Wonder Woman
AALIYAH reüssiert als Sängerin und Schauspielerin, gefällt sich in Interviews jedoch als Sphinx
Paris, Place de la Concorde, Hotel Crillion. Protzige Kandelaber, zentnerschwere Brokatvorhänge und Türsteher, die ihre Nase so hoch tragen, als könnten sie es sich selbst leisten, hier abzusteigen. „Veah“, lacht Aaliyah Dana Haughton, 22, in Brooklyn geboren und in Detroit aufgewachsen, „das ist mir auch aufgefallen, aber ich liebe das. Es ist so alt und europäisch, irgendwie romantisch.“
Und überhaupt nicht teuer, wenn man Platin-Platten sammelt und von Hollywood hofiert wird. Ein halbes Leben in Glanz und Glamour. Mit elf Jahren bereits trat Aaliyah in Las Vegas auf, an der Seite von Gladys Knight. Mit 14 toppte sie erstmals die Charts, und mit 17 hatte sie sich an Millionseiler so gewöhnt, dass sie befand, „ein wenig Abwechslung“ könne nicht schaden. Also schauspielerte sie sich durch den Kassenschlager „Romeo Must Die“ und geriet in die missliche Lage, zwei florierende Karrieren koordinieren zu müssen. Ist sicher hart, wenn der Erfolg so unbarmherzig zuschlägt, sage ich. „Oh absolut“, erwidert die Gute, den Sarkasmus souverän überspielend, „aber ich glaube, eine optimale Balance gefunden zu haben.“
Die sieht wie folgt aus. Ins Kino kommt Aaliyah erstmal als Akasha, ägyptische Herrscherin der Vampire, in der aufwändigen Anne-Rice-Verfilmung „Queen Of The Damned“, während sie in Australien „Matrix 2“ und „Matrix 3“ abdreht Ach ja, eh wir es vergessen: Das Multitalent mit den Model-Looks „liebt alles, was mit Ägypten zu tun hat“, war „schon immer völlig vernarrt in Vampire“, ist begeisterte Leserin der Romane von Anne Rice und steht „totally“ auf „Matrix“. Einfach optimal.
Musikalisch entwickelt es sich für die Schönheit nicht minder positiv. Ihr drittes Album, etwas einfallslos ^ialiyah“ getauft, ist ein Fest für die Sinne, sexy und soulfuL Und mit Beats und Sounds ausgestattet, die in Sachen inventiver Moods-Malerei ihresgleichen suchen im modernen Rhythm 8C Blues. Aaliyahs Studio-Crew ist handverlesen, Tim Moseley aka Timbaland und Missy Elliott mögen die Fäden ziehen, doch macht das eine Sängerin nicht zur Marionette. Dir Job ist es, zu singen. „Exactly“, sagt Aaliyah wie erleichtert und erzählt von impertinenten Interviewern, die dämliche Fragen stellen wie: Warum schreibst du deine Songs nicht selbst? Die klassische Arbeitsteilung im Pop, wonach jeder das beiträgt, was er am besten kann, gilt nicht mehr viel in einer Zeit, die den Autoren über den Interpreten stellt. Was fast zwangsläufig im Dilettantismus endet, weil jedem Künstler eingeredet wird, alles können zu müssen. „Exacdy“, stimmt Aaliyah zu. Und wird langsam gesprächiger.
Ohne schrecklich viel zu sagen, leider. Sicher, sie erzählt erschöpfend von den Sessions, ihrem persönlichen Input, was Material und Arrangements angeht, Timbalands Taten und, kichernd, dass er sie früher „Wonder Woman“ nannte, inzwischen aber lieber „Baby Girl“. Doch scheint der Ruf, der ihr vorauseilt, nicht von ungefähr zu kommen. Aaliyah gilt als unnahbar, stets auf der Hut, bloß nichts Privates preiszugeben. Oder, schlimmer noch, Rock&Roll
an anderen Kritik zu üben. „Don’t think you can get too dose to her“, warnt die aktuelle Ausgabe des HipHop-Magazins „Vibe“. Was zum Teufel hat sie zu verbergen? „Oh, nichts“, lächelt sie, „ich überlege nur sehr genau, was ich antworte. Und Kollegen zu dissen, ist einfach nicht mein Stil.“
Unkritisch sei sie deshalb keineswegs. So sehr sie HipHop liebe, so klar ziehe sie etwa einen Trennstrich zwischen sich und der dort gepflegten, „unnötig vulgären Sprache“. Andererseits findet sie Foxy Brown „great“ und Lil‘ Kim „so sweet“, zwei Ladies mithin, deren Raps implodieren würden ohne „fuck“, „suck“, „nigger“ und „bitch“. Ahnliche Widersprüche tun sich auf, wenn die im HipHop üblich gewordene Abzockerei bei Live-Events beklagt wird mit einer Auftrittsdauer mancher Acts, die deutlich unter 30 Minuten bleibt. „Okay, das stimmt, aber mich betrifft das nicht Ich versuche immer, alles zu geben.“ Ob sie mit ihrer Freundin Lil‘ Kim, deren Performances selten die 20-Minuten-Schallmauer durchbrechen, schon mal darüber gesprochen hat? Aaliyah ist entsetzt. „Oh, natürlich nicht“, schüttelt sie Kopf und Mähne. Und drapiert sich wieder malerisch auf der Chaiselongue.
Sneakers, enge Jeans, enges Top, nabelfrei natürlich, so liegt sie da. Ohne Kriegsbemalung. Das Make-up zivil, die pechschwarzen Haare wie immer gescheitelt und wie eine Gardine vor dem Gesicht, die nur hin und wieder gelüftet wird, um das neugierige Gegenüber mit einem hinreißenden Lächeln zu entwaffnen. Zum Anbeißen, möchte man konstatieren, doch würde das unweigerlich jede Menge Leserinnen in Harnisch versetzen, die dann ihre Abscheu zu Papier brächten. Dann lieber noch ein überraschender Exkurs zum Thema musikalische Vorlieben. Aaliyah, man staunt, hört neben Hip-Hop und R8CB am liebsten Rock. „I just love Nine Inch Nails“, beteuert sie, „ihre Musik ist so düster und schwierig und geheimnisvoll.“ Wie sie selbst? „Exactly, I love being mysterious.“