Zu schön, um falsch zu sein
Wie die Sängerin Lana Del Rey zum Diva-Hype der Saison wurde
Ein warmer Sommerabend in Manhattan. Auf der Dachterrasse des schicken Privatclubs knistern die Eiswürfel in den Gläsern, während schöne junge Menschen ihre iPhones streicheln. „Bela Lugosi’s dead“, klagt Peter Murphy schwermütig aus den Boxen. Selten klang der Gothic-Dub von Bauhaus so deplatziert wie in diesem Refugium einer global vernetzten Medienelite.
„Lana Del Rey habe ich im Oktober 2009 auf der Musikkonferenz CMJ kennengelernt“, sagt Ben Mawson, der an einem Tisch in der Nähe des Pools sitzt. „Zuerst war ich sechs Monate lang nur ihr Anwalt, dann auch ihr Manager. Sie war damals bei einem sehr kleinen Label unter Vertrag, das nichts anderes tat, als ihre Songs an die großen Plattenfirmen zu schicken. Sie fühlte sich frustriert. Und ich spürte, dass sie etwas Besonderes ist.“
Mawsons Schützling heißt natürlich nicht wirklich Lana Del Rey, sondern Lizzy Grant. Die 24-Jährige ist die Tochter eines reichen New Yorker Unternehmers, lebt aber seit über einem Jahr in London, wo sie mit verschiedenen Produzenten an ihrem ersten Major-Album arbeitet. Eine Pop-Sensation ist sie schon jetzt. Seit vergangenem Sommer übertreffen sich Musik- und Styleblogs, Journalisten, Forenteilnehmer und andere Meinungsmacher mit Superlativen über sie. Ihre Single wurde schon auf Ebay zu Höchstpreisen gehandelt, bevor sie überhaupt veröffentlicht war.
Die Künstlerin selbst bastelte derweil auf Facebook an einem raffinierten Image: Täglich postete sie einen Mix aus Hoch- und Trash-Kultur, Bilder aus Nouvelle-Vague-Filmen, Videos von Daniel Johnston und Frank Sinatra, Zitate von Rilke und Links zu schwärmerischen Artikeln über ihre Person. Fotos zeigen eine Mischung aus Gangsterbraut und Britney Spears, die auffällig vollen Lippen sorgten für Irritationen. Doch wer einmal Lana Del Reys Stimme gehört hat, der glaubte an das Versprechen, an einen neuen, auf Verführung angelegten Pop-Entwurf: der Sixties-Pop von Nancy Sinatra, die schwülen Torch-Songs von Julie London, die fatalistische Attitüde des Gangsta-Rap.
Der im Oktober offiziell veröffentlichte Song „Video Games“ beschäftigte schon Monate vorher die Bewohner des Internets. Mindestens zwei Millionen Mal wurde das an den Vorspann der Serie „True Blood“ erinnernde Video auf YouTube angeschaut. Die groß orchestrierte Musik scheint direkt aus einem alten Hollywood-Melodram zu kommen, der Gesang ist lasziv und wehmütig: „They say that the world was built for two/ Only worth living if somebody is loving you.“ Was zählt der Fortbestand der Welt, wenn der Verlust des Liebsten einen in die Kälte der Einsamkeit schickt?
Endlich trifft Lana Del Rey auf der Dachterrasse ein, und natürlich erinnert ihre Erscheinung an Betty Draper, die spröde Traumfrau aus „Mad Men“: Die Blumen auf dem Glockenrock leuchten in Orange und Türkis, die fast durchsichtige weiße Bluse wirkt mondän und unschuldig zugleich. Ganz offensichtlich geht es bei diesem ers-ten Treffen mit einem deutschen Journalisten nicht einfach nur um ein Interview, sondern um die Präsentation eines glamourösen neuen Popstar-Modells.
„Früher habe ich als Lizzy Grant selbst Gitarre gespielt und gesungen, in kleinen Clubs in Brooklyn und der Lower Eastside. Seit ich meine Nägel habe, geht das nicht mehr so gut.“ Lana Del Reys Fingernägel sind tatsächlich beeindruckend, Glitzer-Applikationen funkeln, auf der rechten Hand sitzt ein strassbesetzter Schlagring. Denn Lana Del Rey wäre gerne ein bad girl, hart gekocht und sexy wie die eiskalten Film-Noir-Frauen. Auch den Namen hat sie sich gut überlegt. „Meine Songs beschwören Bilder des alten Hollywood, meine Interpretation des American dream. Ich wollte einen Namen, der die Musik definiert und ein Ziel vorgibt.“
Mit 19 unterschrieb Lana Del Rey ihren ersten Plattenvertrag bei dem New Yorker Label Five Points Records, ihr erstes Album nahm sie mit Starproduzent David Kahne auf. „Lana Del Rey a.k.a. Lizzy Grant“ ist eine gelungene Platte, vielleicht etwas brav im Vergleich zu neueren Songs. „Die Plattenfirma schob mein Album zwei Jahre lang. Anfang 2010 wurde es endlich veröffentlicht, aber nur für drei Monate.“ Warum die CD aus den Läden verschwand, möchte sie nicht verraten. Erst später, nach dem Interview, erklärt ihr Manager: „Sie möchte mehr in Richtung Pop gehen, ein größeres Publikum erreichen, und trotzdem die Essenz von Lana Del Rey bewahren. Wir haben deshalb einen Vertrag mit dem alten Label geschlossen, dass das Album vom Markt verschwindet.“
Die neue Plattenfirma Universal und auch Lana Del Rey selbst betonen immer wieder, dass sie Texte und Melodien der Songs selbst schreibt. Nur bei den Arrangements würden die Produzenten helfen. Doch den Credits nach zu urteilen, ist die Sängerin eher Teil eines Teams von Songwritern, zu dem laut Internet-Quellen sogar Schwergewichte wie der Robbie-Williams-Autor Guy Chambers gehören. Die collageartigen Videos macht Lana Del Rey dagegen komplett selbst – und so musste sie auch alle Online-Kommentare allein verdauen: „Man hat sich über mich lustig gemacht, vor allem über mein Aussehen. Dabei hatte ich doch nur die Kamera meines Notebooks zur Verfügung und es fällt verdammt schwer, allein am Schreibtisch zu posen.“
„Video Games“ ist Americana aus der Perspektive einer jungen Frau, eine Hommage an den schmutzigen Glamour des alten Hollywood. Und Lana Del Rey spielt meisterhaft mit den Klischees einer Zeit, die sie selbst nie erlebt hat. „In den Fünfzigern und Sechzigern erschien alles so leuchtend und neu“, sagt sie und summt versonnen „I’m On Fire“, das gerade im Hintergrund läuft. „Auch Bruce Springsteen war eine wunderbar glaubwürdige Variation des amerikanischen Traums. Doch inzwischen scheint dieses Land am Ende seiner Herrschaft zu stehen. Es gibt nicht mehr so viel Optimismus, der Blick auf das Glück ist zynischer geworden. Aber ich versuche, nicht die Hoffnung zu verlieren. Ich glaube, auch Traurigkeit kann schön sein.“
Lana Del Rey ist noch ein Popstar im Welpenstatus. Aber wenn sie das Versprechen einlöst, das sie mit „Video Games“ gegeben hat, könnte 2012 ihr Jahr werden.