Wolfgang Doebeling über FUSSBALL-WM, faulen Ballzauber, wahre Konditionswunder und das Fehlen eines begnadeten Narren
Morgen ist Kick-off. „Eat Football! Sleep Football!“, präpariert uns seit Monaten schon ein Coca-Cola-Commercial auf das zyklopische Spektakel. Als ob es noch der Hypnose bedürfte. Ein „Fußballtherapeut“ empfiehlt allen Ernstes, doch einfach mal ein Spiel ausfallen zu lassen, statt dessen den dunklen Bildschirm anzustarren und per Phantasie sein eigenes Spiel zu imaginieren. Das sei ein probates, weil vorbeugendes Mittel gegen Fußball-Koller. Noch lustiger wäre allenfalls der Vorschlag gewesen, sich doch ein gutes Buch vorzunehmen, während Deutschland den Iran vernichtend schlägt.
Morgen ist Kick-off, und der TV-Kanal „Sky“ kommt dem bevorstehenden ökumenischen Gebolze und seiner pseudo-sakralen Inszenierung schon sehr nahe, wenn er in salbungsvollen Spots verkündet: „It’s Our Religion“. Nicht Ersatzreligion für vier Wochen, nicht Schisma auf Zeit, nein, wir sind und bleiben Kinder des Fußballgottes. Ein mächtiger Gott, größer ab Allah. Anders wäre kaum zu erklären, warum die Saudis ihren Spieler Oiwairan schleunigst aus dem Kerker holten, in den sie ihn gerade erst geworfen hatten, nachdem er bei sakrilegischen Handlungen in flagranti erwischt worden war. Alkohol! Weiber! Schwamm drüber, sagten die Söhne des Islam, als sie vom Trainer erfuhren, daß die drakonische Strafe einen Strich durch seine taktische Rechnung machte und die Siegchancen des Saudi-Teams ohne den Sündigen noch geringer wären als eh schon. „How we laugh up here in heaven at the prayers you oder me“, läßt Randy Newman seinen Allerweltsgott spotten, „that’s why I love mankind.“ Des Schöpfers Gnade wie Flasche leer. Da läßt sich leicht lästern. Der Soccer-Gott ist von anderem Kaliber. Und er hat die sinnigeren Gebote. „Du sollst nicht blutgrätschen“ bt noch das gemeinste, die anderen gehen voll in Ordnung. „Du sollst kein falsch Zeugnis ablegen wider Deinen Sponsor.“ Ja gut, das bt normal. „Du sollst den Schiedsrichter nicht beschimpfen in einer Sprache, die er versteht“ Ja gut, das bt mit Sicherheit richtig, sag ich mal. Gott ist ja zum Glück mit dem, wo Leistung bringt.
Morgen istt Kick-off. Eine Zeit der Freude und des Leids beginnt, letzteres freilich nur, wenn zum Bildflimmern der Ton eingeschaltet wird. Vor dem Spiel: Nationalhymnen, falsch, aber stolz geschmettert, die Spielersoldaten in Reih und Glied, Säbelrasseln und Samba, „Ole ole ole“ von den Tribünen. Während des Spiels: Rubenbauers bajuwarisch-rrrrollende Einfalt, in der Pause Kalli Feldkamps Feldherren-Prosa („Wir müssen den Gegner mürbe machen“) und überflüssige Auto-Werbung („Fußball bt auch nicht mehr das, was er mal war“). Nach dem Spiel: die Balltreter vor dem Mikro. Ergebenheitsadressen an Berti, zerknirschte Kommentare oder Euphorie, alles mit einem aktiven Wortschatz, der vor dem Kreuzworträtsel in der „Super-Illu“ kapituliert. Ist der Ball-Profi von Haus aus ein Idiot? Aber nein, sonst könnte Thomas Heuner seine diplomatische Schleimerei nicht in Sätze kleiden, die Subjekt, Prädikat und Objekt aufweisen. Oder OlafThon. Der steht mit der Syntax so vertrauensvoll auf Du und Du, daß er, wenn er spricht, auch etwas sagt Seine dressierten Kicker-Kollegen adressieren ihn darob ab „Professor“.
Morgen ist Kick-off. Darf man so aber in Gallien nicht sagen. Führt für französische Journalisten ebenso zum Entzug der Akkreditierung wie der Versprecher „World Cup“ statt des verordneten „Coup de Monde“. Wird sich wie ein Lauffeuer über den Globus verbreiten und bald so gebräuchlich sein wie „jeu décisif“. Ich meine, wer sagt heute noch „tie-break“? A propos Tennis: die Samprasse, Changs und Rusedskb werden auch der WM ihren Stempel aufdrücken, nur heißen sie dort anders. Ronaldo, Kluivert, Bierhoff. Menschen mit Physis und vorbildlichen Laktatwerten. So effizient wie langweilig. Einer der letzten Mc-Enroes im Weltfußball (neben Hristo Stoitchkov), der nach wie vor begnadetste und fraglos bei weitem unterhaltsamste Ballkünstler, darf gar nicht erst antreten. Paul Gascoigne bt so blöd wie die FIFA korrupt ist, ab Mensch (oder sagen wir: lad) bt er eine Zumutung. Aber wenn er spielt, bt Fußball plötzlich keine blutarme Übung im „Ablaufen und Zustellen“ (Vogts) mehr, kein Konditionsnachweb und erbärmliches Kurzpaßgeschiebe, er verliert alles Roboterhafte und Klinische. Gazzas erratisches Genie vermag diesen profanen Sport zu transformieren. In lichten Momenten verwandelt sich der Rasen vor unseren Augen in eine Bühne, das gymnastische Gewusel in ein Shakespearesches Drama, Gazza in einen Triumphator oder in einen tragischen Helden. Statt auf Leidenschaft setzt Englands Coach Hoddle, wiedergeborener Christ und gläubiger Klient einer Wahrsagerin, auf Jugend. Nichts gegen Beckham, den Popstar, oder gegen Scholes, den Beißer mit Herz, aber Gascoigne wird fehlen, obwohl – und das bt die traurige Ironie – die Engländer ohne ihn weiterkommen werden, womöglich bb ins Finale.
Morgen ist Kick-off Brasilien gegen Schottland. Die Favoriten werden beim Einlaufen rituell den heiligen Rasen berühren, sich immerfort bekreuzigen und ihre fade Operette zelebrieren, während die Schotten die ihnen zugedachte Rolle ausfüllen werden: aufopferungsvoll kämpfen und mannhaft verlieren. Wie deprimierend.