Zero Dark Thirty – „Ich bin der Motherfucker“
Die oscarprämierte Regisseurin Kathryn Bigelow hat mit "Zero Dark Thirty" einen harten Film über die Jagd auf Osama bin Laden gedreht: Sie richtet ihren Blick dabei auf die CIA-Agentin, die bei dieser Geheimoperation die entscheidende Rolle spielte.
„Wer ist die denn?“, fragt ein ranghoher Offizier in die Runde. Die versammelten Militärexperten, die gerade das Miniatur-Modell von Osama bin Ladens Unterschlupf in Abbottabad studieren, schauen hoch und starren auf eine rothaarige Frau, die unauffällig an der Wand lehnt. Jessica Chastain, die im Film die CIA-Agentin Maya spielt, reagiert ganz cool. „Ich bin der Motherfucker“, sagt sie, „der sein Versteck überhaupt erst aufgespürt hat.“
Die Motherfuckers, die der bislang unbekannten CIA-Agentin auf die Spur kamen, sind Regisseurin Kathryn Bigelow und Drehbuchautor Mark Boal, die bereits 2009 für ihren Irak-Film „The Hurt Locker“ mit sechs Oscars ausgezeichnet wurden. Ihr neuer Film „Zero Dark Thirty“, der am 31. Januar in die deutschen Kinos kommt, behandelt die nervenaufreibende Jagd auf bin Laden, ohne dabei auf die parteipolitische Gemengelage in den USA Rücksicht zu nehmen. Cheney, Bush oder Rumsfeld glänzen durch Abwesenheit, während das ominöse „Waterboarding“ und andere Foltermethoden in einer Eindringlichkeit dargestellt werden, die den Kinosessel zum elektrischen Stuhl machen. Vor allem aber richtet der Film das Scheinwerferlicht auf die beinharte CIA-Agentin, die den Staatsfeind Nummer eins ins Fadenkreuz zerrte, selbst aber ein unbeschriebenes Blatt blieb.
Vor zwei Jahren hatte Bigelow eigentlich mit der Arbeit an einem ganz anderen Film begonnen, es sollte nämlich um „die erfolglose Jagd auf bin Laden“ gehen. Das Drehbuch – das Bigelow und Boal noch irgendwann umsetzen möchten – thematisiert die zwei Wochen, in denen die Spezialeinheit „Delta Force“ die Höhlen von Tora Bora durchkämmte, in denen sich bin Laden angeblich versteckt hielt. Als ihre Crew gerade nach geeigneten Drehorten suchte, verkündete Präsident Obama am 1. Mai 2011, dass bin Laden bei der nächtlichen Erstürmung seines Verstecks erschossen worden sei.
Boal, der auch für den ROLLING STONE schreibt, wärmte seine CIA-Kontakte wieder auf und begann daraufhin praktisch von vorne. „Nach ein paar Monaten hatte sich vor allem ein Punkt herauskristallisiert“, sagt er, „dass nämlich Frauen nicht nur generell in der CIA eine immer wichtigere Rolle spielen, sondern auch in diesem Team prominent vertreten waren. Ich erfuhr unter der Hand, dass eine Agentin als CIA-Liaison bei der Erstürmung beteiligt gewesen sei – und das war der Ausgangspunkt unserer Geschichte.“
Boal stieß auf weitere Informationen über eine junge Agentin, die gleich vom College zur CIA geholt worden sei und seitdem mit nichts anderem beschäftigt war, als die Jagd auf bin Laden voranzutreiben. „Ich persönlich war völlig überrascht, dass es diverse Frauen gab, die in dieser Operation eine entscheidende Rolle spielten“, sagt Bigelow. Laut Boal basiere Mayas zwanghafte Verbissenheit „auf einer realen Person, aber sie reflektiert auch die Arbeit anderer Frauen, die an der Operation beteiligt waren“.
Die beiden gingen das Risiko ein, ihre Geschichte zu erzählen, bevor die Historiker das abschließende Urteil über den Vorfall gefällt hatten. Er sei daher durchaus erleichtert gewesen, so Boal, als seine Darstellung in jüngsten Augenzeugenberichten bestätigt wurde – nicht zuletzt in dem Buch des Navy Seals Team 6 („Die Einheit, die Osama bin Laden tötete“), in dem eine kesse CIA-Agentin mit dem Spitznamen „Miss 100 Percent“ behauptet, dass sich bin Laden tatsächlich in dem Gebäude aufhalte.
Wie schon „The Hurt Locker“ verzichtet auch „Zero Dark Thirty“ auf hochtrabende Dialoge zum Thema Terrorismus. „Wenn eine Einheit im Einsatz ist und beschossen wird“, so Boal, „wird nicht über die geopolitischen Konsequenzen gesprochen.“ Nichtsdestotrotz löste der Film schon lange vor Veröffentlichung heftige Kontroversen aus. „New York Times“-Kolumnistin Maureen Dowd schrieb, dass „der Film zweifellos die mutige Entscheidung des Präsidenten reflektieren wird, der trotz aller Unwägbarkeiten kühl den Befehl gab“. Das konservative Lager hingegen schäumte, weil der Film nackte Wahlkampf-Propaganda für Obama betreibe. Bigelow räumt ein, es sei „irritierend“ gewesen, von diesen voreiligen Reaktionen zu erfahren, während sie auf der anderen Seite der Erde noch mitten in den Dreharbeiten steckte, ja „bevor Mark überhaupt sein Drehbuch abgeschlossen hatte“.
Obama taucht tatsächlich nur einmal kurz in einem News-Clip auf (in dem er davon spricht, dass „Amerika keine Folter anwendet“). Und seine Entscheidung, die Erstürmung des Hauses noch einmal zu verschieben, treibt CIA-Agentin Maya sichtlich auf die Palme. Kein Wunder, dass Rupert Murdochs „Fox News“, die dem Film zunächst reflexartig parteipolitischen Absichten unterstellt hatte, inzwischen überraschend positiv urteilt: Wer geglaubt habe, dass „Zero Dark Thirty“ ein einziges Obama-Freudenfest sei, „sollte seine Meinung vielleicht noch einmal überdenken“.
Wir alle wissen, wie der Angriff in Abbottabad endet, aber es ist eine Sache, von der Operation zu lesen – eine andere, die von Bigelow minutiös rekonstruierte Erstürmung hautnah zu erleben. „Es war die extremste Produktionserfahrung, die ich je gemacht habe: kaum Licht, 150 Mann Crew, 22 Schauspieler – und dann rattern im Dunkeln die Hubschrauber.“ Ein unbewaffneter bin Laden wird erschossen, kaum dass er auftaucht. „Können Sie sich vorstellen, was in den Köpfen dieser Jungs vorgegangen sein muss?“, fragt Bigelow. „Du hast das Gelände bis ins letzte Detail studiert. Der Hubschrauber stürzt ab. Du überlebst und springst auf den Boden. Du schaust hoch – und hast das wirkliche Gebäude vor dir. Ich denke, da sagt man sich:, Heute Nacht wird Geschichte geschrieben.'“ LOGAN HILL