Zeit der Zauberei – Filmemacher Uli Edel im Interview
Regisseur Uli Edel über seine Serie "Houdini" und die neuen Möglichkeiten des Fernsehen
Er baumelt kopfüber viele Meter über der Straße, ohne Netz und doppelten Boden, in einer Zwangsjacke steckend. Schon beim Zuschauen schwillt einem der Schädel an, doch natürlich wird sich dieser Mann befreien und einen weiteren Sieg über die Realität feiern. Er ist Houdini. Harry Houdini, größter Entfesselungskünstler aller Zeiten. Eigentlich der einzige, der zählt. David Copperfield besitzt eine riesige Sammlung von Houdini-Memorabilien, Siegfried & Roy bewunderten ihn. Und auch ein deutscher Regisseur sah sich immer wieder gern die Verfilmung seines spektakulären Lebens mit Tony Curtis an: Uli Edel.
Den Mann, der 1981 mit dem hyperrealistischen Film über „Christiane F.“ berühmt wurde, faszinierte die „gewisse Todessehnsucht“, die Houdini bei aller Präzision, mit der er seine Zaubertricks vorführte, in sich trug – um sie dreht sich seine Miniserie „Houdini“ (jetzt auf DVD). Uli Edel sitzt in dem Berliner Hotel, in dem er vor drei Jahren die Serie „Das Adlon“ drehte, und freut sich immer noch, dass er den Oscar-Preisträger Adrien Brody für die Hauptrolle gewinnen konnte: „Wir verstanden uns auf Anhieb. Adrien machte schon als junger Mann Zauber-Performances, während ich als Kind immer meinen Vater bewunderte, der als Hobby-Magier auftrat. Ich wollte die Tricks herausfinden.“
Spektakel und Drama
Brody spielt den Zauberer so eindringlich, dass man seinen Ehrgeiz und seine Verzweiflung fast greifen kann. Harry Houdini, 1874 als Erik Weisz in Budapest geboren, ließ sich lebendig begraben und in Wassertanks stecken, fing mit dem Mund Pistolenkugeln auf – und starb 1926 an einer schnöden Bauchfellentzündung. So viel Spektakel und Drama steckt in dieser Geschichte, dass Edel keine weiteren Kunstgriffe brauchte, um eine spannende Serie zu erschaffen; nur Houdinis ständige Kommentare aus dem Off nerven hin und wieder ein wenig.
„Qualitativ hat das Fernsehen das Kino in den letzten Jahren überholt, die großen Talente strömen dorthin“
Für Edel der schwierigste Zaubertrick: Wie kriegt man in 46 Tagen eine vierteilige, hochwertige Serie hin, deren Stunts realistisch wirken? Eine logistische Höchstleistung, aber überhaupt kein Grund zum Jammern: „Das Fernsehen hat vielleicht nicht die Budgets der großen Filmstudios, aber das gilt ja fast nur noch für Comic-Superhelden-Verfilmungen. Qualitativ hat das Fernsehen das Kino in den letzten Jahren überholt, die großen Talente strömen dorthin. Mit der Globalisierung und der Demokratisierung der Medien, der Zugänglichkeit für alle verschieben sich die Lager komplett. Inzwischen haben so viele zu Hause HD-Fernseher, die im Verhältnis zur Sitznähe so groß sind wie die Kinoleinwände. Und man kann frei wählen: was man will, wann man will. Es ist eine andere Form des kollektiven Erlebens. Die Leute sitzen nicht mehr gemeinsam in einem dunklen Saal, aber sie sprechen weltweit über die neue Folge von ,Homeland‘ oder ,Game Of Thrones‘.“
Das Format Serie ist für ihn einfach eine „Langform des Erzählens, nichts anderes“ – mehr Zeit, weniger Zwänge. Die Mär, dass man noch mehr Kompromisse als beim Film machen müsse, um die richtige Quote zu erzielen, kann Edel nicht bestätigen. Er ist aber auch ein Pragmatiker, der aus Erfahrung ohnehin gewisse Abstriche macht: „Billy Wilder sagte mal: Wenn er 60 Prozent seiner Vision auf der Leinwand sieht, muss er zufrieden sein. Das stimmt – und dann will man natürlich auch so viele Leute wie möglich erreichen. Kino oder Fernsehen – das ist ja keine Elite-Kunst für kleine Galerien, sondern eine Kunst, die weltweit gesehen wird.“ Sein „Adlon“ lief auch in China und Südamerika, die Zimmerreservierungen haben sich seitdem angeblich vervielfacht – und beim ZDF, wo man lieber nur zwei statt drei Folgen bestellt hätte, hat man sich wohl geärgert, dass nicht gleich zehn gedreht wurden.
Die Tricks sind gar nicht der Kern von „Houdini“, sondern dessen Impetus, immer an die Grenzen zu gehen
Edel lebt seit Langem in L.A. und hat inzwischen auch einen amerikanischen Pass, sieht sich aber immer noch als Europäer, als „deutschen Reisenden“. Eine Gemeinsamkeit mit dem Exil-Ungarn Houdini, der in den USA die Massen verzauberte, bis das Kintopp kam und Charlie Chaplin plötzlich viel aktueller wirkte. Die Vaudevilles wurden leerer, alle liefen ins Kino. Doch wenn ein Elefant von der Leinwand verschwindet, ist das keine rechte Sensation. Klassische Magie wirkt dort nicht so eindrucksvoll wie auf der Bühne – ein Problem, vor dem nun auch Edel stand. Außerdem wurde er vom amerikanischen Magierverband dringend darum gebeten, nicht zu viel zu verraten. Doch die Tricks sind gar nicht der Kern von „Houdini“, sondern dessen Impetus, immer an die Grenzen zu gehen. Houdini hatte erkannt, dass verzweifelte Zeiten ebensolche Show-Acts brauchen. „Er hatte ein Gespür für die archaischen Bedürfnisse der Menschen. Etwa wenn er mit der Zwangsjacke kopfüber an dem Kran hängt und der Masse zuruft: ,Kein Gefängnis der Welt kann Houdini festhalten!‘ Es war die Zeit nach der Großen Depression, als Millionen von Immigranten nach Amerika geströmt kamen. Sie alle wollten ihren Fesseln, ihren Zwängen entkommen – und da oben bewies einer, dass es möglich ist, sich aus eigener Kraft zu befreien.“ Dieser Zauber ist kein alter Zopf, er wird heute nur moderner vermittelt. Houdini schenkte all den Unfreien eine Illusion, die Jahrzehnte später ein anderer in drei Worte fasste: „Yes We Can“.