Wolfgang Doebeling über die Folgen präsidialer Erotomanie, die Phalanx der Entrüsteten und unerwartete Solidaritätsadressen
Im Internet war Weihnachten. Der US-Kongreß lud zur Bescherung, und es wurde ein rauschendes Fest. Für alle war etwas im Online-Angebot, kein Voyeur blieb unbefriedigt. Eine Million Mal wurde Monicas Mund angeklickt. Pro Minute. Und für ihre Möse mußte eine eigene Homepage eingerichtet werden, wo man dann auch manches über des Präsidenten Fingerfertigkeit in Erfahrung bringen konnte und über den multifunktionalen Gebrauch einer Zigarre. Den präsidialen Dödel gab es im Detail, war aber nicht so der Hit. Einmal, weil doch Paula Jones schon seit Jahren mit intimen Kenntnissen von jedem kleinsten Pickel auf Bills Vorhaut hausieren geht. Und zweitens, weil die Peep-Show als solche, virtuell oder handfest, von jeher eine männliche Domäne ist. Und das Internet sowieso. Doch während sich Amerika zum Narren macht und seine politische Oligarchie der organisierten Heuchelei anheim fallt, wundert man sich andernorts, warnt vor einem neuen McCarthyismus, und eilt dem global Gedemütigten zu Hilfe.
Da steht er nun bleich vor der UN-Vollversammlung und badet in Ovationen. Im Foyer schimpfen die Diplomaten, was ja sonst nicht ihre Art ist Ein Abgeordneter aus Sierra Leone rechnet vor, daß man für die 50 Millionen Dollar, die Kenneth Starr und sein Inquisitionskommando verpulvert haben, Bewässerungsanlagen für sein ganzes Land bauen könnte. Ein Iraner versichert glaubhaft, daß Clintons Ansehen in Teheran durch die Affäre eher gestiegen sei. In der arabischen Welt habe man kein Verständnis für einen Moralbegriff, der zulasse, daß das Zeugnis einer jungen Frau den Rufeines mächtigen Mannes beschmutze. Das sehen die US-Fundamentalisten christlicher Couleur anders. Wie hatte der 68jährige Senator aus Idaho gesagt? Er habe geglaubt, bereits alles gesehen zu haben, was das Leben so an Ab- artigketten und Abscheulichkeiten zu bieten habe. Doch was sich da im Weißen Haus abgespielt hat, seien Perversionen, die er nicht einmal in den Mund nehmen würde. Armer Kerl.
Da ist man anders drauf, wo das Machismo regiert. In Brasilien zum Beispiel. Dort demonstrierten ein paar hundert Männer in der Landestracht (Schnurrbart und Bermudas) tanzend vor dem amerikanischen Konsulat und schwenkten Schilder mit der ermutigenden Aufschrift „Clinton go on! M . Ein Priester in Chile solidarisierte sich mit einem Schild vor seiner Kirche, auf dem geschrieben stand: „God speed President Clinton“. Ein frommer Wunsch. Du sollst nicht ehebrechen? Es gibt Wichtigeres. Das meinte auch Boris Jelzin, der dem Kollegen in Washington herzliche Grüße von Mutterchen Rußland übermitteln ließ. Der Mann, den man in der Landessprache Kasachstans „Großes wankendes Unheil“ nennt und 5000 Meilen weiter östlich JDer Moskowiter Schwamm“, weiß natürlich, daß sich Solidarität unter Staatsmännern einfach gehört Und so stieß Boris auf Bill an, während man in Bonn mit Bedacht Worte wählte, die den Gebräuchen am Rhein Rechnung trugen. Helmut Kohl und Oskar Lafontaine, deren bevorzugte Sünde die Schlemmerei ist, fanden den Skandal entsprechend unisono „zum Kotzen“.
Nur die Chinesen enttäuschten auf der ganzen Parteilinie. Meiner Treu, was wären die senilen Greise früherer Politbüros einander vor Freude in die Arme gefallen. Amerikanische Dekadenz! Der sich unaufhörlich beschleunigende Niedergang der korrupten kapitalistischen Gesellschaft! Das passende Kommunique wäre geschrieben und verteilt gewesen, bevor noch ein einziger Spucknapf hätte geleert werden müssen. Heute verhängen die amtierenden Weicheier eine Nachrichtensperre, weil die peinlichen Vorgänge beim Klassenfeind sonst ideologisch gewertet werden müßten und sich so störend auswirken könnten auf das eh stets etwas wacklige Verhältnis zum Westen.
Ungleich direkter und obendrein volkswirschaftlich voll auf der Höhe moderner Turbo-Theorien ist die Reaktion der Dominikanischen Republik auf des Nachbarn Malheur: Ein Teil der Zigarrenproduktion wurde flugs umgestellt auf ein neues Modell, das an einem Ende eine Eichel-ähnliche Verdickung aufweist „El Presidente“ heißt, mit Erfolg exportiert wird und vor allem in Washington D. C. reißenden Absatz findet Kein Witz. Als Gerücht entpuppte sich allerdings die Meldung, wonach in Paris hellblaue Kleider mit echten Spermaflecken der letzte Schrei seien. Das authentisch aussehende weißliche Zeug offenbarte sich als Froschlaich, der dort in großen Mengen ab Abfallprodukt der Lebensmittelindustrie anfallt Eine Sekretärin hatte den Schwindel bemerkt, als sie ihren teuren Fummel einem Geruchstest unterzog.
Während Bill mit einer an den ähnlich abgestürzten Fernseh-Evangelisten Jimmy Swaggart gemahnenden Büßermiene seinen Geschäften nachgeht und versucht, unterstützt vom permanenten Anblick Hillarys, seiner hormoneilen Wallungen Herr zu werden, bekommt er unerwarteten Beistand. Von Radikalfeministinnen, die Lewinskys Mut und Kaltblütigkeit bei der Verführung des labilen Lüstlings rühmen. Und von der Gegenseite: In ganzseitigen Anzeigen bietet der Herausgeber des Pornomagazins „Hustler“ jeder Frau eine Million Dollar, die beschwört, daß sie eine sexuelle Beziehung zu einem republikanischen Kongreßabgeordneten hatte oder hat Ein unmoralisches Angebot? Sagen wir: inappropriate.