Reportage

Yungblud: Ein Punk besuchte das Kranzler Eck Berlin

Der englische Krawallmeister lockt Fanmeute auf dem Kurfürstendamm. Wildes Pop-Up-Konzert zum Start der Europatour

Die Berliner Busfahrer staunten nicht schlecht. Am berühmten Kranzler-Eck, wo im alten West-Berlin Damen mit Hut ihre Buttercreme-Torten verspeisten, drängeln sich rund 500 abenteuerlich aussehende Gestalten auf dem breiten Bürgersteig. Stachelfrisuren, Latex-Klamotten und bunte „Pride Flags“. Eine Demonstration am frühen Abend – oder was ist hier los?

Das Rätsel löst sich um kurz nach Sieben, als ein schwarzgewandeter Jüngling mit Kajal-geränderten Augen auf die Terrasse des ehemaligen Kaffeehauses tritt. Im unverkennbar nordenglischen Tonfall findet Yungblud den Blick auf die berühmte Kreuzung Kurfürstendamm und Johannisthaler Straße „focking crazy“. Eine Akustikgitarre im Anschlag, dazu ein, zwei Musiker im Hintergrund – so soll es gleich losgehen.

Yungblud-Fans

Überhaupt ist alles der pure Wahnsinn, dass SOWAS nach all dem Corona-Elend wieder möglich ist. Auch Germany ist „Focking“, etwa zwei Dutzend mal wird das Wort rausgehauen und wird zum Schlagwort der hochgehandelten ADHS-Künstlers.

Ein Pop-Up-Konzert an prominenter Adresse. Halb-legal und eingefädelt von seiner Plattenfirma. Ein wenig Beatles-auf-dem-Studio-Dach- oder besser: Sex-Pistols-auf-dem-Themse-Boot-Stimmung schaffen. Schließlich soll aus dem 24-Jährigen aus Doncaster noch was weltweit Großes werden, nachdem ihn auch Altmeister Mick Jagger im Interview zur Zukunft des Rock’n’Roll erklärte.

Yungblud beginnt vor seiner erstaunlich textsicheren Fan-Meute mit seiner neuen Single „Funeral“, in mal wieder heftige Stimmungswallungen aufs Tapet zu kommen. „And I hate myself, but that’s alright – And I love myself, but that’s alright“. Darum tanzt er auf seiner Beerdigung, und alles hüpft auf dem Ku-Damm. Die mittlerweile angerückte Polizei schätzt den Auflauf offensichtlich als „nicht gefährlich“ ein – und beobachtet das Spektakel von der Verkehrsinsel aus.

Yungblud

Seine Hymnen-trächtigen E-Gitarren-Sequenzer-Songs wie „I Love You, Will You Marry Me“ hat Yungblud für die Berliner Sause in halbakustische Versionen umgehoben. Die heftigen Reaktionen, auch auf seine Ska-lastigen Nummern zeigen, dass sein Songwriting ohne fette Verstärker auskommt. Seine Präsenz als immer aktiver Actionheld an der Bühnenkante – was hier ein Terrassengeländer ist, auf dem er halbgefährlich herumturnt – steht für Lebensgefühl. Krawall und Remmi-Demmi-Demo zwischen Depression und Überschwang.

Nach zwei Alben mit allerlei Schock-Videos hat er es geschafft, die Formel „Außenseiter aller Länder vereinigt euch!“ zum international funktionierenden Pop-Format zu machen. Das intensive „Fleabag“, in dem der ungeliebte Protagonist geradewegs aus der „Rehab“-Klinik kommt, wird genauso gefeiert wie die das Selbstbekenntnis „Loner“. So erscheint seine Kranzler-Eck-Fanmeute sowohl CSD-queer, wie Arctic-Monkeys-Rock oder Berghain-Techno. Ein Mainstream der Minderheiten, ergriffen und vereint tanzend.

Ganz in der Tradition der großen Krawall-Konzerte der Rockgeschichte braucht Yungblud nur eine gute halbe Stunde um sein Revier zu markieren. Die offizielle, große Tour mit Gigs und Festivals quer durch Europa startet bereits Anfang Mai. Zum Ende zerdepperrt er in Pete-Townshend-Manier seine Akustikgitarre. Ein dumpfes Crash-Geräusch und dann ist Ende. Die Holzteile lässt er auf seine JüngerInnen auf der Straße regnen. Seine Bühnencrew wirft aufgerollte Poster hinterher. „In fünf Minuten komme ich zu euch herunter, zum Knuddeln“, sagt Yungblud. Ein heftiger Charakter mit Herz.

Tom Pallant
Tom Pallant
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