Zehn Tage in Ketten
Sehnenscheidentzündungen, Belästigung durch Harald Juhnke, eine Kantinen-Frau als Stones-Mitglied und ein mies gespielter Super-Hit: Wie die Fehlfarben 1980 das größte deutsche Punk-Album "Monarchie und Alltag" produzierten
Die selbst gepreßte Single „Abenteuer & Freiheit“, mehr Referenzen hatten Fehlfarben nicht, als sie im August 1980 für zehn Tage ins Studio gingen, um für die Kölner EMI ihr erstes Album zu machen. „Monarchie und Alltag“ wird oft als größte deutsche Punk-Platte gefeiert – mit über 250 000 Exemplaren wohl auch die erfolgreichste. Peter Hein und Thomas Schwebel erinnern sich.
DER PRODUZENT
Peter Hein: Am Anfang haben wir ein paar Nummern in der Klangwerkstatt in Düsseldorf aufgenommen. Michael (Kemner) und Frank (Fenstermacher) haben die als Demos zu Verlagen geschleppt, aber alle haben abgelehnt. Horst Lüdtke war damals Plattenverkäufer in der Altstadt, und anscheinend war er mit den Klangwerkstatt-Leuten befreundet. Der hat uns da gehört und kennengelernt. Und kurz darauf hatte der einen Job bei der EMI. Thomas Schwebel: Lüdtke war A&R, und natürlich hat dem erst mal niemand geglaubt bei der EMI, also daß das irgendwas werden könnte mit Fehlfarben. Der war schon ein bißchen der Außenseiter da. Aber der damalige Chef der EMI, Manfred Zumkeller, war auch ein guter Typ. Der hat einfach gesagt: Hier ist Etat, also machen ‚Se mal… Der Lüdtke hat schon auch gute Sachen gesagt im Studio. Und er hat darauf bestanden, daß „Es geht voran“ überhaupt auf die Platte kommt.
DAS STUDIO
Schwebel: Das war ja ein gigantisches Ding bei der EMI, eine klassische Musikfabrik. Nebenan hat Harald Juhnke mit der Max-Greger-Big-Band aufgenommen, der torkelte dann auch wirklich besoffen an uns vorbei. Es gab eine spezielle Künstlerkantine mit zwei alten Damen an der Theke, Mutter Pesch und Frau Schmitz, großartige Kölner Originale. Die hatten null Ehrfurcht, egal, wer da reinkam. Es gab sogar ein Foto von Mutter Pesch, wie sie mit dem Kochlöffel im Studio die Stones dirigiert, und am nächsten Tag hat sie zu mir gesagt: „Oh, der Jagger ist ja irgendwie ganz nett, ’n höflicher Mann, und der Keith Richards -’n bißchen dreckig und komisch, aber eigentlich auch ganz charmant.“ Am nächsten Tag kam dann die Fußballnationalmannschaft, und da sagte sie hinterher: „Paul Breitner, das ist ’n Arschloch gewesen, ein arroganter Sack…“
DAS COVER
Schwebel: Das hat unser Schlagzeuger zusammmen mit einem Fotografen gemacht. Das Haus ist irgendwo in Wuppertal, das steht angeblich schon lange nicht mehr. Das war ja auch nur aus einem Haufen von Alltagsbildern gezogen worden, „die grauen Städte“ oder so was. Der ist nicht gezielt irgendwo hingefahren. Hein: Von Mittagspause her hatten wir das Konzept, daß unsere Gesichter auf keiner Plattenhülle drauf sein sollen. Auf dem Innencover sind ja auch konsequent unscharfe Fotos von uns, bis auf das von Micha. Der konnte nicht widerstehen…
LIED 1: „HIER UND JETZT“
Hein: Der Text ist von Thomas. „Die zweite Hälfte des Himmels könnt ihr haben“, das spielt auf so ein Frauenbewegungs-Zitat an, das damals aktuell war. Schwebel: Live klangen wir ganz anders. Das hat auch damit zu tun, daß diese Studioerfahrung für uns zwischen Abenteuerspielplatz und völliger Überforderung lag. Wobei wir damals gar nicht glücklich waren mit dem Sound der Platte, der kam uns viel zu soft vor. Es war teilweise schon schwer, mit den Technikern zu arbeiten, die uns da vorgesetzt wurden. Einmal hatten wir einen Tag lang einen, der sonst nur Schlager gemacht hat – die Aufnahmen klangen sowas von schlapp, daß wir die sofort heimlich gelöscht haben, was wir ja gar nicht durften. Andere Techniker haben sich gefreut, daß sie mal andere Sachen machen konnten. Die wollten ja auch nicht immer nur Heino aufnehmen. Insofern wurde das dann sehr harmonisch.
LIED 2: „GRAUSCHLEIER“
Hein: Das ist von mir. Paßt gut zu „Hier und jetzt“? Ja, Thomas und ich waren damals ein gutes Team, obwohl wir eigentlich nie gemeinsam komponiert haben. Wir haben einfach das genommen, was schon da war. Ich weiß gar nicht, ob das damals noch aktuell war, aber irgendein Henkel-Waschmittel hatte den Werbespruch mit dem „Grauschleier“. Damals habe ich noch bei meinen Eltern gewohnt, und wer wäscht da wohl? Ich kannte auch keinen, der alleine gewohnt hat und eine eigene Waschmaschine hatte. Das war die große Zeit der Waschsalons.
LIED 3: „DAS SIND GESCHICHTEN“
Hein: Ein philosophisches Stück? Kann schon Absicht gewesen sein, wir waren damals eigentlich ziemlich schlau, die Proll-Phase kam erst später. Camus und „Moralia“ war sehr angesagt, aber wir haben das nicht kapitelweise abgeschrieben. Schwebel: Das ging im Grunde ja alles so schnell und ohne Grübeln. Das fiel einem zu, man hat es hingeschrieben -ja, super, genau so muß man das sagen. Von solchen Sachen ist ja die ganze Platte durchzogen. Auch wenn das prätentiös klingt, da hat sich für einen Moment aus verschiedenen Leben und Persönlichkeiten was verdichtet, das die Zeit, in der es entstanden ist, komplett auf den Punkt bringt.
LIED 4: „ALL THAT HEAVEN ALLOWS“
Hein: Vielleicht das einzige Stück, bei dem man offensichtlich erkennt, daß es ein Liebeslied ist. Aber da sind schon mehrere dabei. Schwebel: Komischerweise ist das Stück, das am persönlichsten klingt, von uns beiden. Jeder hatte ein Lied in der Richtung, und das haben wir zusammengepackt.
Und da haben wir echt gedacht: Das wird richtig Ärger geben mit der Ratinger-Hof-Fraktion. Für wesentlich mehr Leute haben wir das alles ja gar nicht gemacht. Hein: Der Titel kommt von einem Film von Douglas Sirk, einem Melodram. Melodramen standen in schlechtem Ruf damals, und wir wollten die rehabilitieren.
LIED 5: „GOTTSEIDANK NICHT IN ENGLAND“
Schwebel: Im Grunde genommen sagt das ja alles. Da gab’s natürlich viele Leute: „Schneid dir die Haare, bevor du verpennst“, das ist ja ziemlich eindeutig…
Hein: Der Titel ist doch das Allerstumpfste, das kommt von „Thankfully Not Living In Yorkshire“ von Dexys Midnight Runners, einfach übersetzt. Und eine uns damals relativ nahestehende Band (DAF, Anm. d. Red.) ist ja nach England gegangen. Und wir Gott sei Dank nicht. So einfach war das.
LIED 6: „MILITURK“
Schwebel: Das war die Geschichte: Was passiert, wenn die Türken in Berlin jetzt alle Ost-Agenten werden? Die beiden Feindbilder schlechthin für die „Bild“-Zeitung, die verbünden sich jetzt und übernehmen den Laden. Hein: Die endgültige Teilung Deutschlands war schon damals unser Auftrag (lacht). Das war ein alter Live-Knaller und vor allem schön lang, drei, vier Minuten. Zähl mal die Stücke auf der Platte und rechne die Zeit zusammen… Schwebel: Mißverständnisse gab das damals nicht, weil die Vorstellung von rechter Rockmusik noch sowas von absurd war. Auf der anderen Seite lag in solchen Texten auch eine Falle. Als wir 1982 in Holland tourten, lief „Es geht voran“ da nicht im Radio. Die wollten keine Deutschen „Es geht voran“ singen hören.
LIED 7: „APOKALYPSE“
Hein: Die ganzen Bundeswehr-Waffen, die hier aufgezählt werden – du brauchtest ja nur eine einschlägige Zeitschrift aufschlagen, da war die Werbung dafür. Das ist auch ein Mittagspause-Lied, da hieß es noch „Ernstfall“, mit anderer Musik. Weil ich ja ’ne faule Sau bin, hab ich die Texte, die ich okay fand, einfach mitgenommen. Schwebel: Ich war damals noch dabei, die Bundeswehr zu umgehen. Ich hab dann zum Glück einen Arzt gefunden, dessen Sohn Fehlfarben-Fan war. Dem hab ich gesagt: Wenn ich jetzt beim Bund verschwinde, dann gibt’s keine Konzerte und nix…
LIED 8: „EIN JAHR (ES GEHT VORAN)“
Schwebel: Wir hatten live immer ein Stück im Set, das so ’ne versuchte Disco-Funk-Nummer war, das wurde mehr oder weniger improvisiert. Und dann waren wir den ersten Tag im EMI-Studio und sollten zum Gewöhnen ein Stück spielen, und dann haben wir das eben gespielt. Hein: Das hatte keinen Text, den hab ich im Studio gemacht. Ich hatte unheimlich viele Worte, die paßten nicht alle, Frank hat mir geholfen. „Graue B-Film-Helden“? Klar, das war Reagan. Der war mitten im Wahlkampf. Schwebel: Wir fanden es total scheiße, weil es so schlecht gespielt war, schlapp im Vergleich zu den Live-Versionen. Wir sind im Laufe dieser Studioarbeit einfach besser geworden. Deswegen wollen wir es eigentlich nicht auf der Platte haben. Hein: Man sagt im Studio ja erst mal: Ja, nimm auf, ist mal was anderes! Daß das ’ne Hit-Qualität hat, hätte keiner von uns gedacht.
LIED 9: „ANGST“
Hein: Das war eben eine depressive Zeit. Der lustige Sommer war 77/78, danach war nichts mehr so lustig, Ausgehen, Stadt, Band-Sein… Da ging das los mit den ganzen Komisch-Punks, und egal, wo du gespielt hast, im Backstage waren Exploited, G.B.H. oder Killing Joke (lacht). Schwebel: Darauf hat Harry Rag mich damals aufmerksam gemacht: Bei Mittagspause kam in den Texten nicht einmal das Wort „Ich“ vor. Und bei „Monarchie und Alltag“ steht das Ich fast immer im Mittelpunkt. Das war damals schon ein bewußter Schritt. Das mit Mittagspause hatte sich auch in eine Sackgasse gerannt. Das war eine so clevere, zynische Band, da saßen eigentlich alle nur noch rum und lachten sich über ihre eigenen Witze tot.
LIED 10: „DAS WAR VOR JAHREN“
Schwebel: Ein nostalgischer Rückblick auf eine unschuldigere Zeit. 1980 hatte man ja eher schon das Gefühl, daß sich diese ganze Szene dem Ende nähert. Es war schon auch ironisch, 1980 zu sagen: „1977 war aber besser!“ Das ist ja das Lied, das wir mit am häufigsten live gespielt haben, und da wurde es natürlich Stück für Stück wehmütiger, weil es irgendwann wirklich nur noch eine Erinnerung war.
LIED 11: „PAUL IST TOT“
Hein: Das war auch live so lang. Da haben wir uns definitiv von diesem Ska- und Mod-Gedöns gelöst, das war die neue Düsterkeit. Joy Division und das ganze Zeugs, Cure und Gang Of Four, das haben wir natürlich gehört. Schwebel: Das ist das einzige Stück aus den Demo-Sessions bei der EMI, das auf die Platte gekommen ist. Der Techniker hat gesagt: „Diesen Schlagzeugsound krieg ich nie wieder so hin, nehmt das bloß nicht noch mal auf!“ Hein: Dieses Uhrticken, das hat Thomas die ganzen acht Minuten bis zur Sehnenscheidentzündung auf den Gitarrensaiten getickert. Und ich hab danebengesessen, den Takt geklopft und mir dabei blaue Flecken geholt… Wer Paul ist? Paul ist ’ne Kunstfigur. Paul ist, wenn man mit jemandem zusammen flippert, einer links, einer rechts. Einzeln waren es wir, zusammen war es Paul. Der konnte gut flippern, einzeln konnten wir das gar nicht. „Paul ist tot“ heißt: Paul gibt es halt nicht mehr.