Umstieg von Vinyl auf CD. Das stellte neue Anforderungen an die Cover-Artworks: Sie mussten auch im Kleinen funktionieren. Ich war wieder in mein altes Atelier in der Kölner Südstadt gezogen, meine erste Ehe war gescheitert, ich malte wieder viel mehr. Auch meine Arbeitsweise hatte sich mit den Jahren stark verändert: Ich hatte mich mehr mit Beuys und Anselm Kiefer beschäftigt, tendierte mehr zum Stofflichen, zur Arbeit mit Materialien. Der Plattentitel „X für ‚e U“ (1990, 5) hatte schon festgestanden, in der Vinylversion des fertigen Coverbildes konnte man die Steinchen und Sandkörner – dank Prägedruck – sogar spüren. Trotzdem war es catchy genug, um auch in der CD-Version zu funktionieren.
Warum ich plötzlich wieder so viel Zeit zum Malen hatte? Weil sich unser damaliger Leadgitarrist Major das Komponistenmonopol in der Band gesichert hatte – und ich Mitte der Neunziger oft lange warten musste, bis ich Musik bekam, zu der ich Texte schreiben konnte. „Amerikanischer Tisch“ (1996, 6) entstand im Vorfeld des Albums „Amerika“, als Teil der Werkgruppe „Bilder vom Ende der Geschichte“, die drei Jahre später in Düsseldorf und dann in Berlin ausgestellt wurde.
Seit zwölf Jahren habe ich die Band nun als Chef an der Backe, mitsamt allem Organisatorischen – womit ich zwar gerne lebe, was aber die Kunst in der Regel auf der Strecke bleiben lässt. So gesehen ist „Reception Center“ (2010, 7) ein Glücksfall: Das Werk wurde von meinen Afrikareisen inspiriert, auf denen mir das kleine Bildmotiv immer wieder begegnet ist, das ich rechts oben in die Komposition eingefügt habe: ein Junge, der gleichzeitig von Krokodil, Schlange und Löwe bedroht wird. „Das ist unsere Situation“, erklären einem die Menschen dort. Die Wand, an der das Bild hängt, habe ich mit meiner Tochter Jojo im Garten zusammengebastelt, mit falschem Stuck vom Baumarkt – eine Reminiszenz an die reception centers, in denen zum Beispiel in Uganda ehemalige Kindersoldaten aufgenommen und betreut werden.
Aus dem Arrangement wurde dann das Cover fürs neue BAP-Album „Halv su wild“ – aber ich hätte es so oder so angefertigt. Was Afrikaner dem bedrohten Jungen in dem kleinen Bild raten? Runter vom Baum – und dem Löwen tief in die Augen schauen. Wenn man das richtig macht, trollt der sich nämlich. Die einzig mögliche Lösung. Protokoll: Joachim Hentschel
Wolfgang Niedecken feiert am 30. März seinen 60. Geburtstag. Dazu erscheint beim Verlag Hoffmann und Campe die Autobiografie „Für ’ne Moment“ (mit Oliver Kobold, 24 Euro). Ab 11. Juni ist seine Band BAP mit dem neuen Album „Halv su wild“ (EMI) auf Tournee.