Woody Allen zum 80. Geburtstag: Das Komische können, das Tragische lieben
Einer der größten Filmemacher wird 80. Über Woody Allen, Komiker, Filmikone und teuflisch versierter Puppenspieler
(in der Galerie: alle Allen-Filme im Ranking)
Groucho Marx hat mal erklärt, er möge die Wirklichkeit nicht besonders, aber sie sei nun mal der einzige Ort, an dem man etwas Vernünftiges zu essen bekommen könne. Woody Allen würde vielleicht noch präzisieren, dass das „Elaine’s“ an der Upper East Side von New York die beste Karte habe, und dass man Jazz, Sex, die New York Knicks und Kinos, in denen Filme von Ingmar Bergman laufen, ebenfalls als Standortvorteile der Wirklichkeit gelten lassen könne. In einer Welt, in der es nicht nur keinen Gott gibt, sondern an Sonntagabenden auch keinen Klempner, ist das mehr, als man erwarten kann.
Vor 80 Jahren wurde er als Allen Stewart Konigsberg in Brooklyn geboren. Natürlich ist er nicht unter der Achterbahn von Coney Island aufgewachsen wie sein filmisches Alter Ego Alvy Singer aus „Annie Hall“ (1977), aber so stellen wir es uns am liebsten vor und eine bessere Erklärung für seine, sagen wir: leicht nervöse Art wird sich in der Realität nicht finden. Zudem denken wir, wenn wir an Woody Allen denken, ja automatisch an den neurotischen Antihelden, der in seinen Filmen durch eine klassenlose Fantasiewelt aus Restaurants und Lichtspielhäusern flaniert, die er Manhattan nennt. Diese Figur war für das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts das, was in den 50 Jahren davor Chaplins Tramp war: ein moderner Archetyp. Nur dass Allen Hut, Schnauzer und Stock, gegen Hornbrille, Cordhose und Psychose eingetauscht hatte. Wir haben viel gelernt von ihm – über das Leben („imitiert nicht die Kunst, sondern nur schlechtes Fernsehen“), das Herz („schon ein furchtbar eigensinniger kleiner Muskel“), die Liebe („Menschen sollten sich nur ein Mal paaren – so wie Tauben und Katholiken“), Masturbation („Sex mit jemandem, den ich liebe“) und das Universum („dehnt sich aus“).
Schon mit 15 schrieb Allen erste Gags, die in den Witzkolumnen der Tageszeitungen gedruckt wurden, mit 19 arbeitete er als Autor für die „Ed Sullivan Show“ und die „Tonight Show“, bald darauf gab er Buddy Hackett und seinem Idol Bob Hope Pointen und veröffentlichte Kurzgeschichten im „New Yorker“. In den Sechzigern trat er als Stand-Up-Comedian auf, Mitte des Jahrzehnts hatte er seine eigene Fernsehshow, schrieb Komödien, die am Broadway liefen, und erste alberne Drehbücher. „What’s New Pussycat“ wurde von Clive Donner mit Peter Sellers, Peter O’Toole, Romy Schneider, Ursula Andress und Allen selbst in einer Nebenrolle verfilmt, ein Jahr später führte er bei der komischen Synchronfassung eines japanischen Agentenfilms erstmals Regie („What’s Up Tiger Lily“, 1966). Es folgten Slapstickkomödien mit existenzialistischem Unterton wie „Take The Money And Run“ (1969), „Bananas“ (1971), „Everything You Wanted To Now About Sex“ (1972), „Sleeper“ (1973) und „Love And Death“ (1975), die vor allem als Abfolge brillanter Gags funktionierten. Für „Annie Hall“, einen Film, den er seiner Ex-Freundin Diane Keaton (bürgerlicher Name: Diane Hall) auf den Leib schrieb, reduzierte Allen die Gagdichte zugunsten der Handlung und schuf die Mutter aller romantischen Komödien. Der Film brachte ihm 1977 seine ersten Oscars ein (bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch, beste weibliche Hauptrolle für Keaton).
„Manhattan“ war ihm peinlich
Mehr als 20 Jahre, nachdem er aus recht eindeutigen Motiven ins Kino gegangen war, um die auf ein Sexfilmchen zusammengekürzte 62-minütige amerikanische Fassung von Ingmar Bergmans „Sommaren med Monika“ mit dem sprechenden Titel „Monika, the Story of a Bad Girl“ zu sehen, und den Saal als Cineast wieder verlassen hatte, wurde er als Filmemacher ernst genommen und erhielt von United Artists volle künstlerische Freiheit. Niemand konnte freilich ahnen, dass er daraufhin seinem Idol Bergman nacheifern und sich dem ernsten Fach zuwenden würde: das Ergebnis, „Interiors“ (1978), wurde von der Kritik fast einhellig verrissen und war ein kommerzieller Flop. Der mit dem Kameramann Gordon Willis, den man seit seiner Arbeit an Francis Ford Coppolas „The Godfather“ nur „The Prince of Darkness“ nannte, in Schwarz-Weiß gedrehte Nachfolger „Manhattan“ (1979) war filmisch ebenso ambitioniert – allerdings wieder unter dem Deckmantel der Komödie. Allen war der Film peinlich, und er bat seinen Verleih, ihn nicht zu veröffentlichen – er wurde sein erfolgreichstes und neben „Annie Hall“ populärstes Werk. In „Stardust Memories“ thematisierte Allen 1980 schließlich sein Dilemma, das Komische zu können und das Tragische zu lieben. Dort gerät der erfolgreiche Komödienregisseur Sandy Bates in eine Existenzkrise, als sein erstes ernstes Werk durchfällt. Am Ende wird er von Außerirdischen heimgesucht, die ihm ins Gewissen reden: „Wenn du der Menschheit etwas Gutes tun willst: erzähle lustigere Witze.“
Im folgenden Jahrzehnt gelang ihm die Balance zwischen Tragik und Komik dann in verblüffender Regelmäßigkeit. Das lag sicher auch seiner neuen Muse, Mia Farrow, die das ernste Fach ebenso beherrschte wie das komische und unter seiner Regie zur großen Schauspielerin wurde. „Zelig“ (1983), „The Purple Rose Of Cairo“ (1985), „Hannah And Her Sisters“ (1986) und „Crimes Of Misdemeanors“ (1989) gehören zu seinen allerbesten Filme, die frivole Komödie „A Midsummer Night’s Sex Comedy“ (1982), die Hommage an die New Yorker Stand-Up-Szene, „Broadway Danny Rose“ (1984), und das nostalgische „Radio Days“ (1987) sind ebenfalls fantastisch. Auch im gemeinsamen Episodenfilm der drei größten amerikanische Regisseure der New-Hollywood-Ära (Scorsese, Coppola, Allen) gelingt Allen mit seiner freudschen Farce „Oedipus Wrecks“ der mit Abstand unterhaltsamste Part. Nur wenn er ganz auf die Tragik konterkarierende komische Elemente verzichtete, wie im seltsam steifen Kammerspiel „September“ (1987) oder der schwermütigen Charakterstudie „Another Woman“ (1988) mit Gena Rowland, scheiterte er.
Unbeeindruckt vom Scheidungskrieg
Die Neunziger begannen mit zwei Tiefpunkten der Allen’schen Filmografie: dem blutleeren „Alice“ (1990) und der komisch gemeinten Hommage an den deutschen Expressionismus, „Shadows And Fog“ (1991), in der dem für die subtile Führung seines Ensembles berühmten Regisseur gleich mehrere, für ihr Overacting durchaus berüchtigte Schauspieler durchgehen. Mit dem von Bergmans „Szenen einer Ehe“ inspirierten „Ehemänner und Ehefrauen“ (1992) fand Allen wieder zu alter Form zurück, doch der Film wurde von der Wirklichkeit eingeholt, die neben gutem Essen eben leider auch Unappetitliches bietet. Der Scheidungskrieg mit Mia Farrow, die ihn des Kindesmissbrauchs beschuldigte, hätte vermutlich jeden anderen Regisseur zerstört. Allen aber arbeitete unbeeindruckt weiter, setzte pragmatisch wieder auf Diane Keatons komisches Talent und drehte einen seiner schönsten Filme: „Manhattan Murder Mystery“ (1993). Sein Werk scheint in dieser schweren Zeit absurderweise leichter zu werden. Es folgen die komisch-philosophische Reflektion über die dunkle Seite des Genies, „Bullets Over Broadway“, die von der griechischen Tragödie gespiegelte romantische Komödie „Mighty Aphrodite“ (1995) und das Musical „Everybody Says: I Love You“ (1996).
Im grimmigen, postmodernen „Deconstruction Harry“ (1997) vereint er die Gagdichte des Frühwerks mit dem Existenzialismus der mittleren Jahre. Als Schriftsteller Harry Block, der von sich selbst sagt, er funktioniere nur in der Kunst, nicht im wahren Leben, gibt Allen sich hier zum letzten Mal als klassischer Stadtneurotiker. Danach präsentierte er seine bittere, aber komische Abrechnung mit dem Ruhm und den Oberflächlichkeiten des Filmgeschäfts, „Celebrity“ (1998), und arbeitete sich zunehmend ziellos an seinen alten Leidenschaften ab. Die Hommage an Django Reinhardt, „Sweet And Lowdown“ (1999), ist noch überaus charmant, der Gangsterfilm „Small Time Crooks“ und die Screwball-Übung „The Curse Of The Jade Scorpion“ (2001) missglücken vollkommen und sind auch kommerzielle Desaster. Nur die treuesten Fans schauten noch zu. „Hollywood Ending“ (2002) fand hierzulande nicht mal einen Verleih. Bezeichnenderweise erzählt dieser Film von einem einst angesehenen Regisseur, der im Alter nur noch Engagements für lächerliche Werbeclips bekommt. Als sich ihm plötzlich die Chance bietet, noch einmal einen großen Kinofilm zu drehen, wird er erst panisch – und dann blind. Seinem Biografen Eric Lax erzählte Allen, er sei über den Misserfolg dieses Films sehr erstaunt gewesen, denn es sei ihm selten besser gelungen, eine komische Idee filmisch umzusetzen. War er etwa wirklich blind geworden für die Wünsche seines Publikums? Dabei war es doch so einfach: Alle wollten nur den guten alten Woody zurück, den hoffnungslosen Romantiker mit dem Hang zu schwierigen schönen Frauen und der Vorliebe für eine philosophische Ménage-à-trois mit Eros und Thanatos.
Ich ist jetzt ein anderer
Und genau dieser liebgewonnene Held taucht 2003 in „Anything Else“ tatsächlich wieder auf. Nur dass dieses Mal nicht der Regisseur und Autor selbst die Hauptrolle spielt, sondern ausgerechnet Jason Biggs, der durch die hohle Teeniekomödienreihe „American Pie“ bekannt geworden war. Er gibt eine Art Wiedergänger von Alvy Singer aus „Annie Hall“, während Allen selbst seinen, nun ja, väterlichen Freund, den mephistophelischen David Dobel verkörpert. Dobel ist ein verrückter, paranoider und allem Anschein nach depressiver Komiker, der immer dieselben alten Witze erzählt, um seine Indifferenz gegenüber der Welt zu bekunden. Seine einzige Freude zieht er aus der geschickten Manipulation seiner Mitmenschen. Er ist ein Puppenspieler wie Philip Roths Mickey Sabbath.
Es ist, als wollte Allen uns mit diesem gedoppelten Ich frei nach Arthur Rimbaud sagen: Ich ist jetzt ein anderer. Und mit Blick auf die Filme, die er seit „Anything Else“ gedreht hat, liegt tatsächlich die Vermutung nahe, dass wir ihn uns nicht länger als mit sich hadernden, aber den Freuden des Lebens zugetanen Sinnsucher, sondern als routinierten, leicht zynischen Puppenspieler vorstellen müssen, der seine Figuren mit antiken Gags und ohne sonderlich viel Sympathie, nicht selten vor der malerischen Kulisse europäischer Städte durch teuflische Versuchsanordnungen jagt, die er, wie man aus Robert B. Weides „Woody Allen. A Documentary“ (2012) weiß, in einer freien Minute auf einen gelben Zettel geschrieben und in seine Nachttischschublade verstaut hat.
Allens Werke sind seitdem oft eher rhetorische Fragen als Spielfilme: Ist das Leben eine Tragödie oder eine Komödie („Melinda und Melinda“, 2005)? Kann man einen Mord begehen und trotzdem ruhigen Gewissens ein erfolgreiches Leben führen („Match Point“, 2005)? Wer kann das Wesen der Liebe ergründen, die kühle Realistin oder die sinnliche Künstlerin („Vicky Christina Barcelona“, 2008)? Wie altert man in Würde („You Will Meet A Tall Dark Stranger“, 2010)? Die Antwort kennen wir, das liegt ja in der Natur der rhetorischen Frage, schon vorher: Es ist vollkommen egal, denn Shakespeares Macbeth hatte Recht, als er sagte, das Leben sei nicht mehr als ein von einem Idioten erzähltes Märchen, „voller Schall und Wahn, aber nichts bedeutend“. Das scheint der Tenor des Spätwerks.
Schuld und Sühne
Der Regisseur, der nach eigener Aussage aus alter Gewohnheit jedes Jahr einen Film dreht und hofft, dass dabei ab und zu mal einer gelingt, war durchaus erfolgreich mit dieser Masche. Der von großen Teilen der Kritik ein bisschen zu frenetisch gefeierte „Match Point“ erschloss ihm 2005 durch die schönen Hauptdarsteller Scarlett Johansson und Jonathan Rhys Meyers ein jüngeres Publikum (verliebt hat man sich hier aber natürlich in Emily Mortimer), das sentimentale Experiment mit Zeit und Raum, „Midnight In Paris“ (2011), wurde sein umsatzstärkster Film überhaupt, mit „Blue Jasmin“ (2013) gelang ihm sogar eine überaus erfolgreiche Tragödie und in „Irrational Man“, seinem 45. Film, der gerade erst in deutschen Kinos angelaufen ist, inszeniert er noch einmal eine originelle und kurzweilige Variante seines ewigen Themas Schuld und Sühne.
Der Mann, der einst Gagschreiber und Komiker war, zur Filmikone und zum Autorenfilmer wurde und heute ein teuflisch versierter Puppenspieler ist, wird weitermachen. Auch in seinem neunten Lebensjahrzehnt. Denn, wie schon Groucho Marx wusste, geht niemand vor seiner Zeit – „es sei denn, der Chef haut früher ab.“ Woody Allen aber ist Atheist. Er hat niemanden über sich.