Zeuge des Zufalls
ÜNKTLICH SAGT HOWE Gelb morgens um elf ein waches „Hello“ in sein Hoteltelefon in Madrid. Was nicht selbstverständlich ist, weil er erstens eher kurz geruht hat, nachdem ihn der „erstaunliche Gitarrist“ Raimundo Amador noch für eine lange Nacht in diesen „hidden club“ geschleppt hatte. Und weil sich Gelb zweitens auf „The Coincidentalist“ mit „Running Behind“ ja selbst des notorischen Zuspätseins bezichtigt. Was ihn aber nicht daran hindert, auch mal genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Wie im Februar, als er erst den Rückflug von einer Solotour verschieben musste. Und dann am 13. in der Security-Schlange in London-Heathrow plötzlich seinen Namen hörte, bevor sich der Rufer als Gary Briggs vorstellte. Wenig später saßen der A&R-Mann von New West und Gelb nebeneinander in Reihe 13. Und noch ein paar Stunden und viele warme Worte später, hatte der Mann aus Tucson, Arizona endlich wieder eine Plattenfirma, „die auch in meiner Zeitzone“ zu Hause ist.
In Nashville durfte Gelb dann auch gleich auf der New-West-Geburtstagsparty mitmischen. Wobei ihm vor allem die Veränderung der Stadt in Erinnerung geblieben ist. „Früher wirkte Nashville wie verflucht von den Leuten, die irgendwo ihre Familien zurückgelassen hatten, um mit ein paar Songs ein paar Dollars zu verdienen. Machte mich immer depressiv. Jetzt hab ich mich fast verliebt! Nashville rockt! Aber jeder dort hat einen Song – und das ist dann auch ein bisschen viel“, resümiert Gelb lachend.
Gäste aus Nashville fehlen zwar auf „The Coincidentalist“. Dafür singt einer im Geiste alter Country-Größe(n). Gelbs Idee nämlich, „einen Song zu schreiben, den schon George Jones und Merle Haggard in den Siebzigern hätten singen können“. Nun teilen sich Will Oldham und Howe Gelb „Vortexas“, was nichts mit Texas zu tun hat, sondern, so Gelb, ein „liebevoller“ Neologismus für Tucson sei -und auch ein „tongue-in-cheek“-Wortspiel mit der Vorstellung, es könne in Arizona magische Orte geben, die Zufälle in Vorhersehung verwandeln.
Weniger metaphysisch ist Gelbs Arbeitsbeziehung zu KT Tunstall, deren letztes Album „Invisible Empire // Crescent Moon“ er in Tucson produziert hatte. „Ich konnte ihr zeigen, wie man ohne viel Geld viel schafft“, rekapituliert Gelb. Er habe von Anfang an lernen müssen, „sehr schnell zu arbeiten. Es war interessant für mich, zu sehen, wie das in einer Produktion für jemand anders funktioniert.“ Wobei es half, dass die Schottin, wie Gelb staunt, „ungeheuer schnell“ im Kopf sei. „Wie da plötzlich eine Melodie aus ihr rauspurzelt – wow!“
Einen anderen Song seines neuen Albums, „Picacho Peak“, hat Gelb indes allein bestritten, seine Hommage an den Vulkanberg, der ein Wahrzeichen für Tucson ist. Und dafür nicht mal in der Stadt stehen muss, sondern mal wieder „mitten im Nichts“, 50 Meilen raus nach Nordwesten. Gelb schrieb es im Auto. „Es war spät, und der Berg hob sich gegen den Nachthimmel ab.“ Seine Texte, so Gelb, strömten heute „like a slipstream“ durch ihn hindurch, die ganze Bedeutung erschlösse sich oft erst später. „Meine neue Art zu schreiben unterhält zumindest mich ganz gut und lässt mich auch zum Unbewussten vordringen, mit Worten, die erst nur aus der Melodie kommen. Und dann doch oft wahr werden – was dann wirklich weird ist.“
Noch in Madrid, ist Gelb eigentlich schon auf dem Sprung zurück nach Tucson, wo mit John Doe ein Klient für seine nächste Produktion aus Los Angeles angereist ist. „Er war in meiner Lieblingsband, als wir damals ihre Show eröffnen durften“, erinnert sich X-Fan Gelb. Und X-Gitarrist Billy Zoom sei einer der Gründe, „warum ich mich dann für Gretsch-Gitarren entschied“. Seit zehn Jahren ist er nun schon mit Doe befreundet, ausnahmsweise mal ein Idol, das sich bei näherem Kennenlernen nicht als Enttäuschung entpuppte, wie Gelb dankbar registriert.
Doch ob Tucson oder L. A., Madrid oder Mailand, für den Kosmopoliten Howe Gelb, der auch viele Sommer in der dänischen Heimat seiner Frau verlebt hat, entscheidet letztlich das Klangbild. „Länder und Grenzen“, hat er erkannt, „ergeben sich für mich aus einem Sound, nicht aus der Geografie. Man ist ein Bürger der Platten, die man hört. Ich spiele in Tokio, Neuseeland oder New York -und überall finden sie die gleiche Platte von Nick Cave oder Bonnie ,Prince‚ Billy toll.“
Die eine oder andere Platte von Howe Gelb und seiner Band Giant Sand wird aber ganz sicher auch dabei sein.