Ziemlich beste Bärte

ZZ TOP sind die größten Stoiker des Rock’n’Roll – und stolz darauf. Aus einer kleinen Schaffenskrise half ihnen ein weiterer Mann mit Bart: Rick Rubin, legendärer Produzent und Fan

Es ist nicht alles Hut und Bart. Die erste Erkenntnis, wenn man Billy Gibbons schließlich entgegentritt. Denn da gibt es diese unvermutet neugierigen Augen, die unter der Hutkrempe hervorlugen und noch nicht – wie auf allen Fotos – hinter einer großen Sonnenbrille versteckt sind. Da ist der feste Griff seiner Hand, der man ihre 62 Jahre (von denen sie über 40 Jahre für ZZ Top an den Saiten gezupft hat) durchaus anfühlt. Und da macht sich dieses verwegene Grinsen breit, das er aufsetzt, wenn er einen mit den Worten begrüßt: „Brother, how are you?“ Und schon spürt man dieses Wohlsein, das auch ZZ-Top-Konzerte auslösen können: Man fühlt sich herzlich umkumpelt, verbrüdert – obwohl man eher Gibbons Enkel sein könnte.

Der Mann mit Hut und Vollbart hat es sich am Tresen einer Bar am Potsdamer Platz gemütlich gemacht. Zwei Nächte zuvor war er in London, um bei der „Classic Rock’n’Roll Of Honour 2012“ als lebende Legende (so heißt ernsthaft eine Kategorie) gefeiert zu werden. Und wiederum drei Monate zuvor ist das aktuelle und überraschend gute Album „La Futura“ veröffentlicht worden. Nun sitzt er hier und beschmeichelt seine Umgebung. „Ich liebe es, in Deutschland zu sein. Einige unserer treuesten Fans kommen von hier. Und es war das erste Land, das wir außerhalb der USA bereisten“, sagt er. Und setzt noch einen drauf: „Glaub mir, brother, wir haben hier ein zweites Zuhause gefunden. Die Leute reagierten hier von Anfang an derart enthusiastisch, wie wir es kaum irgendwo sonst erlebt haben. Die Liebe zur Musik und der Wille zu rocken waren vom ersten Gig an da – und sind nie verschwunden. Unsere erste Show spielten wir beim, Rockpalast‘ in Essen in der Grugahalle. Es war unsere erste TV-Übertragung überhaupt – und die auch noch in einem Land, das damals nur drei Programme hatte, wenn ich mich richtig erinnere.“

Allerdings. 1980 war das. Und der „Rockpalast“ zeigte wahrlich Engagement, um ZZ Top über den großen Teich zu bringen. So wurde damals extra Peter Rüchel nach Chicago geflogen, um die Band zu überzeugen – und ihr die kostspielige Anreise mit eigener Bühne auszureden. Man verstand sich prächtig, vielleicht auch, weil Dusty Hill und Frank Beard feststellten, dass „Rockpalast“-Urgestein Rüchel eine frappierende Ähnlichkeit mit Will Sampson, dem Indianer aus „Einer flog über das Kuckucksnest“ hatte, mit dem sie befreundet waren – wie man im „Rockpalast“-Archiv noch immer nachlesen kann. Darin heißt es auch sehr bescheiden: „Das Konzert war ein voller Erfolg und ZZ Top waren nun in ganz Europa berühmt.“

Aber falsch ist das eben nicht: Vor allem in Deutschland wartete eine große Fangemeinde, die ihnen bis heute die Treue hält. Vielleicht eröffneten sie das Konzert in der Essener Grugahalle deshalb mit „I Thank You“, das sie für ihr 79er-Album „Degüello“ gecovert hatten. Als erste Verneigung sozusagen. Der historische Auftritt ist dank der DVD „Double Down Live“ der Nachwelt erhalten. Es macht auch heute noch Spaß, sich anzuschauen, wie ZZ Top die deutsche Konzertlandschaft betraten: Zum Seufzen des Mariachi-Intros leuchtet ein flammendes ZZ-Top-Logo im Bühnendunkel, bis plötzlich zwei breitgespreizte Beine Schatten werfen, in eine wiegende Bewegung verfallen und schließlich die schweren Gitarrenakkorde des Songs einsetzen. Die Bärte von Gibbons und Hill waren schon damals recht eindrucksvoll, in Sachen Hutmode setzte man jedoch noch auf Melone und Schiebermütze.

Ganz selbstverständlich war der euphorische Empfang schon damals nicht: Die Zeiten, da der Texas-Boogie von „La Grange“ cool war, lagen auch schon ein paar Jahre zurück, ZZ Top waren längst im Mainstream angekommen und wiederholten ihre Schemata wie am anderen Ende des Atlantiks Status Quo. Aber: Das taten sie meist mit Inbrunst und sturer Konsequenz.

Während Gibbons noch im Smalltalkmodus vor uns steht und von den guten alten Tagen erzählt, registriert er aus den Augenwinkeln, dass wir das Interview mitfilmen wollen. Er stoppt kurz, nuschelt „wartet ’ne Sekunde“ – und ruft dem Tourmanager zu: „Kannst du mir schnell meine Uniform bringen?“ Die wird ihm nur Sekunden später geliefert – und besteht im Wesentlichen aus seiner Sonnenbrille und schwarzen Stoffhandschuhen, über die er sich zwei protzige Ringe zieht, die er aus der Sakkotasche hervorzaubert. Rechts ein mexikanischer Totenschädel, links eine sich einrollende Schlange.

Eine niedliche Szene, die deutlich macht, was das Faszinierende und auch Problematische dieser Band ist: Billy Gibbons, Dusty Hill und Frank Beard haben früh in ihrer Karriere entschieden, sich als Kunst- oder vielleicht sogar als Comic-Figuren zu inszenieren. Zwei Vollbärte, ein Schnauzer – dieses Signet steht heute ikonenhaft für den bräsigen Südstaaten-Boogie-Rock des Trios. Die Sache mit dem bauchlangen Bärten hatte sich Ende der Siebziger entwickelt, als Gibbons und Hill beim ersten Bandmeeting nach einer längeren Auszeit plötzlich mit ähnlicher Bartlänge zurückkehrten. Es ist eine schöne Ironie der Rockgeschichte, das Frank Beard bei diesem Treffen der einzige Bartlose war.

Das Faible zur Überzeichnung lag ihnen jedoch schon vorher. Für ihre 1976 gestartete „Worldwide Texas Tour“ reisten sie mit einer riesigen Bühne in der Form des Staates Texas durch die Lande. Darauf fand sich neben den Musikern: ein Bison, ein Longhorn-Bulle, ein Geier (der besonders musikalisch gewesen sein soll) und eine Klapperschlange in einer Glaspyramide – Ehrensache, dass ein Tierarzt Teil des Tourtrosses war.

Ach, und dann waren da noch die Achtziger, aus denen einige ZZ-Top-Artefakte stammen, die man heute nur noch schwer ertragen kann. Da ist zum Beispiel dieses fürchterliche Video zu „Legs“. Die zickige Mittachtziger-Mode kann man vielleicht noch verschmerzen, nicht aber den platten Chauvinismus, der die ersten zwei Minuten regiert: Die tragische „Heldin“ mit den schicken Beinen, eine Schuhverkäuferin, wird von schmierigen Typen belagert, von der Kollegin gemobbt, von Kundschaft und Chef betatscht – bis nach zweieinhalb Minuten sexueller Belästigung endlich die Rettung naht: ZZ Top, ausgerechnet. Sie spielen einen Gig mit weißen Puschelgitarren auf dem Parkplatz vor dem Schuhladen, pfeifen einen Heckflossen-Schlitten mit ein paar toughen Babes herbei und lassen unsere Heldin schließlich von den Autofahrerinnen aus dem Animierschuppen, der sich als Schuhladen tarnt, befreien. Was dann allerdings so aussieht, dass sie der armen Frau das Outfit einer texanischen Prostituierten verpassen, ihr einen sexy boy im örtlichen Einkaufszentrum besorgen und an den Arm hängen und den geifernden Schuhladenkunden winkend davonfahren. ZZ Top begleiten das bis zum Ende mit wippenden Hüften und ihren typischen Blues-Riffs, bis auch sie mit einem lässigen Winken verschwinden.

Man entschuldige den Exkurs, aber künstlerische Einfälle wie dieser sind es, die ZZ Top für viele zu Reiz- oder Witzfiguren machen. Das ist nicht unverständlich. Aber auch ein bisschen schade, denn der grelle Unsinn, mit dem sich das Trio gern schmückt, und der Einmarsch von Synthesizern Anfang der Achtziger in seinen ehedem puren Sound verdeckt ein Talent: Keine andere Band hat je so stumpf und sexy zugleich Blues und Boogie in eine swingende und Anfang der 70er-Jahre erfrischend neuartige, discothekenkompatible Form von Southern Rock transformiert. Klassiker wie, ,My Head’s In Mississippi“ und „La Grange“ zeugen davon. Und auch vieles des von Rick Rubin produzierten Albums, ,La Futura“ funktioniert vortrefflich nach diesem Muster. Grelle Verpackungen sind gar nicht mehr nötig.

Wie denkt Billy Gibbons heute über Ästhetik- und Correctness-Sünden der 80er-Jahre? Die nun behandschuhte Hand wischt einmal abfällig durch die Luft: „Wir haben vielleicht ebenso viele Freunde wie Feinde, aber das stört uns nicht. Uns wird viel Liebe entgegengebracht. Das ist es, was zählt.“

Zeichen dieser Liebe gab es in den vergangenen Jahren genug. So wurde zum Beispiel 2011 zum 40. Jubiläum der Band ein Cover-Album veröffentlicht, auf dem sich eine erstaunliche Reihe jüngerer Künstler versammelt hat. „A Tribute For Friends“ bot zwar auch alte Recken wie Duff McKagan mit seiner Band Loaded oder Mick Fleetwood, Steven Tyler, Jonny Lang und John McVie alias The M.O.B. auf – die spannendsten Beiträge kamen jedoch von jungen, experimentierfreudigen Bands wie Coheed & Cambria, Wolfmother und Mastodon. Mit charmantem Understatement sagte Billy Gibbons damals: „Seit so ungefähr 40 Jahren machen wir doch nichts anderes, als durch die Welt zu ziehen, den Lautstärkeregler aufzudrehen und uns dabei möglichst gut zu amüsieren. Weitestgehend ist uns das auch gelungen, denn Spaß dabei haben wir immer noch, und das allein ist schon viel wert, wenn man bedenkt, dass wir es hier mit, denselben drei Typen, die immer noch dieselben drei Akkorde spielen‘ zu tun haben. Doch jetzt kommt dieses, A Tribute From Friends‘, und wir sind wahnsinnig froh darüber, dass unser Sound all diese großartigen Musiker anspricht, deren Werk wir selbst sehr bewundern.“

Die offizielle, quasi institutionalisierte Anerkennung der Musikwelt war bereits 2004 mit der Aufnahme in die Rock And Roll Hall Of Fame erfolgt. Die Rede dazu hielt niemand Geringeres als Keith Richards, der ZZ Top mal eben zum „Herzschlag des Rock’n’Roll“ erklärte. Ein Lob, das aus einer jahrelangen Freundschaft resultiert. Man muss Billy Gibbons nur auf die Stones ansprechen – und schon hat man das Gefühl, selbst durch die Sonnenbrille hindurch ein Leuchten in den Augen zu sehen. Aber Gibbons ist nicht der Mann für brave Schwärmereien, er hat gleich wieder eine Anekdote parat, oder, wie er sagt: „an interesting sidenote“ zu der Freundschaft, die seit 1973 besteht, als ZZ Top an einem Wochenende drei Konzerte für die Stones in Honolulu eröffneten: „Ein Freund aus Texas arbeitete für die Rolling Stones. Deshalb kannten wir viele ihrer Techniker und Leute ihrer Bühnencrew. Eines Abends bekamen wir dann die Einladung, das Konzert von der Bühne aus zu schauen – was bei den Stones nicht so oft vorkommt. Als sie, Tumblin‘ Dice‘ spielten, holten wir aus Spaß die Würfel raus und spielten eine Partie. Seitdem fordern die Stones jedes Mal, wenn wir auf einem ihrer Konzerte sind, dass wir das wiederholen, wenn sie den Song spielen. Wir hocken uns hinter Keiths Verstärker, in Sichtweite von Charlie Watts, der die Partie im Blick haben will. We got four minutes – so let the deal go down.“ Während Gibbons die Geschichte mit seinem dunklen, kehligen Lachen beendet, stellt man verdutzt fest, dass er dabei mit zwei edlen, roten Würfeln hantiert, die er während des Redens aus seiner Sakkotasche geholt haben muss. Wird er sich eine der Comeback-Shows anschauen? „Make no mistake, man!“

Neben der Liebe von Kollegen wie den Rolling Stones sind es aber wohl vor allem die vielen Fäuste und Victory-Zeichen der Fans, die seit vier Jahrzehnten auf ZZ-Top-Konzerten in die Höhe gereckt werden, die sie auf Trab und auf Tour halten. Konzerte bestimmen das Leben der drei Um-die-60-Jährigen. Ihre Live-Gigs sind heute ihre Haupteinnahmequelle., ,Come hell or high-water“, wie man in ihrer texanischen Heimat zu sagen pflegt: Alle Jahre wieder hat man auch in Deutschland die Möglichkeit, die drei Bart-Brüder live zu sehen. Musikalisch immer in solider Form, mitunter jedoch maulfaul, sobald der Vorhang fällt. Kondition und Konsequenz jahraus, jahrein.

,,Wir lieben es einfach, live zu spielen. Deshalb sind wir permanent auf Tour“, sagt Gibbons., ,Wir haben es über die Jahre geschafft, diesen langwierigen Prozess so komfortabel wie möglich zu gestalten.“ Dann lacht er heiser und gesteht:, ,We still haven’t figured out how to shorten a mile.“ Sätze wie diese hört man natürlich oft von alten Helden, die ihr Geld vor allem durch das permanente Touren reinholen. Billy Gibbons kauft man sie jedoch ab, weil er – auf einmal euphorisiert – eine kleine Freundschaftserklärung an seine Bandkollegen folgen lässt: „Man könnte meinen, dass man – wenn man seit über 40 Jahren auf der Bühne steht – den anderen in- und auswendig kennt. Aber so ist es nicht. ZZ überrascht uns immer wieder. Einer von uns schert immer aus, wir nennen das, going to the Bahamas‘ und diese Momente machen es so besonders. Die anderen zwei fragen sich dann:, Wo geht er hin? Werden wir ihn jemals wieder einfangen können?‘ Ein wunderbarer Kick.“

Natürlich romantisiert Gibbons die Live-Routine, denn das Runterspielen der bekannten Hits wurde spürbar zur Last, als sich die Band vornahm, ein neues Album aufzunehmen. Zum einen war es fast zehn Jahre her, dass ZZ Top mit „Mescalero“ einen Tonträger veröffentlicht hatten, der dann auch eher mäßig erfolgreich und künstlerisch wenig wertvoll war. Zum anderen war der Druck groß wie nie – denn ZZ Top hatten als Produzenten einen anderen berühmten Vollbartträger verpflichtet: Rick Rubin.

Nun ist es ja so, dass man sich als Künstler ernsthaft Gedanken über das Ende machen sollte, sobald Rubin auf den Plan tritt. Der Mann ist schließlich Garant für erstklassige Rentnerplatten – mit Rubin als Produzent kann man davon ausgehen, dass die Kanonisierung des eigenen Werks begonnen hat und die Nachrufeschreiber schon ihre Bleistifte spitzen. Und natürlich: Seit Johnny Cashs, ,American Recordings“ erwartet man auch immer gleich ein Meisterwerk – auch wenn das bei Neil Diamond beispielsweise nicht so recht geklappt hat. Billy Gibbons beweist durchaus Selbstironie, wenn er von den langwierigen Aufnahmen zu, ,La Futura“ erzählt: „Rick und ich sind schon seit Jahren befreundet. Ich habe ihn Ende der 80er-Jahre auf einem Rave auf der Knot’s Berry Farm kennengelernt – die liegt gleich neben Disneyland. Ein abgefahrener Abend. Wir haben erst mit der Zeit festgestellt, dass wir auch musikalisch auf einer Wellenlänge liegen. Als unser Label-Vertrag auslief, war es Rick, der seit Langem auf den Moment gelauert hatte, seinen … Hut in den Ring zu werfen.“

Ein schönes, ein passendes Bild. Das mit dem Hut.

Doch obwohl die Freundschaft ein festes Band zurrte, erwiesen sich die Aufnahmen als schwierig. „Wir waren offenbar nicht wirklich bereit, als wir das erste Mal ins Studio gingen“, erzählt Gibbons., ,Aber Rick hat einfach die Ruhe weg. Er sagte immer wieder:, Hey, das ist gut! Aber lass uns das noch mal einspielen.‘ Ich muss ehrlich gestehen: Anfangs war es überhaupt nicht gut.“

Rubin ließ sie sich lockerjammen., ,Ich erinnere mich, wie wir eine Version von, Beast Of Burden‘ von den Stones spielen wollten und dachten, wir kennen den Song. Nun ja, am Ende war es beides: a beast and a burden. Von der Meldung, dass wir mit Rick Rubin arbeiten, bis zum Album-Release war es ein langer Weg. Es war sogar fast ein bisschen wie mit, Chinese Democracy‘ von Guns N’Roses.“

Das Ergebnis, „La Futura“, ist tatsächlich ein überzeugendes. Zehn Songs, vierzig Minuten, ,old school ZZ“, wie Gibbons es nennt. „Rick hat schnell gemerkt, dass uns eine sehr eigene Spielfreude antreibt. Drei Menschen. Gitarre, Schlagzeug, Bass.“

Boogie-Blues

Eine Auswahl der besten Alben der texanischen Gitarren-Institution aus beinahe 40 Jahren. Von Jörg Feyer

TRES HOMBRES 1973 ★★★★1/2

Das dritte Album riecht noch reichlich nach Bar, Bus-Stop und Bar-B-Q – und doch schon ein bisschen nach den Stadien, die das Trio wenig später zumindest in Texas füllen wird – passenderweise kam „Tres Hombres“ im selben Jahr in die Welt wie das Bic-Feuerzeug, das zum fragilen Blueser „Hot, Blue & Righteous“ geschwenkt werden durfte. Nach zwei vielversprechenden Heim-Produktionen fand die Band in den Ardent Studios in Memphis den zugleich trockenen und fetten Sound, der ihren bisher besten Roh-Stoff vollends unwiderstehlich macht. Der bis heute verblüffende Taktwechsel im Eröffnungsmedley „Waitin‘ For The Bus“/“Jesus Just Left Chicago“ verdankt sich dabei einem Analog-Studiounfall – der Techniker hatte einfach zu viel Band zwischen den Stücken rausgeschnitten.

DEGÜELLO 1979 ★★★1/2

Isaac Hayes und David Porter hatten „I Thank You“ einst für Sam & Dave geschrieben – jetzt bedanken sich ZZ Top mit der alten Stax-Nummer gleich mal bei ihrer Studio-Wahlheimatstadt Memphis und landen damit prompt in der US-Top-40. Kurz vor der digitalen Götterdämmerung reüssiert die Band auf ihrem sechsten Album (und US-Platin-Debüt) mit einer fein geschliffenen Variante des guten, alten Hauruck-Sounds, die nur Blues-Puristen noch ein bisschen erschrecken kann (die mit dem Standard „Dust My Broom“ besänftigt werden sollen). Sind das nicht Bläser im frenetischen „Hi Fi Mama“? Oder bloß Keyboards, die nur so klingen? Auch Billy Gibbons hat den Fuzz-Faktor deutlich zurückgeschraubt.

ELIMINATOR 1983 ★★★★

Nicht dass die Optik bei dieser Band vorher gar keine Rolle gespielt hätte. Aber dass ausgerechnet drei Blues’n’Boogie-Überlebende mit langen Bärten, nicht ganz so billigen Sonnenbrillen, in Schaffell gehüllten, rotierenden Gitarren und einem schicken Oldtimer wesentlich zur Hip-Ikonografie der MTV-Ära beitragen und dabei mit nicht weniger als fünf Singles aus einem Album auch weltweit durchmarschieren, gehört zu den großen ironischen Wendungen der Pop-Historie. Mit „Gimme All Your Lovin'“ „Sharp Dressed Man“ und „Legs“ hatten ZZ Top die richtigen Songs für ihre Metamorphose, und Billy Gibbons verpackte sie ohne Blick in den Rückspiegel konsequent in den Sound der Zeit – Synthesizer und Sequencer regierten, während die kaum beteiligten Dusty Hill und Frank Beard Studiopause hatten.

XXX 1999 ★★★

„Drums, Bass And Fuzzy Guitar“ steht seitlich auf der Hülle, fast so, als könnte da doch ein bisschen in Vergessenheit geraten sein, wofür diese Band mal stand. Nachdem der Profilierung fürs neue Label RCA Genüge getan war, rotzten ZZ Top zum 30. Bandgeburtstag (siehe Titel) mal eben ein Album raus, das immer noch unverhohlen dem „Fearless Boogie“ (so ein Songtitel) frönt und dabei doch nicht so tut, als wäre die Zeit stehen geblieben. „Crucifixx.A.Flat“ und „Beatbox“ flirten mit Rap und Techno-Beats, „36-22-36“ huldigt mal wieder der weiblichen Anatomie, „Made Into A Movie“ frönt dem Zeitlupen-Blues, „Trippin'“ groovt so höllisch wie entspannt in Richtung Kalifornien – aber ohne reichlich Fuzz-Gitarre geht hier nichts.

LIVE IN GERMANY 1980 2011 ★★★1/2

Eine bizarre Fußnote: Obschon als kaum schlagbarer US-Bühnen-Act gefeiert und präsent, blieben ZZ Top das klassische Dokument der Siebziger – ein Live-Doppelalbum – schuldig. Die erste (Live-)Seite auf „Fandango!“ war da 1975 nur eine Verlegenheitslösung. Noch bizarrer ist eigentlich nur, dass dann ausgerechnet ihr viel später veröffentlichtes Europa-Debüt (!) als Bühnen-Best-of der ersten Band-Dekade reüssieren sollte. Als PR-Coup zur Markteinführung war ein Gig in der Essener „Rockpalast“-Nacht 1980 einsame Spitze. Und so spielte das Trio sogar morgens um vier vor einer tapfer klatschenden Rest-Menge ziemlich ausgeschlafen auf, als Headliner nach der Blues Band, Joan Armatrading und Ian Hunter.

LA FUTURA 2012 ★★★1/2

Bärte unter sich. Rick Rubin war die natürliche Option für die erste Fremdproduktion überhaupt in über 40 Jahren ZZ Top: „La Futura“ sucht die Zukunft der Band in der Vergangenheit. Was keine so große Überraschung wäre, wenn es nur ihre eigene Vergangenheit wäre. Doch legt das Album gleich mit einem echten Coup los, wenn die drei eine auch schon etwas betagtere Hip-Hop-Vorlage aus Houston („25 Lighters“ von DJ DMD) in den schmutzigen Groove-Gurgler „I Gotsta Get Paid“ transformieren. Auch „It’s Too Easy (Manana)“, eine auf Band-Belange heruntergebrochene und textlich frisierte Vorlage von Gillian Welch/David Rawlings, steht kaum unter Nostalgieverdacht. Derweil beackert „Chartreuse“ vertrautes Boogie-Terrain, spielen „I Don’t Wanna Lose, Lose You“ und der Stadion-Rocker, ,Flyin High“ mit 80ies-Reminiszenzen. Überhaupt klingt „La Futura“ so nah an der Band (als Band) wie lange kein Album mehr.

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