„Zickig und großherzig“: Velvet-Underground-Schlagzeugerin Moe Tucker erinnert sich an Lou Reed
"Wir machten Witze, dass ein Gig dann gut war, wenn möglichst viele Leute den Raum verlassen hatten": Die ehemalige Schlagzeugerin Maureen Tucker erinnert sich an ihre Zeit mit Lou Reed und The Velvet Underground.
In einem im „Observer“ abgedruckten Nachruf erinnerte sich Maureen „Moe“ Tucker, die ehemalige Schlagzeugerin von The Velvet Underground, an ihre Zeit mit Lou Reed. Lesen Sie einen Auszug ihrer bewegenden Worte hier in deutscher Übersetzung:
Lou war ein großer Pop-Fan. Er hatte diese außerordentliche Plattensammlung: alte 45er und Rock ’n‘ Roll aus den 50ern und Doo-Wop von Sängern, von denen ich nie was gehört hatte. Ich erinnere mich an einen Abend, als wir aus dem Village zurückkamen, und er spielte all diese fantastischen Singles auf seinem kleinen Mono-Plattenspieler. Dabei sagte er Dinge wie: „Hör dir den Drum-Sound auf dieser Platte an“ oder „Achte auf den kurzen Gitarrenteil“. Er war sehr detailverliebt. Er absorbierte so viele Details und steckte dann alles in die Velvets. Er wollte immer, dass wir im Studio so nah wie möglich am Sound eines Live-Gigs lagen.
[artist]Wir saßen niemals da und diskutierten, in welche Richtung wir gehen wollte und was dafür zu tun sei. Wir machten einfach Musik, eine Musik, wie niemand sonst sie machte, und wie sie zu der Zeit auch kaum einer hören wollte. Es war nicht Peace & Love, das war klar. Es ging nicht so sehr um Wir-gegen-die-Welt; es war eher wir-gegen-San-Francisco. Die Hippies da draußen hassten uns und wir mochten sie selbst auch nicht besonders (…). Lou hatte einen Ruf, auf jeden Fall. Er war tough und konnte sehr grumpy werden, und auch zickig. Aber ich merkte, dass seine Zickigkeit immer durch ein Gefühl des Ungenügens zum Vorschein kam. Egal, ob es ein Kellner oder ein Plattenproduzent war, er hat die Leute auseinandergenommen, wenn die Dinge nicht so liefen. (…) So war er einfach. Aber er konnte auch unglaublich ermutigend sein und großherzig. Er war immer ein guter Freund. Wir hatten dieses Bruder-Schwester-Verhältnis in der Gruppe, das noch lange anhielt, auch als die Band schon getrennt war. Wir haben uns immer Weihnachtskarten und Valentinstagskarten geschrieben. Es war eine dieser Freundschaften, bei denen es keine Rolle spielt, wie lange man sich nicht sieht. (…) Wenn du älter wirst, wird dir klar, dass diese Art von Freundschaften sehr selten sind. Ich vermisse ihn höllisch. Es dämmert mir erst allmählich, dass er nicht mehr irgendwo da draußen ist.
Als Sterling starb, war das scheiße, aber es war abzusehen. Was Lou angeht, ich hatte keine Ahnung, wie krank er war. Ich wusste von der Lebertransplantation, und ich wusste dass er nicht mehr der Alte sein würde, aber auf die Nachricht war ich echt nicht vorbereitet. Es war hart. Es ist hart.
Wir hatten eine Menge Spass, insbesondere wenn wir Leute verärgern konnten. Wir machten Witze, dass ein Gig dann gut war, wenn möglichst viele Leute den Raum verlassen hatten. Heute denke ich, dass das perfekte Zeiten waren. Wir haben uns zum richtigen Zeitpunkt aufgelöst und nur eine Handvoll großartiger Alben hinterlassen. Es war keine Karriere. Wir haben nicht weitergemacht wie viele andere, aber wir haben viele andere beeinflusst.
Andy ist gegangen, Sterling ist gegangen, Nico ist gegangen und Lou ist gegangen. Ich vermisse sie alle, aber besonders vermisse ich Lou. Er war ein großer Songwriter, der mit dem was er schrieb die Grenzen verschob. Aber noch wichtiger ist, dass er ein guter und loyaler Freund war. Es fühlt sich falsch an, ihm dieses Jahr keine Weihnachtskarte zu schreiben.
Der komplette Text im Original.