Zerstörung und Übertreibung
Andreas Dorau liebt den Sound von Phil Spector und den genialen Dilettantismus von Die Tödliche Doris
Phil Spector habe ich schon als Kind geliebt, „Be My Baby“ war eine Offenbarung. Bei dem Album „A Christmas Gift For You“ sind mir einmal sogar die Tränen gekommen, so bewegt war ich – traurig und glücklich zugleich. Eigentlich sind Weihnachtsplatten ja das Allerletzte, kein Künstler macht so etwas freiwillig, es sei denn, er ist total abgebrannt. Aber wenn The Crystals „Rudolph The Red-Nosed Reindeer“ singen und Spector dazu sein donnerndes Feuerwerk abbrennt, mit viel Inbrunst und Drive, dann finde ich das wahnsinnig faszinierend. Als ich mit dem Musikmachen angefangen habe, herrschten andere Klangideale, doch Phil Spector genoss immer noch ein hohes Ansehen. Er selber war ein bizarrer Typ und sein Wall of Sound eine einzige pervertierte Übertreibung.
Anfang der Achtziger wollte man weg vom Rock; in Deutschland schaffte das kaum jemand so gut wie Die Tödliche Doris. Blixa Bargeld, dieser existenzialistische Leidensmann in Leder, war nur ein weiterer Jim Morrison. Aber Die Tödliche Doris haben Kunst einem Publikum zugänglich gemacht, das sich für so etwas überhaupt nicht interessiert. Mit Wolfgang Müller, dem Kopf des Berliner Trios, arbeite ich schon seit vielen Jahren zusammen, auch auf meinem neuen Album „Todesmelodien“.
Etwa zur gleichen Zeit wie Die Tödliche Doris habe ich auch die Flying Lizards entdeckt. David Cunningham ist ein E-Musiker, der irgendwann anfing, Pop-Platten aufzunehmen und mit „Money“ bis in die britischen Top-10 kam. Das ist eine Haltung, die mir gefällt. Am Anfang meines Musikschaffens musste ich auch vor einem sitzenden Kunstpublikum spielen – so etwas möchte ich heute nicht mehr machen. Auch wenn ich inzwischen mit dem Wort „Pop“ meine Schwierigkeiten habe, weil es längst so abgegriffen ist wie Punk und Rock’n’Roll.
Anfang der Achtziger ging es im Pop vor allem um eine Haltung, die mit Musik unterlegt wurde. Bei Haircut 100 standen vor allem die lässigen Pullover im Mittelpunkt. ABC spielten mit der an sich naiven Idee der großen Geste – ohne Trevor Horn hätte sich das allerdings niemand anhören wollen. Ich finde, Musik sollte immer eine Idee haben. In meinen Songs vermischen sich gleich zwei: Die Abschaffung der Musik – wie bei der Tödlichen Doris. Und die Übertreibung der Musik – wie bei Phil Spector. Ich erinnere mich, dass ich in der Schule herumgelaufen bin und „Zyklon B Zombie“ von Throbbing Gristle vor mich hin gesungen habe. Nicht wegen des schockierenden Themas, sondern weil das Stück zwei Dinge vereinte, die mir auch heute noch wichtig sind: Melodie und Krach. Aufgezeichnet von Jürgen Ziemer