Wolfgang Doebeling trifft Tom Waits, wider besseres Wissen. Ein exklusiver Vorabdruck aus den Memoiren eines Musik-Kritikers
Hinterher ist man immer klüger. Ich hätte auf keinen Fall einwilligen dürfen, aber die Promo-Lady von Island akzeptierte mein wiederholtes „Nein“ nicht, ließ sich einfach nicht abwimmeln. Es war ein Sonntag im Sommer ’83, die Nacht hatte ich im Studio verbracht, wo Nicky Heyward an neuen Aufnahmen bastelte. Folk-Pop, frischwärts und beschwingt. Session-Cracks wie Tim Renwick und Dave Mattacks hatten für Erdung gesorgt, Heyward war ein überaus charmanter Gastgeber, Paul Weller hatte mal eben hereingeschaut und eine Diskussion über Lord Byron vom Zaun gebrochen. Eine lustige, lange Nacht. Morgens, zurück im Hotel, dann diese Nachricht. Urgent.
Ich sei doch nun schon in London, und mein Flieger ginge erst nachmittags, da könnte ich doch problemlos noch ein Interview einschieben. Aber nicht mit Tom Waits, protestierte ich. Der Mann interessierte mich herzlich wenig. „Swordfishtrombones“ ‚war noch nicht raus, „Closing Time“ lag zehn Jahre zurück, und die LPs dazwischen hatten mich kalt gelassen. Das mache rein gar nichts, flötete die Presse-Fee, es sei bereits alles arrangiert „Tom waits for you , kicherte sie beifallheischend, „geddit?“
Das kleine Hotel in Knightsbridge muß einmal verdammt vornehm gewesen sein, zu viktorianischen Zeiten. Jetzt war es nur noch plüschig und muffig. Nicht halb so muffig indes wie Tom Waits, als ich ihm die Hand schüttelte. Auch er war, wie sich herausstellte, überfahren worden. Fünf Minuten Small Talk in der Lobby, aus schierer Verlegenheit Des Künstlers Blick, der dem meinen geschickt auswich, heftete sich regelmäßig auf die Uhr über der Rezeption. So ödeten wir uns eine Weile an, bis Waits unvermittelt verkündete, er erwarte einen Anruf seiner Frau, und vorschlug, uns nach oben in sein Zimmer zu begeben. Warum nicht, die verfahrene Situation konnte schließlich nur besser werden. Wie man sich täuschen kann.
Wir zwängten uns in den winzigen Fahrstuhl, ich mit Tasche und einem Bündel Zeitungen, er mit einem schwerem Silbertablett Ein Kännchen Tee, ein Kännchen Kaffee, Tassen, Zuckerdose, das komplette Service für ein Kränzchen zu zweit. Sekunden später gab es einen Ruck und wir steckten fest. Die Tür ließ sich nicht offnen, es war heiß und so eng in der Kabine, daß Waits das Tablett nicht abstellen konnte. Wir fluchten um die Wette, besannen uns dann aber eines Besseren und verharrten ganz ruhig, während Schweißperlen zu kleinen Rinnsalen zusammenliefen. Ybn draußen drangen Klopfgeräusche zu uns, man werkelte am Lift Doch es dauerte. Eine Ewigkeit, wie es schien, in Wirklichkeit wohl nur ein paar Minuten. Wie in der Sauna.
Unterkühlt wäre untertrieben, wollte man die Stimmung danach beschreiben. Meine halbherzigen Versuche, ein Gespräch anzuzetteln, liefen ins Leere. Was Waits mühsam zwischen den Zähnen hervorquetschte, war selten mehrsilbig. Nicht einmal Namedropping half. Bette Midier, Harry Partch, Captain Beefheart. Kaum Resonanz. Meine Frage, wie er die Cover-Versionen von „Ol‘ 55“ beurteilte, etwa die von Ian Matthews oder von den Eagles, entlockte ihm nur ein gequältes Grinsen.
Ultima ratio: die Frage nach Waits‘ in Bälde erscheinendem neuem Werk. Für gewöhnlich ein Selbstläufer. Der Künstler plustert sich, und man inhaftiert soviel heiße Luft, daß man als Fesselballon entschweben könnte. Nicht so dieser Waits. „It’s different“, knurrte er nur und starrte weiter auf das Telefon, das uns aber nicht den Gefallen tat, zu klingeln. Ob er mir etwas über seine Frau erzählen könne, heuchelte ich Interesse. „No.“ Die Antwort hatte ich mir redlich verdient. Erst als ich entnervt die Segel strich und den Recorder abschaltete, taute Waits auf. Erzählte von den zähen Vertragsverhandlungen und beteuerte, sonst nicht so grantig und abweisend zu sein. Sorry, sagte er. Ja, genau, dachte ich, und: bloß weg hier.
Stoff genug immerhin für einen Vortrag, den ich später am Institut für Publizistik in Berlin hielt, zum Thema „Traumberuf Musikjournalist“.