Zen und Kokolores
Die bewährte Love & Peace-Mixtur hat Hippie-Autor Tom Robbins diesmal mit einer Prise Opium gestreckt
Robbins fahrt mal wieder mächtig auf. Man kennt das. Die drei Vietnamkämpfer Stubblefield, Goldwire und Foley, veritable Kriegshelden, die aber auch schon mal die Bombenschächte ihrer B-52 über dem Meer leeren, wenn Zivilisten zu Schaden kommen könnten, desertieren irgendwann und flüchten nach Laos in ein abgeschiedenes Bergdorf. Die Menschen dort sind gastfreundlich, die drei dürfen bleiben und steigen an die Spitze der dörflichen Hierarchie, als sie sich um den Vertrieb von Schlafmohn-Folgeprodukten kümmern und so den kommunalen Säckel füllen. In einer Art „Apocalypse Now“-Gegenentwurf errichten sie hier einen menschenfreundlichen, völlig herrschaftsfreien, nach höherer Weisheit und tiefer sexueller Befriedigung strebenden Harem in einem verfallenen Herrschaftshaus – eben jener dem Buch den Titel gebenden „Villa Incognito“. Das Paradies hat nur einen Fehler: Es basiert auf Drogengeldern. Auch wenn sie peinlich darauf achten, daß ihr Heroin-Substrat nur an illegale Sterbekliniken gelangt, um Todkranken ein Abtreten in Frieden und Würde zu ermöglichen, sattelt der Moralist Goldwire schließlich auf Rubine um. So ganz geheuer scheint Robbins das eigene Hohelied auf dieses wirksamste aller verfügbaren Schmerzmittel nicht zu sein.
Der Garten Eden ist in Gefahr, als 30 Jahre später Foley bei einem Kurierjob mit vielen kleinen Päckchen weißen Pulvers geschnappt und als „missing in action“ identifiziert wird – was nun natürlich die CIA und die zuständige Spezialeinheit der Armee auf den Plan ruft…
Das ist aber nur der Haupthandlungsstrang. Robbins hängt noch viele kleine Plotgirlanden dran, in denen Foleys verrückte Schwestern auftauchen, die Zirkuskünstlerin Lisa Ko, eine Art nymphomane Halbgöttin, Nachfahrin einer Menschenfrau und eines Tanukis, dieser bemerkenswerten japanischen Dachsart mit überdimensionalen Klöten… Na, und so weiter.
Robbins‘ Romane sind auch deshalb so kurvig und fintenreich, um das besser goutierbar zu machen, worauf es ihm primär ankommt: die endlose Schwadronage über die großen Hippie-Themen. Die drei Hauptfiguren in „Villa Incognito“ (Rowohlt, 14,90 Euro) sind denn auch typische Charaktere aus dem Marihuana-verqualmten Kosmos des Autors: so blitzgescheite, stupend gebildete, rhetorisch dermaßen beschlagene Krausköpfe, daß man ihnen trotzdem zuhört, auch wenn sie nur wieder mal über die offene Wunde Vietnam, den unaufhaltsamen Niedergang Amerikas durch Bigotterie, Korruption und Konsumismus, über Umweltverschmutzung, die mildtätige Wirkung von Drogen, über fernöstliche und abendländische Philosophie und natürlich über die Liebe bzw. deren fleischliches Surrogat debattieren. Und gerade letzteres wird dann auch nicht bloß zerredet, sondern vielfältig und phantasievoll und mit der Robbins eigenen Detailgenauigkeit vorgeführt.
Der Mann hat genügend Patschuli und Dope inhaliert und zudem lange genug herumstudiert, um die Love & Peace-Standards nach allen Regeln der Kunst durchdeklinieren zu können, aber er meint das nie ganz ernst. Vielmehr macht er sich und dem Leser – einen Spaß daraus, transzendentale Dickdenkerei ansatzlos in den größten Unsinn umkippen zu lassen. Den schönsten Schwurbel legt er Major Stubblefield in den Mund, dem intellektuellen Gravitationszentrum des Romans. Robbins‘ Sprachrohr beendet einen langen Vortrag über die mögliche Beschaffenheit der Seele mit einem Gleichnis, demzufolge man sich das ganze Problem am besten als Witz vorstellen möge, „einen langen Witz, der immer wieder erzählt wird, aber mit einem derart stark aufgetragenen und fremdartigen Akzent, daß ihn nie jemand so ganz versteht. Das Leben ist dieser Scherz, meine Freunde. Und die Seele seine Pointe.“ Dann besinnt er sich und schickt noch was hinterher. .Aber diese letzte Bemerkung wollen wir nicht in Stein meißeln. Abgemacht? Sie könnte eine tiefe Wahrheit enthalten, aber vielleicht ist sie auch nur Schwachsinn.“
So verhält es sich auch mit den meisten dieser metaphysischen Exkurse. Sie haben etwas von dem notorischen Zen-Kokolores: Klingt alles ganz gut und schön, ist aber unterm Strich doch bloß fauler Zauber. Bei ihm gehört das zum komischen Kalkül. So macht er sich von Anfang an über die Form der buddhistischen Spruchweisheiten lustig, wenn er die Maxime ausgibt und von verschiedenen Romanfiguren wie ein Mantra wiederholen läßt: „Es ist, was es ist, und ich bin, was ich es.“
Der ganze Roman ist ein Spiel mit der Scharlatanerie. Auch die ganz profane Binnenerzählung, die jäh endet mit den Ereignissen vom 11. September, versucht er mit einer quasi-mythischen Rahmenhandlung ins Übernatürliche zu verlängern. Hier läßt er den Ur-Ur-Großvater von Lisa Ko auftreten, jenen archetypischen Tanuki, der sein gewaltiges Skrotum als Fallschirm benutzt, um aus der Welt der „animalischen Ahnen“ herunterzusegeln, sich mit Menschenfrauen zu paaren und fässerweise Sake zu saufen. Gelegentlich geht einem dieser Schamanismus auf die Nerven, aber dann kann man sich immer noch an seinem Sprachwitz treuen, der sich vor allem bei den vielen Vergleichen deutlich von Raymond Chandler hat inspirieren lassen: „So gelb wie der Zahn eines Rauchers tauchte im ausgetrockneten Mund des Morgens plötzlich ein Taxi auf.“
Die oft als „Geschwätzigkeit“ abgetane Beschreibungspotenz Robbins‘ ist von ganz eigener Qualität und fast allen Weltphänomenen gewachsen. Auf drei Buchseiten kann er sogar aus simpler Mayonnaise eine poetische Epiphanie zaubern. Das ist nicht geschwätzig – das ist Kunst.