Wong Kar-Wei: Chungking Express
Die Wiederkehr des Melodrams zur Zeit beginnt in Asien. Ein Jahr vor der Rückgabe an China breitet sich Fatalismus über Hongkong aus, und in der Kapitalismus-Enklave werden Träume wieder Träume. Alles zerläuft, und läuft doch zusammen. So sind auch die Episoden über zwei Polizisten mit den Dienstnummern 223 (Takeshi Kaneshiro) und 663 (Tony Leung) angelegt Beide wurden von ihren Freundinnen gehörnt Nr. 223 verschlingt Ananas aus Dosen mit dem Verfallsdatum 1. Mai – weil sein Mädchen May hieß. In einer Bar will er sich in die erste Frau verlieben, die durch die Tür tritt Es ist eine Drogendealerin (Brigitte Lin), die stets Sonnenbrille, Regenmantel, blonde Perrücke und in der Handtasche eine Pistole trägt – und energisch ist wie Gena Rowlands in „Gloria“. Nr. 663 war in eine Stewardeß verliebt Ihr Abschiedsbrief liegt an einer Imbißbude, aber er will ihn nicht lesen. Vor Kummer nimmt er kaum die quirlige junge Verkäuferin (Faye Wang) wahr, die in ihn verliebt ist und ständig laut „California Dreamin'“ von den Mamas And Papas hört „Chungking Express“ ist melancholisch und sinnlich, von der Kamera mit Neonfarben und Weitwinkel mystisch stilisiert, ein tragikomisches Labyrinth von Gefühlen in der Großstadt, das den jungen Cassavetes oder die Nouvelle Vague mit der MTV-Perspektive verknüpft. Absätze von Pumps hallen durch U-Bahn-Schächte, Gesten verharren im Zeitraffer, der Countdown läuft „In 57 Stunden werde ich mich verlieben, orakelt Nr. 223. Wong Kar-wei ist ein trauriger Poet der Geduld. „Chungking Express“, fast ein Jahr alt, wird nun gezeigt, weil Quentin Tarantino dabei geweint haben soll.