Wollgang Doebeling über den Umgang mit einer WM-Niederlage, den düpierten Kanzler und durchsichtige Wahlkampfmanöver
Der Triumph des Bundesberti war fest eingeplant im Wahlkampfkalender des Kanzlers, sonst wäre er wohl schwerlich nach Frankreich gefahren. Es hatte doch stets fabelhaft funktioniert. Unvergessen, wie der Oggersheimer Koloß seinerzeit die siegreichen Landsmänner liebkosend zur Brust nahm, in England. Und ausgerechnet jetzt, da die Dividenden aus der Männerfreundschaft mit Berti besonders dringend gebraucht würden auf dem Image-Spendenkonto der Christenunion, muß das Unvorstellbare passieren: Den Deutschen geht der Dusel aus.
Kein Tarnat-Freistoß, der abgefälscht ins gegnerische Tor kullert, kein wohlfeiles Abstaubertor vom semmelblonden Bäckerbuben, wo Klinsmann heißen tut Wie immer schlecht gespielt und trotzdem nicht gewonnen. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen.
Dachte sich auch Bundesberti. Und sagte es. Irgendjemand, kombinierte er haarscharf, müsse wohl etwas gegen die Deutschen haben. Namen wollte er nicht nennen, aber die weißen Trikots seien manchem wohl zu erfolgreich geworden, und deshalb ließe man den Gelbhemden alles durchgehen.
Was der Fan am Fernseher nur ahnte: Berti Vogts sprach’s aus, nahm kein Blatt vor den Mund. Assistiert von seinem Manndecker-Adjutanten Jürgen Kohler („Nicht die Kroaten haben uns besiegt, sondern der Schiedsrischter. Letzter Mann war isch“), führte Berti die Indizienkette zum einzig logischen Schluß:“Meine Spieler hätten es verdient gehabt, weiterzukommen, so wie sie sich gequält haben im Training.“ Man muß nicht in blinden Hurra-Patriotismus verfallen, um die Hieb-und Stichfestigkeit seiner soliden Argumentation als solche zu erkennen.
Doch was tat Helmut Kohl? Er machte auf staatsmännisch, sprach von Kroatien als einem kleinen, armen Land, wo jetzt ein wenig Sonnenschein durch die Barackenritzen in die armseligen Wohnstuben dringe. Er appellierte an die Deutschen, man müsse ja auch mal gönnen können. Und fiel Berti so in den Rücken.
Selbst der Vorgesetzte des Bundestrainers, Pater Egidius, sprang diesem nicht zur Seite. Statt dessen gab er falsch verstandene Sinnsprüche zum besten wie „Bescheiden gewinnen, anständig verlieren“. Richtig muß es natürlich heißen: „Die Deutschen gewinnen, die anderen verlieren.“ So wird ein Fußballstiefel draus.
Daß dann auch die heimische Presse auf den tapferen Vogts eindrosch, überrascht nicht. Vaterlandslose Gesellen. „Deutsche verlieren das Spiel und den Bezug zur Realität“, schlagzeilte die „Süddeutsche Zeitung“ in der ihr eigenen nestbeschmutzenden Manier, und beschwerte sich weiter über „einen kleinmütigen Bundestrainer“, der sich „eine Verschwörungstheorie“ zurechtgelegt habe. Typisch.
Zum Glück machte Helmut Kohl eine Kehrtwendung und bekannte sich offen und treu zu seinem Freund Berti. Er muß wie wir alle nach dem Schicksalsspiel unter Schock gestanden haben, nur so sind seine undeutschen Äußerungen zu verstehen. Böse Zungen behaupten, es sei nur ein abermaliger Umfaller auf Anraten seiner Wahlkampfberater, die herausgefunden haben wollen, daß sich ein Schulterschluß mit Berti Vogts und seiner Nationalmannschaft langfristig sowieso, aber auch schon mittelfristig auszahlt, also rechtzeitig zur Bundestagswahl. Als ob sich der große CDU-Vorsitzende von solch vordergründigen Überlegungen leiten ließe. Berti, sagte er jedenfalls unmißverständlich, müsse Bundestrainer bleiben und sich um Auslese und Aufzucht von Nationalspielern kümmern, jetzt erst recht. Weil er eben der Richtige ist. Ganz schön mutig, angesichts der Pogrom-Stimmung, die sogar in so manchem Sportblatt gegen Vogts geschürt wird. „Beschämend“ ist das meistgebrauchte Wort, das Sportjournalisten derzeit auf Berti anwenden. Beschämend.
Klar, daß die anderen Parteien versuchen, daraus Wahlkampf-Kapital zu schlagen. Bislang ohne Erfolg. Gerhard Schröder, der sich inzwischen den Luxus einer eigenen Meinung nicht mehr zu leisten braucht, weil er ja dafür eine Marketing-Agentur bezahlt, hält sich noch bedeckt Das Volk scheint in Sachen Vogts gespalten, das Pendel könnte in die eine oder andere Richtung ausschlagen, je nach dem, was der Kaiser verlautbart. Und der macht gerade Urlaub und ist nicht erreichbar.
Guido Westerwelle, der solange nicht warten will, hat das FDP-Programm derweil flugs um einen Artikel ergänzt, der die Misere nach Art der Freidemokraten beseitigen soll. Jeder Kicker, so Guido, der künftig für die Nationalmannschaft ein Tor schießt, wird auf Lebenszeit von der Steuer befreit, sofern er im Jahr mehr als fünf Millionen Mark verdient Eine populäre Initiative. Und clever. Denn bei genauerem Hinsehen stellt man schnell fest, daß eine solche Gesetzesvorlage kostenneutral wäre und die öffentlichen Kassen nicht belasten würde, weil keiner, der so viel verdient, steuerpflichtig ist Naja, schon. Aber nur auf dem Papier. Die Grünen plädieren für die zügige Einbürgerung von Asylbewerbern, die natürlich begabt seien und nicht erst lange dressiert werden müßten wie die Eingeborenen. Die PDS fordert Steroide schon für die B-Jugend, und Chance 2000 will das Rotationsprinzip: Nationaltrainer für einen Tag, Arbeit für alle. Auch genial.
Und das alles nur, weil Wörns diesen kroatischen Laiendarsteller ein bißchen berührt hat.