Yaya Bey: Rap-Radikale auf Plüsch-Stilettos

Für die New Yorker Rapperin und Neo-Soul-Sängerin Yaya Bey ist die Musik nur ein erster Schritt – im besten Fall führt sie die Menschen auf die Straße.

Die Sonne scheint durch die großen, abgestoßenen Industriefenster. Hinter den die Scheiben ist vage eine Stadtkulisse zu erkennen, triste, rötliche Wohnblocks, vielleicht Brooklyn, oder Queens, oder die Bronx. Die Kamera kreist langsam um eine junge Schwarze Frau mit zu Zöpfen hochgezwirbelten Braids, die sich zu bewegen beginnt, getragen von kühlen Beats. In einem semitransparenten, tief ausgeschnittenen, mintgrünen Gymnastikanzug und Turnschuhen tanzt sie selbstvergessen zum Rhythmus, und erobert dabei alle Ecken des hölzernen Tanzbodens. „Tomorrow’s coming / Today is always on her way out / I love you, baby / But it seems we’ve been stuck in a drought”, singt sie.

Der Videoclip zu Yaya Beys erster Singleauskopplung „Chasing The Bus“ von ihrem neuen, fünften Album „Ten Fold“ wirkt ein bisschen wie ein tänzerischer Gegenentwurf zum von David LaChapelle inszenierten Tanzclip des Hozier-Songs „Take Me To Church“. In jenem Video turnte der umstrittene Profiballetttänzer Sergei Polunin vor zehn Jahren durch eine leere Holzkirche, und demonstrierte seine absolute, schmerzhaft wirkende Körperbeherrschung: Hier selbstermächtigte, Schwarze Weiblichkeit, dort kontrollversessene, weiße Männlichkeit. Hier gibt sich ein natürlicher Körper den Grooves hin, dort bezwingt eine stählern-trainierte Physis die Bewegungsgrenzen.

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Yaya Bey, geboren in Queens, New York, ist gerade im Flow. Als Tochter des Rappers, MCs und Produzenten Grand Daddy I.U., der 1990 auf dem legendären Cold Chillin’-Plattenlabel sein Debütalbum „Smooth Assassin“ veröffentlichte, wuchs sie in, um und mit Musik auf: „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je keine Musik gehört oder geliebt habe“, sagt sie im Interview mit ROLLING STONE.

„Ich habe die Poesie vor langer Zeit hinter mir gelassen“

„Musik war immer im Haus, sie ist meine Familie.“ Sie nennt den Soul-Crooner Donny Hathaway und die R&B-Musikerin Alicia Myers als große Einflüsse ihrer Kindheit, die Funkband Maze, und natürlich Rap und HipHop. Als Mädchen begann sie, für ihren Vater, der vor zwei Jahren verstarb, Rhymes zu schreiben, wechselte dann zu Gedichten, trat damit regelmäßig bei Poetry Slams auf. Doch „ich habe die Poesie vor langer Zeit hinter mir gelassen“, sagt Yaya, „vielleicht komme ich nochmal dahin zurück, aber gerade möchte ich nicht mehr. Irgendwie verzaubern mich Gedichte momentan nicht…“

Ihre Liebe zu Worten ist dennoch geblieben: „Ich lese sehr viele Romane“, sagt sie, „gerade sitze ich über ‚A Small Place‘ von Jamaica Kincaid. und natürlich lese ich meine Lieblingsautorin Audre Lorde.“ Immer auf Papier, nicht als E-Book. Den träumerisch-fließenden Lyrics ihrer Songs merkt man die Sprachleidenschaft und den Spaß am Wortspiel an: „Chrysanthemums“ heißt ein Song auf dem neuen Album mit sechzehn Songs. „Rainclouds are here“, sinniert sie darauf über einen fokussierten Beat, „one day we’re all gonna bloom“. Der Klang der Platte erinnert oft an die hintergründigen Sounds und raffinierten Texte von Erykah Badu.

„Männer versuchen meist, einen auszunutzen – Produzenten genau wie Partner“

Auf ihrem ersten Album ließ sich Yaya Bey von der von Audre Lorde erfundenen Idee der „Biomythography“ inspirieren, einem Mix aus Biografie und selbsterfundenem Mythos: “The Many Alter-egos Of Trill’eta Brown” war 2012 erschienen. Bey bezeichnete es als Reaktion auf eine traumatische Trennung, darauf, von einem Mann verurteilt zu werden, der einer Frau nichts zutraut: Du kannst nicht gleichzeitig Künstlerin und Mutter oder Partnerin sein, habe ihr Ex gesagt. Daraufhin habe sie für sich selbst die verschiedenen „Alter-Egos” erschaffen. Denn Frauen können alles Mögliche sein, Schwarze Weiblichkeit hat unzählige Facetten. Das nicht zu akzeptieren, ist Misogynie. Und damit hat Yaya Bey viele Erfahrungen machen müssen: „Männer versuchen meist, einen auszunutzen”, sagt sie, „Produzenten genau wie Partner.”

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Auch auf ihrem letzten, von der Presse vielgepriesenem Album „Remember Your North Star“ mit smooth-raffinierten R&B-und Rap-Sounds war es noch viel um Verletzlichkeit und Liebeskummer gegangen, und ein feministisches Gedicht namens „Libation“ (nach einem religiösen Trankopfer benannt, bei dem Flüssigkeiten über einen geweihten Objekt verschüttet werden), hatte als reflektives Interlude zwei Songs geteilt: „Some girls remind us so much of god that when they go missing, we don’t look so hard/ The wells in our eyes dry up, and there’s no libation left to pour/ When this happens, we never talk about it/ We just hide.“

Auf ihrem neuen Album scheint die berechtigte Empörung und Enttäuschung über den strukturellen Sexismus und das Leid, das er bringt, zumindest teilweise zugunsten einer funktionierenden Selbstermächtigung gewichen zu sein. Yaya Bey besingt sogar Glücksgefühle wie im sinnlichen, über einen schrägen Dub-Reggae-Beat gegurrten „Slow Dancing In The Kitchen” mit der poetischen Zeile „You’re a very special love I need / for the very special parts of me”. Doch auch die neuen Songs sind viel mehr als „nur“ körperpolitisch – in „Eric Adams In The Club” konfrontiert sie New Yorks Schwarzen Bürgermeister mit den wahnsinnigen, für den Großteil aller Bewohner:innen absolut unbezahlbaren Gentrifizierungsmieten der Großstadt.

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Denn seit 2011 ist Bey Aktivistin. Als ehemalige Straßensanitäterin musste sie damals erleben, wie die Teilnehmer:innen einer Demonstration mit Tränengas beschossen wurden – diese Erfahrungen schärften ihr eh bereits starkes politisches Bewusstsein, und fachten ihre Wut an. Und wütend auf die vor allem Schwarze Menschen betreffenden Ungerechtigkeiten in der Welt ist sie, trotz des teilweise versöhnlicheren Sounds von „Ten Fold“, noch immer. Beim Gespräch über die Möglichkeiten, die politischen Verhältnisse zu ändern, weht ihr Ärger spürbar durch den virtuellen Zoom-Raum bis nach Deutschland: „Die USA sind ein europäisches Projekt“, erklärt sie, „gegründet von Europäern, und tief durchsetzt vom gleichen Rassismus und Sexismus, der in Europa verbreitet ist. Wir haben nichts damit zu tun, aber sind dennoch darin gefangen.“ Sorgen mache sie sich trotzdem weniger um die US-Gesellschaft, die im Wahljahr 2024 tief gespalten ist, sondern um den globalen Süden, die globale nicht-weiße Community. Sie sei ohnehin stärker von sämtlichen politischen, und damit auch sämtlichen Klimaentscheidungen betroffen, und kann weniger entgegensetzen.

„Man muss auf die Straße gehen, ins richtige Leben, um wirklich etwas zu ändern“

Sogar die eigene Kunst stellt sie unter politische Gesichtspunkte: „Kunst, wie wir sie kennen, existiert in den Grenzen des Kapitalismus“, analysiert sie, „schon allein, weil man Kunst gegen Geld tauscht“. Wenn jemand ein Gedicht über den Schwarzen, 2012 von einem später freigesprochenen Mann erschossenen Schüler Trayvon Martin schreibe, sei das zwar einerseits eine Möglichkeit, dem Verstorbenen künstlerisch Tribut zu zollen. Andererseits ließe sich aber auch mit Poesie Geld verdienen, um die Miete zu bezahlen – das System ist stärker.

Diese Ambivalenz beschäftigt sie. Es reiche darum nicht, findet sie, „nur“ Kunst zu machen: „Die Leute hören viel zu oft bei der Kunst auf. Dabei muss man auf die Straße gehen, ins richtige Leben, um wirklich etwas zu ändern. Kunst hat das Potenzial, ein Katalysator für Action, für Veränderung zu sein. Aber dafür muss man über die Kunst hinausgehen. Kunst allein ist nur Unterhaltung.“

Sie selbst geht schon lange darüber hinaus: Yaya Bey will kein „Token“ sein, keine Alibi-Schwarze Künstlerin, die die Vorteile der Prominenz ausnutzt. Und Bey ist längst kein Geheimtipp mehr – die Jahre, in denen sie bei kleinen Kiezkonzerten spielte, sind vorbei. Seit Ende Mai ist sie auf einer ausgedehnten US-, Kanada- und Europatour, mit Gigs beim Montreal Jazz Fest und dem großen „Way out West“-Festival in Schweden.

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„Es hat sehr lange gedauert, da anzukommen, wo ich jetzt bin“, sagt sie abschließend, und erzählt, dass sich ihr Leben von Grund auf geändert habe, sie viele Opfer gebracht, immer wieder die Hoffnung verloren habe. Sie sei vorsichtiger geworden, habe zwar in ihren Songs keine Angst davor, persönlich zu werden. Doch Fakten über ihr Leben, ihren Wohnort, all das behalte sie lieber für sich. Dass sie sich nicht nur gern über Musik und Tanz, sondern auch vestimentär, in Fragen der Bekleidung souverän ausdrückt, bekommt man jedoch eindeutig mit: Yaya Beys Outfits in ihren diversen Videos sind aufsehenerregende, dramatisch-opulente Kombinationen. In „Sir Princess Bad Bitch“ trägt sie eine schallplattengroße, glitzernde Feder-Baskenmütze zu langen Handschuhen und glänzender Robe, später tanzt sie in verschiedenen 20er-Jahre-Netz-Outfits und einem schwarzen Bodysuits mit Nippletassels auf der Tanzfläche eines Clubs.

Das Styling stammt von ihr, genauso wie die Produktion der Clips. Man merkt den stofflichen Aussagen der Künstlerin an, dass sie damit mit sich selbst kommuniziert: Yaya Bey inszeniert sich – trotz Anleihen bei klassisch-sexualisierter weiblicher Rap-Imagery – nie für einen imaginären „male gaze“; wenn sie körpernahe Outfits trägt, dann geschieht das, um den eigenen Körper zu preisen, und nicht, um ihn auszustellen, oder um einen potenziellen Partner aufmerksam zu machen.

Vielleicht ist Yaya Bey so etwas wie eine Radikale auf Plüschstilettos. Das Unnachgiebige, Rigorose in ihren Stücken, Texten, ihrer „Art Work“ und ihrem Leben machen ihren Sound jedenfalls weise. Und es spiegelt nicht nur die Zeit, in der wir leben. Es ist dringend notwendig.

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