Wolfgang Niedecken zum 70. Geburtstag: Der Weltempfänger
Er ist Kölner Lokaldichter und Chronist des Rock’n’Roll, Songschreiber, Musiker, Geschichtenerzähler, Amerikareisender und Bob-Dylan-Exeget. Ein paar Worte über den romantischen Künstler Wolfgang Niedecken.
Es war im Jahr 1982, als Ulrike von Möllendorff im ZDF eine Ausgabe von „Rock/Pop In Concert“ ankündigte. „Zur nächsten Band braucht man eigentlich nicht viel zu sagen, denn die Kölner Gruppe BAP mit dem Sänger Wolfgang Niedecken gehört zu den erfolgreichsten deutschen Rockbands. Und wenn BAP eigentlich auch nie so recht zur Neuen Deutschen Welle gehörte, so fällt der Beginn ihres Erfolgs doch mit dieser Musikrichtung zusammen. Erleben Sie also jetzt die Gruppe BAP in ihrem ersten Auftritt im deutschen Fernsehen.“
Sie beginnen umstandslos mit „Frau, ich freu mich“ von „Für usszeschnigge!“, der Platte, die sie ein Jahr früher berühmt gemacht hatte. Wolfgang Niedecken, in Jeans und kariertem Hemd und ein Tambourin schüttelnd, ist wie elektrisiert. Der Körper ist wie ein Flitzebogen, seine Augen sind riesig. Vor „Wat ess?“ sagt er: „Der Titel ist ein bisschen kompliziert, deshalb auf Hochdeutsch: ‚Was ist?‘“
Für „Müsli-Män“ kommt er mit Palästinensertuch und Heiligenschein aus Pappe auf die Bühne. „Wellenreiter“ persifliert den Spießbürger als Karrieristen. Dann „Verdamp lang her“, noch vor dem Spottlied „’Ne schöne Jrooß“ und der Zugabe „Waschsalon“.
Erfolgreich mit in der Wolle gefärbter Folklore
Wenn man diesen Auftritt heute sieht, begreift man die Euphorie um BAP und weshalb „Für usszeschnigge!“ eine Millionenauflage hatte. Niedecken war damals 31, er hatte seit den 60er-Jahren in Bands gesungen, Bass und Gitarre gespielt, Kunst studiert, in New York dem Maler Larry Rivers assistiert und dann jahrelang in Kölner Kneipen gesungen.
Das erste Album mit der Band war „Wolfgang Niedecken’s BAP rockt andere kölsche Leeder“ (1979), also in der Wolle gefärbte Folklore. BAP heißen BAP, weil Niedecken so gern Anekdoten über seinen Vater, Josef, den Lebensmittelhändler, erzählte. Noch seine Autobiografie „Für ’ne Moment“ von 2011 ist ihm und Wolfgangs Mutter, Tinny, gewidmet.
Aber der Lokalheld aus der Severinstraße, der die Gemütlichkeit der Eckkneipen so liebte, war schon damals ein besessener Chronist und Sammler, initiiert von den Beatles, den Rolling Stones, den Kinks und vor allem von Bob Dylan, seit er 1965 „Like A Rolling Stone“ gehört hatte. Sein Bruder brachte ihm das Gitarrenspiel bei.
„Ich sing kölsch, weil ich kölsch denke“, sagt er in einem frühen Porträt über „die Kultgruppe“. Aus dem Kult wurde eine Institution, die jetzt wieder Niedeckens BAP heißt. Er war immer ein unerschütterlicher, emphatischer Freiheits- und Gerechtigkeitskämpfer mit einem Elefantengedächtnis, von keinem Zynismus angekränkelt. Sein Rapport mit Menschen ist unmittelbar.
In dem Buch über Bob Dylan, das seine Überlandfahrt auf den Spuren Dylans für eine Dokumentarreihe im Jahr 2017 nachzeichnet, schreibt er fassungslos über den „Lügner“ Donald Trump, der das Land zerstörte, dessen Mythen der Geschichtenerzähler Niedecken aufgesogen hat. Die Serie „House Of Cards“ wollte er nicht mehr gucken, weil er nicht glauben wollte, dass Schufte davonkommen.
Niedecken las Jack Kerouac, William Faulkner, John Steinbeck und Walt Whitman, er hat die seelische und poetische Geografie des Landes verinnerlicht. Er verwebt in seinen Songs wie in seiner Prosa das Erlebte mit dem Erzählten. In Duluth war er enttäuscht über die schüttere Würdigung des größten Sohnes der Stadt. In Woodstock, im Big-Pink-Haus, spürte er dagegen den Genius Loci.
Wolfgang Niedecken und Bob Dylan
Zweimal traf er Bob Dylan. Einmal stellte ihn Wim Wenders, der den Film „Viel passiert“ über BAP drehte, nach einem Konzert vor, und Niedecken bemerkte den schlaffen Händedruck Dylans, der freilich viele Hände schütteln muss (Niedecken aber auch).
Von Wenders wollte Dylan etwas zur deutschen Kaiserzeit wissen. Bei der zweiten Begegnung, in Saarbrücken, überbrachte er Dylan eine Lap-Steel-Gitarre von einem deutschen Hersteller. Diesmal gab es die sogenannte Getto-Faust zur Begrüßung. Dylan betrachtete das Instrument staunend „wie ein Junge, der eine neue Lok für die Modelleisenbahn unter dem Weihnachtsbaum findet“.
Der famose Erzähler, Musiker, Maler, Privatchronist und Menschenfreund Wolfgang Niedecken wird nun siebzig. Dämm Mann sing Fröhstöck jeht op minge Deckel!